20. Kapitel (Shade)

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Noch lange, nachdem der Arzt gegangen war, lag ich reglos in meinem Bett und versuchte herauszufinden, wer das fremde Mädchen, das mir den Drink gereicht hatte, gewesen war. Und was ich ihr getan hatte, dass sie mich so sehr hasste. So sehr, dass sie mich so schwächen wollte, dass ich so gut wie hilflos war, würde jemand mich endgültig töten wollen. Aber egal, wer das Mädchen war, sie schien zu wissen, was sie tat, da die Dosis an Gold in meinem Blut gerade groß genug war, mir noch Zeit gab, mich weit genug vom Isus zu entfernen, da es nicht besonders schlau wäre, in einer Bar voller übernatürlicher Kreaturen, ein solches zur Strecke zu bringen. Das Mädchen hätte seinen letzten Atemzug getan. Was mich wieder zu der Frage mit dem Warum brachte. Warum hatte sie es genau auf mich abgesehen? Was hatte ich ihr getan? Hatte ich mal jemanden getötet, den sie kannte oder liebte? Oder hatte ich sie gar selber mal bedroht? Aber daran würde ich mich doch erinnern, oder? Und wo, verdammt noch mal, war Alex? Wütend schnaubte ich und schlug die Decke zurück, damit ich endlich wieder meine Kleidung anziehen konnte, die man mir in der Zwischenzeit gebracht hatte. Ich konnte nicht mal zwei Schritte in Richtung meines Kleiderstapels gehen, um mich endlich des peinlichen Krankenhausdresses zu entledigen, als sich die Tür öffnete und zwei überaus gestresst wirkende Engel hereinstürmten. 

Derek, der mich in seiner Lederjacke von oben bis unten musterte, wackelte anzüglich mit den Augenbrauen und merkte an: „Stylisch." „Halt die Klappe", stöhnte ich genervt, „ und dreht euch gefälligst um." Gehorsam drehte sie sich um, wobei mir Ronans erschrockene Miene gut in Erinnerung blieb. So schnell wie es ging zog ich mich um, wobei mir auffiel, dass der wertvollste Gegenstand, den ich gestern bei mir trug, nicht mehr da war. „Wo, zum Teufel, ist mein Dolch?"; zischte ich aufgebracht. „Ich denke, wir dürfen uns wieder umdrehen", kam es von Derek. Ronan atmete tief ein und wieder aus: „Wollen wir wirklich den Herrscher der Unterwelt da mit hineinziehen?" „Halt die Klappe", schnauzten Derek und ich ihn zeitgleich an. Davon ließ er sich jedoch nicht beirren und warf mir vor: „Was machst du überhaupt hier? Da wollen wir dir einmal ein bisschen mehr Freiraum geben, schon landest du im Krankenhaus!?" Wütend funkelte ich ihn an und meinte: „Ist nicht meine Schuld! Alex musste mitten in der Nacht weg!" „Konnte Alex nicht mal auf dich aufpassen? Nur einen Abend lang?", erkundigte sich Ronan. Verlegen blickte ich zur Seite und meinte: „Er wusste ja nicht, dass ich ihm folge." „Wow, das nenn ich Vertrauen", schnaubte Derek amüsiert. Nun war er an der Reihe, von mir wütend angefunkelt zu werden. „Jedenfalls werden wir ab jetzt noch besser auf die achtgeben müssen, bevor dein Vater etwas davon mitbekommt", schlussfolgerte Ronan praktisch. 

Meinen Blick an Dereks Kaffeebecher geheftet, meinte ich beleidigt, ohne darauf zu achten, was Ronan gerade gesagt hatte: „Ehrlich? Du hast dir einen Kaffee geholt, aber mir keinen mitgebracht?" Er nahm einen tiefen Schluck, während er anmerkte: „Ich habe kein Geld mehr." Davon bekam er einen schiefen Blick von uns beiden zugeworfen. Wenn er wirklich kein Geld mehr hätte, würde er es sich von Ronan „leihen". „Schmeckt sowieso nicht gut", wimmelte er ab und nahm noch einen tiefen Schluck. Ungläubig zog ich eine Augenbraue hoch und fügte, wieder zum Thema zurückkommend, hinzu: „Jedenfalls könnt ihr beide mir heute Nacht helfen, hier einzubrechen." Derek prustete beinahe seinen Kaffee wieder aus, was ich ihm so was von gegönnt hätte. Auch Ronan machte ein erschrockenes Gesicht: „Warum?" Schnippisch antwortete ich: „Weil die mir meinen Dolch gestohlen haben! Und ich habe schon mal für ihn getötet. Ein Einbruch ist da nicht weiter schlimm. „Abgesehen, dass wir uns strafbar machen würden, meinst du", sagte Ronan gesetzestreu. „Es wäre ja nicht unser erstes Mal", meinte Derek und strich sich nachdenklich das Kinn. „Das kann man jetzt aber auch anders verstehen", lachte ich. Derek fiel mit ein, während Ronan verwirrt in die Gegend starrte. „Außerdem kann ich heute Abend nicht", warf Ronan ein und wurde rot. „Was hast du denn bitte Wichtiges vor?", erkundigte sich Derek beleidigend. „Erstens, sag das nicht so, als würde nie was unternehmen und zweitens...ich hab ein Date." Ein Lächeln stahl sich in sein Gesicht. „Mit wem?", fragte ich ungläubig. „Mit...Carry." „Wie vielen von deinen Cocktails hatte sie intus, als du sie das gefragt hast?", hakte ich misstrauisch nach. „Nur einen! Aber deswegen hat sie nicht ja gesagt", verteidigte er sich. „Ja, natürlich", sagte ich. Derek wirkte merkwürdig abwesend, als ich ihn fragte, ob er wenigstens dabei sei oder ob er auch ein Date hätte. „Ich bin dabei"; meinte er abwesend.

Gerade in diesem Moment, als wir unsere Einbruchspläne ausgereift und Ronan nur sprachlos daneben gestanden hatte, öffnete sich die Tür und meine Eltern traten ein. Mein Vater, wie immer perfekt gekleidet, und meine Mutter, so gestylt, als würde sie gleich in die Oper gehen, wirkten nicht im mindesten besorgt sondern viel eher wütend. Die zwei Brüder wirkten, als sie meinen Vater sahen, der energischen Schrittes eintrat, ein wenig eingeschüchtert. Kein Wunder, als Vater auf die beiden zuging, mich nicht beachtend, und sie einfach wütend anstarrte, das schwarze Haar zurückgegeelt: „Eigentlich hatte ich gedacht, Engel wären wenigstens für etwas gut, aber da hab ich mich wohl getäuscht." Seine Stimme war bedrohlich leise und selbst ich bekam eine Gänsehaut, obwohl seine Wut nicht gegen mich gerichtet war. Zum Glück. Ich hatte keine Ahnung, was in ihnen beiden gerade vorging. Allerdings wirkten sie, als wären sie überall lieber als hier. „Warten Sie mal, immerhin ist mitten in der Nacht einfach so verschwunden, ohne uns zu informieren. Was hätten wir tun sollen?" „Einen Peilsender an sie heften?", warf Derek ein. „Nicht so frech. Ihr vergesst, mit wem ihr sprecht." 

Vater packte Ronan, der näher bei ihm stand, an der Kehle und hob ich leicht hoch, sodass seine Füße gerade mal zwei Zentimeter über dem Boden schwebten. Ronan keuchte und packte Vater am Handgelenk und versuchte, ihn dazu zu bringen, ihn loszulassen. So schreckerstarrt wie Derek war, konnte er gar nicht eingreifen. Ich selbst war überrascht. Nur meine Mutter schien sich zu besinnen und kam schnell auf ihn zu: „Matthew, lass ihn los. Es könnte gleich jemand reinkommen." Langsam ließ Vater Ronan los, der zu Boden sackte und sich hustend den Hals rieb. Derek beugte sich zu ihm runter und klopfte ihm auf die Schulter. Nun wandte mein Vater sich zu mir. Seine Wut schien etwas besänftigt zu sein: „Also, warum warst du mitten in der Nacht, ohne jemanden zu informieren, im Isus?" Anscheinend war es wieder mal Zeit, für eine meiner genialen Ausreden: „ Also...das war so...Ich hab mich vor ein paar Tagen bei einer Online-Dating-Website für Übernatürliche angemeldet, weil ich ja keinen Freund habe und mich deshalb so einsam gefühlt habe. Ich habe niemandem etwas erzählt, weil es mir einfach zu peinlich war. Und in der Nacht hab ich mich dann mit einem meiner Treffer im Isus getroffen und es war so spät, weil er ein Vampir ist." „Ein Vampir kommt mir nicht ins Haus", merkte Vater an und drehte sich wieder um. Ich hatte keine Ahnung, wieso Vater mir immer alles glaubte. Mutter wirkte völlig aufgelöst, was ihre perfekte Maske zerstörte. Ronan hatte sich wieder gefangen und kam wieder auf die Beine, nicht, ohne meine Vater böse zu mustern. „Dass das ja nicht nochmal passiert", warnte er die beiden und verließ mit Mutter und mir auf den Fersen das Zimmer.

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