12. Kapitel (Shade)

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„Hättest du mir nicht etwas anderes gewinnen können?", schnaufte ich frustriert, in den Armen den riesigen Stoffaffen. „Wenn ich schon an so einem sinnlosen Spiel teilnehme, gewinne ich nur das Beste, also...nein", schmunzelte Alex, der vor mir ging und mich hin und wieder davor bewahrte, auf die Straße zu stolpern. Die Dunkelheit verschlimmerte noch zusätzlich mein Sichtproblem. „Sind wir bald da?", nörgelte ich wie ein kleines Kind. „Ja, es ist gleich um die Ecke." Befreit stellte ich den Affen kurz auf den Gehweg, als wir um die Ecke gebogen waren, und vor dem Tor standen, welches ,nach einer kurzen, trauerweidengesäumten Allee, zur Haustür führte. Galant hielt er mir das Tor auf und meinte: „Ich hab dir nicht den Affen gewonnen, damit du ihn auf die Straße stellst." Augen verdrehend hob ich den Affen wieder auf und schritt durch das schmiedeeiserne, hohe Tor. Die Allee wirkte länger als sonst, was vermutlich am Gewicht des Stoffaffen lag. „Zum Glück sind wir dem Abendessen entgangen", sagte ich zufrieden. „Ja, aber ich könnte trotzdem noch einen Happen vertragen", stellte Alex klar.

Die letzten drei Stufen, die zur Haustür führten, bot er an: „Komm, ich trag den Affen für dich." Mit einem vernichtenden Blick überreichte ich ihm den Affen und stolzierte beleidigt an ihm vorbei ins Haus. Die Haustür war nie zugeschlossen. Kein Einbrecher würde weit kommen und würde es dennoch jemandem gelingen, etwas zu klauen, würde er es bitter bereuen. Als Alex die Haustür hinter sich geschlossen hatte, wehte mir der Duft von frisch zubereitetem Essen in die Nase. Braten. Auch meinem Freund schien es aufgefallen zu sein, da er an mich gewandt fragte: „Ich dachte, sie haben schon..." „Oh, ihr seid genau richtig zum Abendessen", unterbrach mein Vater ihn, der gerade, wie immer in einem Anzug, in die Eingangshalle kam. Neben mir konnte ich Alex schlucken hören und er umklammerte den Affen. Als würde das noch was bringen. Vaters Blick wurde von dem Affen angezogen. Skeptisch hob er eine Augenbraue und wollte wissen: „Woher hast du das?" „Aus dem 'High Mountain'...ich hab gewettet, dass er es nicht schafft und so..." „Deine Ausreden werden immer fadenscheiniger", deutete Dad an. „Ähm...welche Ausreden?" Kurze Stille breitete sich aus, bis mein Vater sie mit dem Satz: „Gehen wir essen", durchbrach. Alex stellte den Affen vor die Treppe, damit wir ihn nachher nicht vergessen würden. Nachher wünschte ich mir noch oft die unangenehme Stille zurück.

Die Tafel war von einer weißen Tischdecke bedeckt. Darauf war das ganze Besteck, inklusive einer Flasche Rotwein, schön hergerichtet. Die Gläser selbst bestanden aus Kristallglas und die Teller aus weißem Porzellan. In der Mitte stand ein silberner Kerzenständer, auf dem sechs Kerzen brannten. Mein Vater setzte sich ans Kopfende der Tafel, Alex zu seiner Rechten. Lissa, die den Raum gerade betrat, nahm, nachdem sie einen schmachtenden Blick auf Alex geworfen hatte, genau neben diesem Platz. Der Ausschnitt ihres blauen Kleides reichte beinahe bis zu ihrem Bauchnabel und ließ auf ihr gut gefülltes Dekollte aufmerksam werden. Der Blauton ihres Kleides erinnerte mich an Carrys Tasche und da kam mir in den Sinn, dass sie diese in der Bar vergessen hatte. Ich hoffte, ihr war es aufgefallen, bevor Ronan die Bar schloss. Der Speisesaal lag direkt neben der Eingangshalle, von der eine Treppe nach oben führte. An den Speisesaal schloss die Küche an, die ich selten betrat. Aus einem ganz einfachen Grund: ich konnte nicht kochen. Der Kronleuchter baumelte von der Decke und ich wünschte insgeheim, er würde mich erschlagen, bevor unser Gespräch, welches sicher noch folgen würde, begann. Murrend setzte ich mich gegenüber Lissa, sodass meine Mutter zwischen meinem Vater und mir Platz nehmen konnte. Da kam auch schon meine Mutter mit dem Essen durch die Tür und stellte die Terrine mit dem darin brutzelnden Braten neben den Kerzenständer. Der Hosenanzug meiner Mutter war schwarz und sie wirkte, als wäre sie gerade aus einer Anwaltskanzlei gekommen. Vollkommen übertrieben, dass sie sich immer so anzog. Mein Vater hatte Style, meine Mutter wollte einfach nur auffallen. Sie lächelte noch einmal kurz in die Runde und ließ sich mit den Worten: „Guten Appetit!", neben mir auf den Stuhl sinken.

Wie ein dunkler Vorhang breitete sich die Stille über uns. Und so konnte es von mir aus gesehen auch bleiben. Wenn da nicht Lissa wäre: „Ist euch eigentlich aufgefallen, dass eine Vase fehlt?", fragte sie mit einem scheinheiligen Seitenblick auf mich. Sie klimperte mit ihren langen Wimpern Alex zu. Ihn wollte sie nicht in Schwierigkeiten bringen, nur mich. Zwar wusste sie nicht genau, was geschehen war, aber da wir die einzigen waren, die zu Hause gewesen waren, war die Auswahl nicht besonders groß. Kurz bevor wir zum 'High Mountain' gegangen waren, hatte ich die Scherben entsorgt, jedoch stand der Sockel immer noch einsam und alleine im Gang. Meine Mutter strich sich ihr schwarzes, glattes Haar aus dem Gesicht und merkte an: „In der Tat. Was ist hier geschehen?" Mit einer Serviette tupfte sie sich den Mund ab und nahm gleich darauf einen Schluck Rotwein. Vaters Blick huschte zwischen Alex und mir hin und her. Er würde sicher nichts vermuten. Das konnte er überhaupt nicht. Das wäre das Ende.

„Welche Vase?", verschluckte sich Alex an seinem Wein und räusperte sich kurz. „Die, die bis vor nicht allzu langer Zeit, im Gang zu deinem Zimmer ihren Platz hatte, Alexander", machte meine Mutter ihn darauf aufmerksam. Sie war und wird immer die einzige sein, die Alex Alexander nannte. Selbst mein Vater nannte ihn Alex. „Vielleicht sind Lilliths Häscher eingebrochen und haben ein bisschen randaliert...", ruderte ich zurück, bevor die Situation noch zu brenzlig werden konnte. „Und sie würden eine Vase stehlen?", zweifelte Lissa. „Vielleicht brauchen sie ein Geschenk für ihre Schwiegermutter?" Alex warf mir über die Tafel einen Blick zu, der förmlich schrie: Dein Ernst?! Mutter und Lissa sahen mich verwirrt an, während Vater sich mehr Braten auf den Teller tat, sich diesen mit Bratensoße aus der Sauciere garnierte und die Diskussion nur als stummer Zuschauer zu verfolgen schien. „Okay", schloss Lissa mit verwirrtem Blick. „Aber was ist dann mit dem Gemälde?", hakte sie nach.

Zähneknirschend verfluchte ich Lissa stumm. Ich konnte sie direkt vor mir sehen, wie Lissa das ganze Haus inspizierte, um irgendetwas zu finden, was mich in Schwierigkeiten bringen könnte. „Mit welchem Gemälde?", wollte meine Mutter alarmiert wissen. Lissa wandte sich selbstzufrieden an Mutter: „Das an der Treppe. Mit dem Goldrahmen und der fetten Frau." „Was ist damit?" „Es hat einen etwa fingerlangen Riss unten." Mutter keuchte entsetzte auf und ich schlug mir einfach verzweifelt die Hand gegen die Stirn. Alex schien angestrengt nachzudenken und erhob sich ein bisschen, um sich noch ein wenig vom Braten zu nehmen. Dabei warf er mir einen flüchtigen Blick zu und formte mit dem Mund: Ich liebe dich. Oh, nein. Alex lenkte nicht mit fadenscheinigen Ausreden ab, sondern mit aussagekräftigen Taten. Ich kannte das. Mit der rechten Hand wollte er anscheinend nach der Bratengabel greifen, stattdessen kam er mit der Hand „aus Versehen" etwas zu weit nach rechts und zündete sich den Ärmel an. „Ach, du meine Güte, Alexander!"; schrie meine Mutter aus. Inzwischen hatten die Flammen bereits seinen gesamten rechten Arm ergriffen. Fluchend wedelte er mit dem Arm, um die Flammen zu löschen, wobei er sie jedoch nur noch mehr anheizte. Im wahrsten Sinne des Wortes. Vater saß immer noch auf seinem Platz und aß seelenruhig weiter. Wo ich ihn kurz beim Essen sah, kam mir die Idee mit der Soße. Zwar waren Flammen nicht tödlich für ihn, dennoch war es nicht schön anzusehen. Lissa und Mutter waren aufgestanden und suchten hektisch nach einer Möglichkeit, ihn zu löschen. Währenddessen packte ich kurz entschlossen die Sauciere und schüttete sie genau in dem Moment über ihn, als er sein Hemd ausgezogen hatte. Entgeistert starrten wir alle auf Alex, der vor Bratensoße nur so triefte und dessen Hemd, welches er auf den Boden geschmissen hatte, mehr als nur Brandflecken aufwies. Die Flammen waren gelöscht...auf die eine oder andere Weise. Schnell schnappte ich mir die Reste des Hemdes und verkündete: „Alex, geh du doch schon mal duschen. Ich werfe das weg. Esst ihr nur ruhig weiter." Ich packte Alex am Arm und zerrte ihn mit mir aus dem Speisesaal, bevor Lissa noch länger auf seinen Körper starren konnte.

Nachdem Alex frisch geduscht in sein Zimmer kam, saß ich auf seiner Bettkante. „Danke. Aber so weit hättest du nicht gehen müssen", lächelte ich ihn an und kam auf ihn zu. Er trug seine Boxershorts und sein weites, schlabbriges T-Shirt. Sein übliches Schlafoutfit. „Naja...die Soße war nicht unbedingt nötig." Leicht schlug ich mir auf die Brust, während ich mit bester Derek Imitation verkündete: „Was kann ich dafür, wenn ich die Liebe meines Lebens vor den tödlichen Flammen mit Soße retten wollte?" „Tut mir leid", lachte er leise. „Was machst du eigentlich hier?", wollt er kurz darauf von mir wissen. „In meinem Zimmer ist es mir etwas zu kalt und da dachte ich, zu zweit wäre es wärmer." Skeptisch erwiderte er: „Dir ist nie zu kalt." Ich warf ihm einen vielsagenden Blick zu. „Oh...ähm...wir könnten kuscheln, wenn du so zu kalt hast?" Hoffend, das Richtige gesagt zu haben, blickte er auf mich herab. „Gute Idee." Männer waren manchmal so begriffsstutzig. Schon bald schlief ich, in seine kräftigen, warmen Armen gekuschelt, ein.

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