19. Kapitel (Caroline)

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Der Wecker riss mich unsanft aus einem Traum, der nicht ganz jugendfrei war. Wütend fegte ich den piepsenden Teufel vom Regal, doch er hörte einfach nicht auf zu klingeln, sodass ich wirklich gezwungen war, aufzustehen und ihn auszuschalten. Dank Timothy, der mir diesen Wecker zum Geburtstag geschenkt hatte, hatte das Gerät keine Schlummertaste. Ich wollte mich gerade wieder zurück aufs Bett fallen lassen, als ich die Entfernung falsch einschätzte, von der Bettkante zu Boden glitt und hart auf meinem Hintern landete. Stöhnend, da durch den unsanften Aufprall nun alles an meinem Körper schmerzte, erhob ich mich und machte mich, immer noch in T-Shirt und Shorts auf den Weg in die Küche, um zu frühstücken. Als ich an den verschiedenen Türen vorbeiging, hörte ich jemanden in einem Zimmer schnarchen. Wahrscheinlich Sam. Da Julia und Tony sich ein Zimmer teilten und nur Sam und ich ein Einzelzimmer hatten, bildeten unsere Zimmer einen eigenen Bereich der Wohnung. Ein Geruch von Pfannkuchen wehte mir entgegen und wurde intensiver, je näher ich der Küche kam. Wer machte um diese Uhrzeit schon Pfannkuchen?! Sobald ich in das Wohnzimmer trat, konnte ich bereits Tony in der Küche hantieren sehen, die an das Wohnzimmer anschloss. „Tony?", fragte ich verschlafen und rieb mir die Augen. 

Fröhlich drehte Tony sich, einen Pfannenwender in der Hand, um und grüßte: „Oh, hey! Schon wach? Möchtest du ein paar Pfannkuchen?" Er lächelte. Sein Verhalten konnte ich mir nur auf zwei Weisen erklären: Entweder hatte ihn der Kampf nicht so sehr zugesetzt wie uns anderen oder er hatte im Anschluss noch richtig guten Sex mit Julia gehabt. Ich tippte auf zweites. „Ja, ich bin schon wach. Immerhin ist Schule", seufzte ich und setzte mich an den Küchentisch. „Gehst du denn? Wir anderen schwänzen heute, so wie nach jedem härterem Kampf." Schnell stellte er einen Teller mit zwei Pfannkuchen vor mich hin und drehte sich bereits wieder zum Herd, nachdem er mich auch ein Glas Wasser gereicht hatte. „Danke. Ich würd ja gern, aber ich muss mit Shade...eine aus meiner Klasse...ein bisschen an unserem Referat machen. Das wir von Allen aufbekommen haben." Da Tony mich genug kannte, um zu wissen, dass ich am Morgen Stille mehr schätzte als jede Art von Gesellschaft, bot er mir noch an, sein Auto zu leihen, damit ich nicht laufen oder den Bus nehmen musste. Überrascht nahm ich sein Angebot dankend an. Normalerweise konnte er es nicht leiden, wenn jemand anderes sein Auto fuhr. Der Sex musste verdammt gut gewesen sein. Mit diesen Worten verschwand er mit zwei Teller mit Pfannkuchen in Julias und seinem Zimmer. Wow, Frühstück im Bett. Keine Schule. Das wäre ein Leben, das es sich zu leben lohnt. Seufzend erhob ich mich, die letzten Krümel der köstlichen Pfannkuchen verspeisend, um mich anzuziehen. Nachdem ich mich für eine dunkelblaue Jeans und ein türkises T-Shirt entschieden hatte, machte ich mich widerwillig daran, ein wenig Wimperntusche aufzutragen. Man wusste doch nie, wen man treffen würde. Schnell schnappte ich mir die Autoschlüssel und rannte die Treppen, den Aufzug gekonnt ignorierend, hinunter, bis ich durch die Tür nach draußen trat.

In der letzten Stunde vor der Mittagspause hatte ich mich mehrmals darüber aufgeregt, dass Shade nicht im Unterricht aufgetaucht war. Anscheinend war ich völlig umsonst zur Schule gegangen und könnte stattdessen noch friedlich zu Hause im Bett liegen. Wann wollten wir dann mit unserem Referat beginnen? Überraschend wurde ich von Benedict Allen, der gerade Geschichte unterrichtete, aus meinen Gedanken gerissen: „Nun, wie geht es mir Ihrem Referat voran, Miss Black? Hoffentlich nicht so, wie mit der Aufgabe, die ich Ihnen gerade gestellt habe." Peinlich berührt ging mein Blick zwischen meinem leeren Blatt und der Tafel hin und her, auf der mehrere Fragen standen. „Wir sind fast fertig", verteidigte ich die nicht anwesende Shade und mich. Verblüfft zog er eine Augenbraue hoch. Seine scharfen Raubvogelaugen schienen mich zu durchschauen, als er fragte: „Dann macht es Ihnen doch bestimmt nichts aus, Ihr Referat morgen vorzutragen?" Mitleidige Blicke der anderen Schüler wurden mir zugeworfen und ich wollte nur noch im Boden versinken. Hätte ich die Wahl zwischen einem weiteren Werwolfrudel und Benedict Allen Frage und Antwort zu stehen, würde ich eindeutig das Rudel wählen. Die würden mich wenigstens eines richtigen Grundes wegen zerfleischen. Geistesgegenwärtig erwiderte ich: „Eigentlich würde es uns nichts ausmachen. Aber da Shade", ich deutete erklärend auf den leeren Platz neben mir, „ heute nicht hier ist, können wir es leider nicht beenden. Und somit müssen Sie sich wohl leider bis Montag gedulden." Selbstzufrieden lehnte ich mich in meinem Stuhl zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Wütend von einem Schüler in die Knie gezwungen worden zu sein, bemerkte er trocken: „Dennoch müssen Sie diese Fragen beantworten, wenn es Ihren Intellekt nicht zu sehr herausfordert." Ich knirschte mit den Zähnen und strengte mich an, ihm nicht an die Gurgel zu springen. Als ich meinen Bleistift, den ich in meiner Faust zerquetschte, bedrohlich knacksen hörte, lockerte ich meinen Griff und setzte gerade dazu an, die Fragen zu beantworten, als es klingelte.

Es war mein bisher schlechtester Tag hier in Memphis. Was nicht besonders viel zu sagen hatte, immerhin war ich erst vorgestern hier angekommen. Da ich Shade anrufen wollte, um zu fragen, was los war, verließ ich das Schulgebäude, ignorierte die in die Mensa strömenden Menschenmassen geflissentlich und holte mein Handy aus der Hosentasche. Der Hunger, sowie die Lust auf die Schule waren mir sowieso vergangen. Für einen Herbsttag war es angenehm warm und ich verfluchte mich, dass ich eine lange Hose angezogen hatte, die schon an meinen Beinen zu kleben begann. Hätte ich von vornherein gewusst, dass es so warm werden würde, hätte ich meine Short anbehalten. Die Sonne strahlte direkt auf mich herunter und blendete mich in den Augen. „Hallo? Hallo?!", kam es aus dem Hörer. Völlig aus den Gedanken gerissen, die eigentlich gar keine richtigen Gedanken waren, stammelte ich: „Oh, ja. Shade. Ich bin's, Carry. Ich wollte nur mal fragen, wo du steckst? Bist du krank?" Am anderen Ende von der Leitung blieb es kurz still, bis Shade antwortete: „Kann man so sagen." „Wie meinst du das? Bist du nun krank oder nicht?" Wenn sie nun auch nur schwänzte, war ich richtig sauer. Wie es aussah war heute niemand meiner Freunde in der Schule, abgesehen von mir. „Ähm...mir geht's wieder gut. Ich bin nur im Krankenhaus." „Was? Was hast du denn angestellt?" Nervös ging ich an der Straße entlang, ohne auf den Weg zu achten, oder auf die Richtung, die ich einschlug. „Der Arzt hat gemeint, ich hätte so eine Art Nervenzusammenbruch gehabt, aber ich kann heute schon noch gehen." „Oh mein Gott. Hoffentlich geht's dir bald wieder gut. Richtig gut. Nur...wie sollen wir jetzt mit unserem Referat beginnen? Allen hat schon danach gefragt."

 „Ach, Scheiße. Ich hab gerade so viel um die Ohren, dass ich dieses verdammte Referat völlig vergessen habe. Können wir nicht einfach eines aus Wikipedia ausdrucken?" genervt seufzte ich auf: „Hab ich schon versucht. Man findet nichts Gescheites." Nun kam auch von Shade ein genervter Laut: „Hmm...na gut. Wie wär's dann, wenn wir uns in so zwei bei mir treffen?" „Ja, klingt gut. Wo wohnst du?" „Geh zum Puzzles. Dann folge dem New Humphrey Boulevard ca. zehn Minuten nach Norden. Dort triffst du irgendwann auf Schorsch's Imbissstand, wo du rechts abbiegen musst. Da ist dann ein hoher Zaun und ein Klingelschild. Klingel einfach." In Gedanken orientierte ich mich an einer imaginären Karte Memphis'. „Ok. Gut. Bis dann!" „Bis dann." Ich wollte bereits umdrehen und Tonys heißgeliebtes Auto holen, welches gerade vor der Schule versauerte und mich auf den Weg machen, dieses Haus zu suchen, da die Suche aufgrund meiner fehlenden Ortskenntnisse wirklich länger als eine Stunde dauern würde, als neben mir eine schwarze Harley eine Vollbremsung hinlegte, bei der die Reifen protestierend quietschten und man verbranntes Gummi riechen konnte. Ich hustete und wedelte mit der Hand vor meinem Gesicht, um den Staub, der mir die Sicht vernebelte, zu verscheuchen, als besagter sich legte und ein verdammt gutaussehender Derek zum Vorschein kam.

 „Hey! Hast du die Zeit, bis der Staub sich gelegt hat, etwa dazu genutzt, dich cool hinzusetzten? Ich glaube nicht, dass jemand so Motorrad fahren kann." Anklagend deutete ich auf ihn, der er provokant lässig auf seiner Harley saß, mit einem Ellbogen auf den Lenker gestützt. Schnell richtete er sich wieder auf und meinte verlegen: „Ähm...nein...das wäre doch vollkommen...bescheuert." Ich musterte ihn nur kurz mit gehobener Augenbraue. Seine schwarzen Haare standen wegen des Fahrtwindes wirr von seinem Kopf ab. Es war mir ein Wunder, wie er es schaffte, mit seiner schwarzen Lederjacke nicht zu heiß zu haben. Unter dem blauen T-Shirt, das er trug, erkannte ich, einen Ausschnitt eines Tattoos, welches ich nicht genau beschreiben konnte. Seine Jeans saß tief auf seiner Hüfte und ließ Bauchmuskel erahnen. Um mich von seiner so vollkommen Erscheinung abzulenken, deutete ich auf seinen wirren Haare und meinte: „Bist du dir zu cool, einen Helm aufzusetzen? Oder ist Sicherheit inzwischen out?" Erleichtert, dass ich nicht länger auf seinem Auftritt herumritt, lachte er und versuchte, mit seinen Händen seine Haare glatt zu streichen. Ohne Erfolg. Mit plötzlicher Zuversicht, was vermutlich auf mein Lächeln zurückzuführen war, fragte er mich: „Hast du Lust auf eine Spritztour?"

 

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