14. Kapitel (Shade)

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Als ich aufwachte war das erste was ich bemerkte, dass ich das Fell eines Plüschaffen in der Nase hatte. Verblüfft wie ich zurück und richtete mich auf, den Affen achtlos vom Bett runter werfend. Verwirrt blickte ich mich in Alex' vertrautem Zimmer um und bemerkte, dass alles hier war. Abgesehen von Alex. Das erste, was mir in den Sinn kam war, dass Lillith ihn entführt haben könnte und sofort bekam ich es mit der Angst zu tun. Doch bei näherem Nachdenken jedoch viel mir auf, dass niemand einen sich sträubenden Alex unbemerkt von mir wegzerren hätte können. Mein Atem wurde wieder ruhiger und ich ließ mich zurück aufs Bett sinken. Wahrscheinlich war er nur auf dem Klo. Doch als zehn Minuten vergangen waren, in denen ich nichts anderes getan hatte, als an die dunkle Decke zu starren und Alex immer noch nicht aufgetaucht war, beschloss ich, nachzusehen. Es hatte alles eine Horrorfilmatmosphäre, als ich leise tapsend durch das Zimmer huschte, die Tür öffnete und durch die finsteren Gänge zur Badezimmertür schlich. Die Dielen knarzten unter meinen leichten Schritten. Obwohl kein Licht unter dem Türspalt hindurchfiel, öffnete ich die Tür dennoch und ließ meinen Blick durch das dunkle Bad schweifen. Nichts. Ein mulmiges Gefühl beschlich mich, als die Zeiger der Uhr immer mehr auf die ein Uhr zutickte. Bevor ich mir überlegen konnte, was als nächstes zu tun war, hörte ich, wie sich die Haustür knarzend öffnete. Schnell huschte ich zum Geländer der Galerie, von der aus man die Eingangshalle gut im Blick hatte und konnte gerade noch sehen, wie Alex durch die offene Eingangstür verschwand und das Schloss einschnappte.

Kurz entschlossen rannte ich ins Dachgeschoss, welches als Ganzes mein „Zimmer" bildete. Das Mondlicht schien durch zwei große Dachfenster, die den gesamten Raum in einen sanften Schimmer tauchten. Ein anderes Fenster hüllte auch die andere Hälfte des Raumes in sanften Mondschein. Mein Bett war sehr groß und ungemacht. Mein Bücherregal, welches bereits überquoll nahm die gesamte rechte Seite des Zimmers ein. Die andere Seite dominierte ein Zeichenpult, auf dem sich verschieden Skizzen und Farben und sonstige Zeichenutensilien häuften. Mein schwarzer Kohlestift lag direkt neben meinem Zeichenblock, den ich sehr oft dabei hatte und noch immer grüne Grasspuren aufwies. Ohne alles näher zu betrachten, wühlte ich hektisch in meinem kleinen Kleiderschrank gegenüber des Bettes und förderte eine schwarze Jeans und ein graues T-Shirt zu Tage, damit man mich in der Dunkelheit nicht so leicht erkannte. Abgesehen dieser Farben, wurde mein Kleiderschrank vor allem von roten Kleidungsstücken bevölkert. Zur Sicherheit kramte ich unter meinem Bett meinen Dolch mitsamt Scheide hervor. Mit einem praktischen Gurt konnte ich ihn zwischen die Schulterblätter binden, sodass der Griff schnell greifbar war. Da ich den Dolch schon länger nicht mehr gebraucht hatte, zog ich ihn kurz aus der Scheide, um mich seiner Unversehrtheit zu vergewissern. Ein in Runen eingraviertes Wort zierte die schwarze Klinge und kurz musste ich an den Tag denken, an dem mein Vater ihn mir geschenkt hatte. Damit ich immer sicher sei. Ich wusste nicht, was da stand und auf Nachfrage hatte mein Vater nur erwidert, dass der Dolch sehr alt sei und niemand wisse, was da stünde. Jedenfalls niemand, den wir kannten. Aus Angst, dass Alex mich abhängen könnte, schnallte ich mir den Dolch um, zog das T-Shirt darüber und in Windeseile zog ich mir auch die Hose und meine Schuhe an. Eilends stürmte ich die Treppen hinunter und war schon bald in der Schwärze der Nacht verschwunden.

Ich rannte mit aller Kraft über den Kiesweg die Allee entlang bis zum schmiedeeisernen Eingangstor. Alex hatte zwar einen kleinen Vorsprung, doch wenn ich rannte, würde ich einholen können. Was wollte er mitten in der Nacht in der Stadt? Vermutlich wollte er nur mit Derek etwas trinken gehen und ich würde dann blöd dastehen und nicht wissen, wie ich mich erklären sollte. Doch wieso sollte er mitten in der Nacht zu Derek gehen, ohne mir wenigstens eine Nachricht zu hinterlassen und mich in den Armen eines Stoffaffen zurücklassen? Aufgeregt eilte ich durch die immer heller werdender Straßen Memphis', während ich mich dem Stadtinneren näherte. Die Abgase der vorbeifahrenden Autos stiegen mir in die Nase und brachten meine Augen zum Tränen. Meine Füße klopften einen schnellen Takt, doch als mir immer mehr Leute entgegenkamen, musste ich mein Tempo drosseln. Zwar war es mitten in der Nacht aber immer noch eine Großstadt. Die vielen Feiernden, die morgen, oder besser gesagt, heute, keine Schule hatten, lachten laut und wurden von einer steten Zigarettenrauchwolke begleitet.

Als ich an einer viel besuchten Bar mit lauter betrunkenen Menschen vorbeiging, rief mir ein Junge vom Eingang aus zu: „Hey Süße, willst du nicht mit uns feiern?" Sobald er merkte, dass ich ihn ignorierte, kam er mir schnell nach und seine Freunde spornten ihn mit lauten Rufen an. Genervt verdrehte ich die Augen. Als der Typ mich an der Schulter packte, drehte ich mich um und erkannte einen gerade mal Siebzehnjährigen mit braunen Haaren und einer Jack Daniels Flasche in der Hand. „Was ist? Willst du nichts mit mir zu tun haben?" Er schmollte und kam weiter auf mich zu. „Yo Alter! Schnapp sie dir!" Verächtlich blickte ich zu seinen Kumpels. „Beachte sie gar nicht", murmelte er mir zu und eine Alkoholfahne wehte mir entgegen. Schnapp sie dir?? Für wen hielten die sich?! Als er sich zu mir runterbeugte und mir über die Haare strich wurde mir übel. Als ob ich mich von einem anderen männlichen Wesen außer Alex ungestraft so anfassen lassen würde. Doch ich hatte schon einen Plan. Er wusste ja nicht, dass er es hier mit einem Dämon zu tun hatte. Mit einem gespielt lieblichen Lächeln fasste ich ihm im Nacken, als würde ich ihn näher zu mir ziehen wollen. Er lächelte erwartungsvoll, bevor er plötzlich vor Schmerz keuchend auf die Knie ging, zu mir heraufsah und zum ersten Mal richtig meine Augen wahrnahm: „Was bist du?" Fies lächelnd blickte ich auf ihn herab und meinte: „Jemand, der dich wegen so einer Unverschämtheit töten würde, wenn er es nicht eilig hätte." Schnell ließ ich ihn auf dem Boden fluchend zurück, während seine Kumpels verwirrt auf ihn zugingen und hastete weiter. Neben Unsterblichkeit, bei der wir uns selbst aussuchen konnte, ab wann wir nicht mehr alterten, übermenschlicher Geschwindigkeit und Stärke war dies ein weiterer Vorteil, den das Leben als Dämon mit sich zog: Wenn ich direkten Hautkontakt mit einem Menschen hatte, konnte ich ihm entsetzliche Schmerzen zufügen, so wie es der betrunkene junge Mann vorhin am eigenen Leib erfahren hatte.

Völlig in Gedanken versunken, rannte ich in einen aus einer anderen Bar tretenden Schemen. „Woah, hey!", beschwerte sich dieser zuerst. Als ich ihn genauer ansah, erkannte ich, dass ich in Sebastian Morgan aus meiner Klasse hineingerannt war. Er wirkte verblüfft mich zu sehen. „Ähm... Shade?", fragte er und fasste sich kurz an den Kopf, als hätte er Schmerzen. „Ja, sorry. Ich hab's eilig." Nachdenklich strich er sich seine schwarzen Haare aus dem Gesicht: „Was machst du hier?" „Ich suche jemanden...", wich ich aus, wissend, dass er sicher keine Ahnung hatte, wo Alex war. „ Alex etwa?" „Ja...weißt du, wo er ist?" Hoffnungsvoll starrte ich ihn an. Zum Glück war es dunkel genug, dass er meine Augen nicht genau sehen konnte. „Ja, gerade vorhin ist er hier vorbei. Er sagte, er wolle ins Isus...was auch immer das ist." Mein Herz machte einen Sprung, da ich endlich wusste, wohin er wollte, auch wenn es mir ein Rätsel war, wieso er dorthin wollte. „Ach, das ist nur so eine Bar...", wimmelte ich ihn nicht sehr überzeugend ab. „ Soll ich dich dorthin begleiten?", bot er mir hilfsbereit an. Beim Gedanken daran, Sebastian mit in eine Bar, die nur für übernatürliche Wesen geschaffen war, mitzunehmen, war mir mulmig zu mute. Das am wenigsten Gefährliche, was sich dort herumtrieb, waren wahrscheinlich die Werwölfe. Und das auch nur, solange kein Vollmond war. „Nein, danke. Du hast mir so schon genug geholfen. Bis in ein paar Stunden. In der Schule"; fiel mir ein und ich drängte mich an ihm vorbei, bevor er noch etwas erwidern konnte. Was hatte er überhaupt noch so spät hier verloren, wenn bald Schule war? Ich hastete weiter durch die Straßen, diesmal jedoch mit einem Ziel vor Augen: dem Isus.

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