17. Kapitel (Caroline)

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Immer tiefer schlichen wir uns in das dunkle unterirdische Gewölbe der ehemaligen Kunstgalerie. Vereinzelte Statuen und Gemälde, die anscheinend niemand bei der Auktion hatte ersteigern wollen, wirkten unheimlich und schienen uns zu warnen, nicht weiter in das Gebäude einzudringen. Unsere Schritte hallten im scheinbar verlassenen Gang viel zu laut wider. Da es zu dunkel war, um den Weg, den wir gehen mussten, genau ausmachen zu können, verließen wir uns auf unser Gehör und folgten den immer lauter werdenden Stimmen wütender Werwölfe. Sie sprachen anscheinend über ein verschwundenes Rudelmitglied. Nachdem wir angespannt um einige Ecken gebogen waren, konnte ich am Ende des Ganges, der von inzwischen kahlen Wänden eingerahmt war, unter einem Türschlitz einen Lichtschimmer wahrnehmen. Und anscheinend war ich nicht die einzige. „Wer war eigentlich der Typ, der dich vorhin hierhergefahren hat?", kam es in diesem wirklich unpassenden Moment leise von Sam, während wir anderen bereits auf die Tür zuhielten. „Sam, dein Ernst?", zischte Tony ihn an. „Unpassender Zeitpunkt", pflichtete Julia Tony bei. Völlig auf die Mission konzentriert, beachtete ich Sam gar nicht und ging weiter auf die lichtumsäumte Tür zu, flankiert von Tony und Julia. Sam hinter uns murmelte indes beleidigt: „Wollte ich doch nur wissen, sollte ich sterben." „Wo bleibt dein Optimismus?", fragte ich ihn kurz vor der Tür. Schnell gab Tony Julia ein Zeichen, die Tür zu öffnen. „Wartet. Was ist unsere Strategie?" „Am Leben zu bleiben", meinte Julia und öffnete die Tür.

Tony, der sich bereits moralisch auf seinen Auftritt vorbereitet hatte, schritt, den Silberpfahl in der Hand, als erster durch die Tür. Dicht gefolgt von mir, Julia und Sam. Der Alpha hielt mitten in seinem Satz inne und starrte uns mit seinen bernsteinfarbenen Augen durchdringend an. Kurz darauf hafteten vierundzwanzig weitere Blicke an uns. Stille breitete sich aus und es war ziemlich unangenehm. Später wusste ich nicht mehr, wer den Anfang gemacht hatte, was vielleicht an Ronans Drink lag, dessen Wirkung immer noch nicht verflogen war. Jedenfalls waren wir kurz darauf in dichtem Kampfgetümmel und ich war umso glücklicher, dass heute kein Vollmond war. Wir wären auch dumm, würden wir in einer Vollmondnacht den Angriff wagen. Schon bald hatte ich meine Freunde aus den Augen verloren, doch ich kam gar nicht so weit, mir Sorgen zu machen. Ich war zu beschäftigt. Irgendwie nahm ich das alles nicht als viele Einzelkämpfe wahr, sondern als einzige, große Schlacht. Dennoch blieben mir einige meiner Gegner zu genau in Erinnerung. Wie der junge Mann, der, bevor ich ihn mit dem Silberpfahl das Herz durchbohrte, richtig hübsch gewesen war. Oder die ältere Frau, deren braunes Haare bereits graue Strähnen aufwies, die aber dennoch so viel Kraft hatte, wie der junge Mann vor ihr. Das Blut spritzte mir über die bisher saubere Kleidung und tränkte sie rot. Na toll, das würde Flecken geben. Da der Pfahl in ihrer Brust stecken geblieben war, bückte ich mich schnell danach, da mich in diesem Moment bereits jemand von hinten packte und mir den Arm um den Hals schlang, mit der offensichtlichen Absicht, mich zu erwürgen.

Mein Atem wurde langsame knapp und ich versuchte verzweifelt, ihn abzuschütteln. Was sich als schwer erwies. In einem letzten Aufbäumen stieß ich dem kräftigem Mann zwischen die Rippen und meine Hand vibrierte leicht, als der Pfahl an seinen Knochen entlangschrammte. Aufkeuchend lockerte er seinen Griff und erleichterte es mir somit, unter seinem Arm hindurch zu schlüpfen. Als ich mich umdrehte, um ihn den Pfahl ins Herz zu rammen, kniete er vor mir und versuchte die Blutung an seiner Seite mit der Hand zu stoppen. Schmerz zeichnete sich in seiner Miene, als er zu mir aufblickte. „Warum? Wir haben euch nichts getan", warf er mir vor, bereits dem Tod in die Augen blickend. Da ich nicht wusste, was ich darauf erwidern sollte, trat ich einen Schritt nach vorne, trieb ihm den Pfahl in die Brust und beobachtete, wie er seinen letzten Atemzug tat. Und kurz bevor das Licht in seinen Augen erlosch, sagte ich, da es mir falsch erschien, ihn ohne eine Antwort sterben zu lassen: „ Das ist mein Job."

„Hat jemand von euch ein Taschentuch? Dieses Blut geht nicht mehr ab, wenn es erstmal getrocknet ist", beschwerte sich Sam taktlos. Mit einem vorwurfsvollen Blick warf ich ihm ein Tempo zu, welches ich in den Taschen meiner „Uniform" fand. „Wo ist eigentlich der Alpha?", fragte Julia. Der letzte Teil des Satzes ging in einem erschrockenen Schrei unter, den ich ausstieß, als eine Hand meinen Knöchel packte und mich zu Fall brachte. Der ältere Mann, dessen halbes Gesicht von einem Bart verdeckt wurde, setzte sich rittlings auf mich drauf und umfasste mit seinen Pranken meinen Hals. Zum zweiten Mal in dieser Nacht wollte mich jemand erwürgen. Bevor ich mich überhaupt wehren konnte, lockerte sich sein Griff und der Alpha kippte neben mir auf den Boden, verwundert auf das Loch starrend, welches durch seine Brust gestoßen worden war. Sam stand über mir und reichte mir die Hand, sein Pfahl erneut von Blut triefend. Dankend ergriff ich diese und er zog mich hoch. Als ich wieder auf meinen eigenen Beinen stand, zog Sam mich ungewollt in eine Umarmung und strich mir wiederholt übers Haar, während er leise murmelte: „Ist schon gut. Es ist alles vorbei." Verwirrt runzelte ich die Stirn und tätschelte ihm die Schulter: „Ähm...mir geht's gut, Sam. Nichts passiert." Langsam befreite ich mich aus seiner Umarmung, während ich meine immer noch vom Vampirangriff verletzte Hand schüttelte. Im Laufe des Kampfes hatte sie wieder zu Schmerzen begonnen. Sam schaute mich noch einmal besorgt an, bevor er sich ein weiteres Mal daran machte, seinen Silberpfahl zu säubern.

Später, als ich mich endlich in mein Bett kuscheln konnte, fühlte ich mich zum ersten Mal seit sehr langer Zeit allein. Es war mein erster ganzer Tag in einer neuen Stadt und so viel war bereits passiert. Zwar hatte ich neue Freunde gefunden, doch vermisste ich Rachel, die sich immer in mein Bett geschlichen hatte, wenn sie nicht schlafen konnte. Ich wünschte, ich hätte nun ein Bett, in das ich schleichen konnte. Doch wahrscheinlich hatte ich das verdient. Wahrscheinlich sollte ich mich schlecht fühlen. Als wir diese ganzen Werwölfe getötet, ihre Leichen zu einem Haufen gestapelt und sie mit Sams Feuerzeug verbrennt hatten, hatte ich nicht den leisesten Hauch von Mitleid verspürt. Was mir irgendwie zu denken geben sollte. Doch das tat es nicht. Seufzend drehte ich mich auf die andere Seite und ließ den Tag Revue passieren, um mich von alldem abzulenken. Den Kater, das Referat, Alex und Shade und der unfreiwillige Kuss, Derek und Ronan...Bei ihm blieben meine Gedanken dann hängen. Er war einfach nur atemberaubend. Und ich musste daran denken, dass er genau in das Klischee eines Romanhelden passte. Leider konnte ich noch nicht sagen, ob das gut oder schlecht war. Jedenfalls war der Gedanken, dass er ein Engel war nicht so weit hergeholt. Dabei kam mir unser morgiges...oder besser gesagt unser heutiges...Date in den Sinn. Doch das konnte es nicht bleiben. Ein Date. Wie gesagt, ich hatte einen Vorsatz. Ich würde mich mit ihm treffen, aber wir würden nur Freunde bleiben. Mit mir im Reinen legte ich mich entspannt in meine Schlafposition, kuschelte meine Decke und versuchte, nicht mehr zu denken. Nur Freunde. Leider.

Shadow of LightWo Geschichten leben. Entdecke jetzt