3. Kapitel (Caroline)

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Mit einer Mullbinde um meine Handfläche zog ich meinen Koffer abermals hinter mir her, als ich endlich in Memphis gelandet war. Ich hatte schon einige verwirrte Blicke geerntet, was ich durchaus verstehen konnte. Wegen des Vorfalls vorhin hatte ich mein gutes Feuerzeug zurücklassen müssen, was mich jetzt ziemlich ärgerte. Der Flughafen war kleiner als der in Boston und dennoch schaffte ich es beinahe, die Orientierung zu verlieren, bis mein Blick auf Anthony Goud, ein Freund aus alten Zeiten, fiel, der mich anscheinend vom Flughafen abholte. In Zukunft würde ich mit ihm, seiner Freundin Julia, die ich auch bereits kannte und mit Sam Drown, der mir noch unbekannt war, gemeinsam in einem Wolkenkratzer in der Innenstadt Memphis' wohnen. Genauso würde ich vor ihnen nichts verheimlichen müssen, da sie Jäger wie ich waren. Wir würde ab morgen auch alle gemeinsam in die Christian Brothers Highschool, eine der bekanntesten Schulen in Tennessee, gehen, wovor mir schon ein bisschen graute, weil ich die Neue sein würde, was ich noch nie leiden konnte.

„Hey, Tony!", rief ich ihm zu. Er schien mich nicht zu bemerkten, wegen dem Geräuschpegel um ihn herum. Eine alte Frau brüllte direkt neben ihm ihren Enkel an: „Hast du auch genug Unterhosen eingepackt?" Tony schien nicht zu wissen, was er davon halten sollte und zog nur eine Augenbraue hoch, bis die Frau so laut wurde, dass ich Angst hatte, sie würde ihm ihr Gebiss ins Gesicht spucken. Sobald die alte Oma verschwunden war, ging ich auf ihn zu und erkundigte mich dicht neben ihm: „Du hast ja eine neue Verehrerin", meinte ich spöttisch. Seine braunen Augen musterten mich freudig und wir umarmten uns. „Du hast dich nicht verändert, Carry", murmelte er mir ins Haar. „Weiß ich doch", lächelte ich ihn an, als wir uns voneinander trennten. „Komm, ich nehm dir den ab", bestimmte er, schnappte sich meine Koffer und hob ihn so mühelos auf, wobei ich merkte, dass er in letzter Zeit trainiert hatte. „Danke." Schnell folgte ich ihm durch das Flughafengewirr, in dem er sich sehr gut auszukennen schien. „Wie war der Flug und was hat deine verbundene Hand zu bedeuten?" „Ach, der Flug war ganz gut, außer, dass das Essen wie zweimal ausgekotzt geschmeckt hatte. Und ich auf der Flughafen Toilette in Boston noch eine Konfrontation mit einem lästigen und eitlen Vampir hatte." „Sind sie das nicht alle?", fragte er sarkastisch.

Lachend verließen wir das Flughafengebäude und marschierten auf sein Auto zu, einem Volvo. Er legte meinen Koffer in den Kofferraum und bedeutete mir, vorne Platz zu nehmen. Die Fahrt verlief ohne weitere Probleme und wir unterhielten uns lebhaft, vor allem über Sam, den ich bald kennenlernen würde und der mich jetzt schon neugierig machte. Ich hoffte nur, er war kein Arsch. „Wo ist denn überhaupt die Schule?" „Ganz in der Nähe der Wohnung. Wieso hast du dich eigentlich jetzt erst entschlossen, zu uns zu kommen?" Kurz ließ ich meine Gedanken schweifen, bis ich ihm antwortete: „ Ich habe es mit Timothy und Russeld einfach nicht mehr ausgehalten. Der eine hat etwas gegen mich und der andere, bildet sich sonst was drauf ein, wer er ist. Ich hab nur so lang gewartet, bis meine Schwester einigermaßen ohne mich zurechtkommt." „Du hast die richtige Entscheidung getroffen. Du musst auch an dich denken." Ich nickte nur und starrte weiterhin aus dem Fenster, an dem Häuser und Menschen nur so vorbeiflogen. Der Wolkenkratzer an sich war mäßig beeindruckend, da es in den höheren Wolkenkratzern herum zu versinken drohte. „Welcher Stock?" „Ganz oben", grinste er stolz. „Wir haben die Penthouse Suite mit Dachterrasse und Jacuzzi." „Woher habt ihr das alles?", erkundigte ich mich beeindruckt. „Kyra sendet uns monatlich ein bisschen Geld." „Ein bisschen?", hakte ich ungläubig nach. „Naja...es ist genug." Mit hochgezogener Augenbraue blickte ich ihn an. „Offenbar mehr als genug."

Kyra Ombia hatte mich zu der gemacht, die ich heute bin, eine Jägerin, wofür ich ihr mein ganzes Leben unendlich dankbar sein werde, da es mich geprägt hatte und ich mir nicht vorstellen konnte, ein anderes Leben zu leben, so wie normale Mädchen. Nachdem meine Eltern, zwei sehr bekannte Jäger vor sieben Jahren von einem mir unbekannten Dämon ermordet worden waren und ich zu meinem Vormund gezogen war, war ich von Kyra, einer Freundin meiner Eltern, als Jägerin ausgebildet worden, da meine Eltern das nun nicht mehr tun konnten. Wie erwartet war Timothy dagegen gewesen, mich ausbilden zu lassen, da er von alledem nichts hielt, doch Kyra hatte ihn überreden können. Was wirklich hinter Timothy und seiner Abneigung mir und dem Jägertum gegenüber steckte, fand ich nie heraus und nach einer Weile interessierte es mich auch nicht mehr besonders. Es war mir eine Ehre von einer so exzellenten und bekannten Jägerin wie Kyra unterrichtet worden zu sein. Sie war mir ein Vorbild und ist es auch heute noch und irgendwann hoffte ich, so gut zu sein wie sie, so wie wahrscheinlich jeder junge Jäger.

„Oh", meinte ich, als wir vor dem Aufzug standen, der uns circa fünfzig Stockwerke nach oben bringen sollte. „Was ist?", erkundigte sich Tony. „Ich kann Aufzüge nicht leiden. Sie sind so...", eröffnete ich ihm. Ungläubig sagte er: „Wirklich? Du bist eine Jägerin, die schon einige Mistkerle auf dem Gewissen hat und trotzdem hast du Angst vor Aufzügen?" „Meine Achillesferse", meinte ich peinlich berührt. „Komm schon, ich nehm auch deine Hand", erwiderte er gönnerhaft. Da ich mich verarscht fühlte, sagte ich: „Nein, nein, so schlimm ist es nicht". Obwohl ich während der ganzen Fahrt die Augen geschlossen hielt und mich vollkommen verkrampfte. Als das Pling ertönte, zum Zeichen, dass der Fahrstuhl angehalten war, schnaufte ich erleichtert aus und er fragte wieder mit einem Hauch Sarkasmus und falscher Sorge in der Stimme: „Geht's?" Ich blieb ihm eine Antwort schuldig, als ich den kurzen Gang des obersten Stockes entlangging. „Warte mal!", rief er mir nach und kam schnell mit meinem Koffer hinter mir her. Verwirrt blieb ich stehen, und wartete, dass er nachkam. „Ich wollte dich noch warnen." „Was? Vor deinem komischen anderen Mitbewohner?", fragte ich schnippisch. Seine schmalen Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. „Gerade ist sozusagen die Hölle in der Stadt los. Wir vermuten, dass hier ein Rudel Dämonen ihr Unwesen treibt. Bevor ich dich abgeholt habe, habe ich einen Trupp vermeintlicher Dämonen gesehen, die einen Klassenkameraden von mir verfolgt haben. Er war inmitten einer großen Menschenmenge, darum konnte ich nicht einschreiten, aber ich bin mir sicher, dass nichts passiert ist. Ich hab erst vor kurzem mit ihm telefoniert." Kurzes Schweigen trat ein, während ich nachdachte, wie nun zu handeln war, bis mir nur eine Sache einfiel: „Dämonen treten in Herden auf, nicht in Trupps, genauso wie chinesischen Touristen", lächelte ich. „Ich hoffe, die bleiben uns vom Leib"; lachte Tony. „Wer? Die Dämonen?" „Nein, die chinesischen Touristen." Immer noch lachend öffnete ich als erste die Wohnungstür und wurde prompt von einem Eimer samt eiskaltem Wasser überschüttet.

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