Es war grausam. Ich wollte die Augen öffnen, aber es funktionierte nicht. Ich wollte meine Zehen bewegen, aber ich spürte sie nicht. Ich wollte schreien, aber es drang kein Laut aus meiner Kehle. Ich war gefangen, gefangen in meinem eigenen Körper. Panik stieg in mir auf und drohte mich zu ersticken. Wehrlos ausgeliefert, wie ein Lamm eingekesselt in einem Rudel Wölfe, begrub mich die Angst. Doch kurz bevor die Beklemmung meinen Geist zu erdrücken schien, bemerkte ich, dass ich denken konnte, ich war klar bei Verstand, doch nichts reagierte auf meine Anweisungen. Fühlte sich so der Tod an? Ich wusste es nicht. Ich konnte nichts sehen, nichts riechen, nichts schmecken und nichts fühlen. Alles was es gab, waren meine Gedanken- mitten in einer endlosen Finsternis. Und diese dröhnten wie ein Presslufthammer in meinem Schädel. Was ging hier vor sich? Und plötzlich wurden meine Gedanken übertönt. Ein Ton. Ein Piepsen, das die Leere ausfüllte und mir plötzlich bewusst machte, dass ich am Leben war. Stetig und ohne Ausnahme konnte ich ihn vernehmen, er gab mir Halt.Es war tragisch. Trotz der geschwollen Augenlider, war ihre Schönheit unverkennbar. Es sah aus, als würde sie schlafen, als könnte sie jeden Moment wieder aufwachen und mich mit funkelnden Augen anstrahlen. Es hatte keine Sekunde gedauert, da hatte sich ihr Leben auf einen Schlag geändert- und jetzt lag sie hier; einzig allein das Piepsen der Beatmungsmaschine bestätigte mir, dass sie noch am Leben war. Die Tür öffnete sich und Frau und Herr Rosowski traten ein, sein Blick glitt zu Boden, ihr Blick war mit Tränen gefüllt.Es war unverkennbar ihre Stimme. Auch wenn die Worte in heißerem Schluchzen untergingen, so war es meine Mutter, die sprach. „Wieso ausgerechnet sie? Eine Minute später und der Unfall wäre nie passiert!" Jetzt war es mir klar; das Piepsen und die Taubheit in meinem ganzen Körper ergaben auf einmal einen Sinn. Ich lag im Koma. Auch wenn mir scheinbar jegliche Sinne abhanden gekommen waren, so war mein Gehör noch in Takt. Ich hörte ein leises metallisches Klicken, die Tür ging auf.Es war der Arzt. Der weiße Kittel und die blasse Haut ließen die Adern an seinen Schläfen hervortreten. „Gibt es Neuigkeiten?", fragte Frau Rosowski; das Zittern ihrer Stimme hing im Raum. Er nickte. „Nun, nach einigen Untersuchungen steht fest, das die Gehirnaktivität ihrer Tochter stark nachgelassen hat...", doch bevor er fertig gesprochen hatte und ohne die Hälfte des Satzes zu verstehen, wusste ich, dass das keine guten Neuigkeiten waren. Meine Hände formten sich zu Fäusten und umklammerten krampfhaft das Bettende; bis meine Knöchel weiß wurden. Frau Rosowski fiel auf die Knie und erstickte in einem Schwall aus Trauer und Verzweiflung, ihr Mann verlagerte sein Gewicht nach hinten, um nicht vorne über zu kippen. Als ich begriff, was die Worte des Doktors zu bedeuten hatten, sprach Herr Rosowski meine Gedanken aus: „Das heißt, sie wollen die Maschinen abstellen, oder?" Es war kaum ein Flüstern, aber der Satz donnerte in meinem Kopf wie ein Gewitter über dem Nordatlantik. Sie wollten die Maschinen abstellen. Sie wollten mich töten. Das konnten sie nicht zulassen! Ich war doch hier, ich lag neben ihnen, ich lauschte ihren Stimmen, ich spürte Edwins warmen Blick auf meinem Körper. Sie konnten mich nicht umbringen, nur weil es keine Chance gab, mich bemerkbar zu machen. Ich hatte ein Recht zu leben.„Sie hat ein Recht zu sterben.", flüsterte ich und ging langsam auf das Beatmungsgerät zu; mit zitternden Finger drückte ich auf den roten Knopf. Ein heller, unendlicher Ton zerriss die Luft.
DU LIEST GERADE
Eure Kurzgeschichten - Ein Wettbewerb, in dem alle gewinnen können
Kısa HikayeDauerhaft laufend. Hier werden von euch eingesandte Kurzgeschichten stehen, für die ihr dann bei einer bestimmten Anzahl an Votes von der Lesergemeinschaft Votes von uns erreichen könnt. Doch dies ist auch etwas für all diejenigen, die nur gerne Kur...