Mein erster Impuls war zu verneinen. Ich wollte mich wirklich nicht mehr als nötig auf ihn einlassen, solange ich nicht hundertprozentig wusste, was es mit ihm und seinem Bruder auf sich hatte. Seit ich ihm zu ersten Mal begegnet war, konnte ich nur noch an seine Augen denken. So hell und klar, wie kein Mensch sie haben konnte. Unmöglich. Andererseits stand Ronan keine zwei Meter vor mir und ich konnte ihn von Nahem betrachten. Seine sanften Gesichtszüge charakterisierten hauptsächlich sein Gesicht. Seine Augenbrauen waren fragend zusammengekniffen und er hatte seinen Lippen ernst verzogen. Irgendwie fand ich es nicht so schwer, ihn mir als Engel vorzustellen. Als er kurz nervös lächelte, da ich ihn die ganze Zeit nur anstarrte, wollte ich nichts lieber, als ihn auf seine weichen, anbetungswürdigen, leicht vollen Lippen zu küssen. „Nein", sagte ich laut und entschlossen, um mich von dem Gedanken abzubringen. Nichts würde mich dazu bringen, einem Vermutlich-Engel so nahe zu kommen. Das würde, wie gesagt, nur Probleme bringen.
„Ja, okay...okay, du musst ja nicht...ich meinte nur...", verteidigte sich Ronan, hob abwehrend die Hände und blickte enttäuscht zur Seite. Erst da bemerkte ich, dass ich das Nein laut ausgesprochen hatte und er dachte, dies sei die Antwort auf seine Frage. Um die Situation noch zu retten, warf ich hastig ein: „Nein, nein! Ich meinte...ach, nicht so wichtig. Ich bleibe noch gern auf einen Drink!" Sein Gesicht erhellte sich und er fuhr sich mit einer Hand durch die kurzen, braunen Haare, die bis jetzt immer ungestylt waren, ihm aber genau deswegen gut standen. Ob er sie nur nicht stylen konnte oder wollte war eine andere Frage. „Such dir einen Tisch aus!", bot Ronan mir mit einer die ganze Bar umfassenden Geste an. Bestätigend nickte ich und suchte mir den speziellen Tisch aus, der auf einer kleinen Erhöhung, die man nur über drei kleine Stufen erreichen konnte, stand. Um diese Erhöhung herum war ein niederes, als Dekoration dienendes, Geländer. Ich setzte mich so, dass ich einen guten Blick über die gesamte Bar hatte und Ronan beobachten konnte, der gerade hinter der Bartheke irgendwelche Drinks zusammenmischte. Aufgeregt zappelte ich auf meinem Stuhl und strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Mein Handy vibrierte.
Schnell angelte ich es aus meiner wiedererlangten Tasche und merkte, dass mich jemand anrief. Beim Abheben sah ich, dass Tony mir bereits fünf SMS geschrieben hatte. Eine netter als die andere. Flugs warf ich einen Blick auf die Uhrzeit. Nervös biss ich mir auf die Lippe. Ich war bereits eine Viertelstunde zu spät bei meinen Freunden, da wir ja noch auf die Jagd gehen wollten. Hastig hob ich ab, Ronan immer noch beobachtend. So unschuldig wie ich nur konnte begrüßte ich ihn: „Hey, Tony. Was gibt's?" „Wie, was gibt's?", fuhr er mich an, „Du bist bereits eine Viertelstunde zu spät! Hast du vergessen, dass wir uns diese Werwölfe vorknöpfen wollen?! Oder bist du im strömenden Regen ertrunken?" Richtig beißender Sarkasmus. Ich musste zerknirscht gewirkt haben, da Ronan mich besorgt von hinter der Bartheke musterte. Mit einer laschen Handbewegung beruhigte ich ihn und deutete auf das Handy in meiner Hand. Zögernd kippte er immer mehr verschiedene Substanzen in den Shaker. Sollte ich mir Sorgen machen oder wusste er, was er tat? Tony unterbrach meine Gedankengänge: „Hallo?! Hörst du mir überhaupt zu?" Im Hintergrund hörte ich verschiedenen Lärm. „Ja, sorry, bin hängen geblieben", entschuldigte ich mich und fuhr fort: „Wenn ihr mir meine Ausrüstung, unauffällige Kleidung mitnehmt und mir die Adresse gebt, bin ich in einer Viertelstunde bei euch!". „Neben der Kunstgalerie Art by Julie G. Walnut Grove Road 38120 Memphis. Dort treffen wir uns." Ich nickte, als mir bewusst wurde, dass er mich ja nicht sehen konnte: „Ja, klar." „Dann bis in einer Viertelstunde! Pünktlich!" „Jap." In Eile legte er auf und erleichtert seufzte ich.
Noch kurz checkte ich die Uhrzeit und beschloss, dass der Drink in einer Viertelstunde zu schaffen wäre. Nachdem ich mein Handy wieder in meine Tasche hineingleiten gelassen hatte, blickte ich auf, in der Erwartung, Ronan immer noch hinter der Bar Cocktails mixen zu sehen. Doch war er nicht mehr dort. Erschrocken sah ich mich in der Bar um, bis ich ihn schließlich leicht amüsiert grinsend zu meiner Linken sitzen sah, die Cocktails vor sich stehend. Um ihn von diesen peinlichem Moment abzulenken, fragte ich ihn sarkastisch: „Die sind doch nicht beide für dich, oder?" „Nur, wenn er dir zu stark ist", grinste er schelmisch. Sein Lächeln war so berauschend, dass mich der Gedanke von vorhin, ihn zu küssen, wieder ergriff. Mutig und um ihm zu zeigen, dass ich nicht so ein kleines, schwaches Mädchen war, wie es vielleicht den Anschein hatte, griff ich nach einem der Gläser. Es waren Tequila ähnliche Cocktailgläser.
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Shadow of Light
FantasyDie zwei Jugendlichen Carry und Shade könnten unterschiedlicher nicht sein: Carry ist seit dem Tod ihrer Eltern eine erbarmungslose Jägerin aller übernatürlichen Spezies, während Shade ihr Leben als Dämon in vollen Zügen genießt. Als die beiden das...