„Was zum Teufel macht ihr hier?", brauste ich auf, als wir uns zwischen zwei Spielständen gegenüberstanden. Alex legte beruhigend eine Hand auf meine Schulter. „Bitte nicht derlei Ausdrücke in meiner Gegenwart", meinte Ronan gelassen. „ Was du von meinem Ausdruck hältst, ist mir scheißegal. Solltet ihr nicht eigentlich in eurer Bar sein und darauf achten, dass eure Kunden nicht einfach ohne zu bezahlen abhauen?!" Ein kleiner Seitenhieb. „Apropos, ihr schuldet uns 20 Dollar", warf Derek hilfreich ein und strich sich über seinen spärlichen Bart. „Was? Ihr verlangt schon 20 Dollar? Was sind das denn für Preise?", erkundigte Alex sich empört. Derek seufzte gespielt: „Ach, du weißt ja, die Wirtschaftskrise." Während die beiden über zunehmende Preise diskutierten, standen Ronan und ich wie bestellt und nicht abgeholt neben ihnen, bis ich dem ein Ende setzte: „Okay, wir haben verstanden, dass ihr unverschämt hohe Preise habt, aber darum geht es gerade nicht. Ich hab die Nase voll davon, dass ihr jeden meiner Schritte beobachtet! Ich kann kaum um eine Ecke gehen, ohne euch zu begegnen." Mein Gesicht wurde vor Wut ganz heiß, als Ronan erwiderte: „Laut Vertrag sollen wir auf dich aufpassen, also finde dich damit ab. Für uns ist es auch kein Zuckerschlecken!" Widerwillig kam mit der Vertrag in den Sinn, in dem sich beide verpflichtet hatten, für meinen Vater zweihundert Jahre lang auf mich aufzupassen, aus Gründen ihrer gemeinsamenVergangenheit und Vaters Diskretion dessen. „Dann sagen wir einfach meinem Vater, ihr würdet auf mich aufpassen, obwohl wir getrennte Wege gehen", schlug ich vor und freute mich schon darauf, sie los zu sein. „Wir sind zwar Tuphayn, aber trotzdem noch Engel. Wir lügen nicht", machte Ronan seinen Standpunkt klar. Tuphayn waren entweder verbannte Dämonen, die der Hölle verwiesen und deren Kräfte geschwächt worden waren oder verbannte Engel mit geschwächten Kräften, was viel seltener der Fall war. Zum einen, da es nur noch sieben lebende Engel gab, zum anderen, weil Engel ja immer 'alles richtig' machten. Abgesehen von den beiden Exemplaren vor mir. Der Grund, weswegen sie verbannt worden waren, war ein wenig komplizierter, als es sonst der Fall war. Jedenfalls war Tuphayn die Bezeichnung dafür und gleichzeitig ein Schimpfwort in unserer Welt. Wenig hilfreich wandte Derek ein: „Naja, eigentlich könnten wir eventuell schon lügen..." Ronan warf ihm einen bösen Blick zu und fiel ihm ins Wort: „Aber wir tun's nicht. Es gehört sich nicht." Nach dieser Aussage bekam Ronan von allen Seiten schiefe Blicke zugeworfen. „Wir lügen aber ständig. Erst kürzlich hast du der Kleinen aus der Bar weismachen wollen, du wärst Millionär und dem Schwulen, der sich an dich rangemacht hat, hast du erzählt, du wärst verheiratet und..." Bevor Derek uns noch weitere interessante Geschichten aus Ronans Liebesleben berichten konnte, wurde dieser auch schon wieder von Ronan unterbrochen: „Nicht hilfreich, Azrael. Nicht hilfreich!" Kurze Stille trat ein, als Ronan Dereks richtigen Namen und zwar den des berühmten Engels gebrauchte und uns wieder mal klar wurde, dass die beiden nicht nur einfache menschliche Barbesitzer waren, die sich hin und wieder stritten. Die Namen Derek und Ronan waren Synonyme für Azrael und Raphael, die sie sich, nebenbei bemerkt, selbst ausgedacht hatten. Um das Schweigen zu überbrücken, hob Derek abwehrend die Hände: „In letzter Zeit fühle ich mich richtig von dir angegriffen. Wir müssen das mal klären." „Ich kenne da einen sehr guten Beziehungsberater! Preiswert und effektiv!", mischte sich Alex ein. Ronan fragte sarkastisch an Alex gewandt: „Seit wann brauchst du denn bitte einen Beziehungsberater? Ich meine...bei dieser gutmütigen Seele von Frau!" Mit einer laschen Handgeste deutete er auf mich. Nachdem ich beiden einen bösen Blick zugeworfen hatte, erkundigte ich mich konfus: „Wie kann man nur so schnell vom eigentlichem Thema abkommen?"
„Dazu gibt's nichts mehr zu sagen. Es bleibt so wie es ist und es wird sich so schnell auch nichts mehr ändern! Die restlichen 198 Jahre wirst du doch noch aushalten", zischte Ronan. „Außerdem sind wir nicht die schlechteste Gesellschaft. Immerhin sind wir im Herzen gut", schaute Derek tiefberührt in die Luft und klopfte sich stolz mit der Faust auf die Brust. „Okay...", meinte Ronan verwirrt und versuchte Dereks Blick zu folgen. „So langsam frage ich mich, was du heute Morgen in deinen Drink gekippt hast?" „So sehr ich eure Anwesenheit genieße, müssen wir euch nun leider verlassen. Nur bitte ich euch, uns nicht zu verfolgen. Selbst, wenn ich vom Riesenrad fallen oder eine Plastikkugel der Schießstände hier meinen Schädel durchbohren würde, wäre es nicht mein Tod. So könnt ihr euch sicher sein, dass mir hier nichts passieren wird." Ronan beäugte mich misstrauisch, derweilen Derek und Alex sich mit einem Schulterklopfen bereits voneinander verabschiedeten. Zum Abschied nickte ich beiden nur kalt zu. „Wir sehen uns dann", kam es von Alex. Und das würden wir auch, dachte ich und bereitete ich bereits auf die nächste Konfrontation vor.
„Ich ertrag die beiden nicht mehr", klagte ich, als sie weg waren. Sie waren nicht, wie man es sich von Engeln erwarten würde, auf ihren weißen Schwingen davongeflogen, sondern hatten sich von Alex ein Taxi rufen lassen. Außerdem war das mit den Flügeln so eine Sache... „Diese arroganten Mistkerle", fluchte ich noch eine Weile vor mich hin, während wir durch den 'High Mountain' spazierten. „Du kannst sowieso nichts dagegen machen. Außerdem finde ich Derek ganz okay, aber würde es dich glücklich machen, wenn ich dir", schnell warf er einen suchenden Blick auf die umliegenden Stände und deutete schließlich auf einen riesigen Stoffaffen, der vor seinem Stand versauerte, da niemand ihn gewinnen konnte", diesen Affen gewinne?" Bereits siegessicher lächelte er mich an. „Na gut, lass mal sehen", zweifelte ich an seinen Fähigkeiten. Schnell zerrte er mich durch die Menschenmasse vor den ausgesuchten Stand, wobei er einen Blick auf den Affen warf, der seine Arme für eine Umarmung ausgestreckt hatte. Der Mann hinter der Theke des Standes trug einen Schnurrbart, der an den beiden Enden gezwirbelt abstand. Die Uniform, die er trug, war zu groß für seinen schmalen Körper und hing schlaff an ihm herab. Abschätzigkeit sprach aus seinen Augen. „10 Dollar", verlangte der Mann und streckte die Hand aus, während Alex murmelte: „Diese Krise." Dennoch übergab er dem Mann das Geld und bekam die Pistole, die mit drei Kugeln geladen war, in die Hand gedrückt mit den Worten: „Na, dann zeig mal, was du kannst, Junge." Herausfordernd blickte er auf Alex, seine Augen blitzen in der Erwartung eines weiteren Verlierers, dem er noch mehr Geld abluchsen konnte. Als Alex schon konzentriert auf die acht Dosen starrte, die in einer Pyramide angeordnet waren, küsste ich ihn schnell auf die Wange und flüsterte: „Viel Glück."
Eine leichte Röte überzog Alex' Gesicht, als er den ersten Schuss abfeuerte. Die Kugel traf die linke Dose in der zweiten Reihe und riss gleichzeitig die oberste Dose mit. Sehnsüchtig blickte ich derweilen über die ganzen Kuscheltiere, die von der Decke hingen und dachte voller Sarkasmus an meine 'verlorene Kindheit'. „Glück", schnaubte der Mann. „Hoff ich doch nach dem Kuss meiner Freundin", verteidigte sich Alex und visierte die mittlere Dose der untersten Reihe an. Die Wucht des Schusses warf die Dose gegen die rechts daneben stehende, die die letzte Dose der zweiten Reihe und die äußerste rechte umschmiss. Der Mann schien es bald mit der Angst zu tun zu bekommen, da Alex der Hauptgewinn lockte. Staunend beobachtete ich Alex, dessen Waffe ruhig in seiner Hand lag. Ich hatte gar nicht gewusst, dass er so gut mit Pistolen umgehen konnte, auch, wenn sie nur aus Plastik bestanden. Bevor er den letzten Schuss tat, der die beiden letzten Dosen zu Fall bringen musste, drehte er sich kurz zu mir um und küsste mich schnell, aber intensiv: „Man hat nie genug Glück." Schief lächelte er mich an und schoss, das Gesicht mir zugewandt. Da ich wie gebannt in seine Augen schaute, konnte ich die zwei Dosen nur fallen hören.

DU LIEST GERADE
Shadow of Light
FantasíaDie zwei Jugendlichen Carry und Shade könnten unterschiedlicher nicht sein: Carry ist seit dem Tod ihrer Eltern eine erbarmungslose Jägerin aller übernatürlichen Spezies, während Shade ihr Leben als Dämon in vollen Zügen genießt. Als die beiden das...