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Heute war schon der zweite Tag, an dem ich mich davon abhalten musste vor Nervösität an meinen Nägeln zu kauen. In wenigen Stunden würde mein Vater mir mitteilen, wer von den Auserwählten noch zur Verfügung stand und zwischen welchen Männern ich mich entscheiden musste.

Natürlich hoffte ich immer noch, dass es niemanden mehr gab...doch so langsam fragte ich mich, was geschehen würde, wenn dem wirklich so wäre. Ich weiß, jetzt war es eindeutig schon zu spät sich darüber Gedanken zu machen, denn ich konnte eh nichts mehr ändern.

Verstohlen schielte ich zu meinem Vater rüber. Er hatte anscheinend noch nichts von meinen turbolenten Gedanken mitbekommen. Er schien sich nur auf die jubelnden und winkenden Menschen um uns herum zu konzentrieren. Allgemein schien er mich seit den Gesprächen gestern und heute früh weitestgehend zu ignorieren oder höchstens mit missbilligenden Blicken zu bedenken.

Wir saßen gerade in unserem Rolls Royce und fuhren durch die Straßen. Es war Tradition, uns mindestens einmal im Monat dem Volk zu zeigen und somit unsere Nähe zu ihnen zu signalisieren. Also lächelte ich freundlich den Menschen, die links und rechts unseren Weg säumten zu und winkte ihnen gelegentlich. Einige riefen uns fröhliche Grüße entgegen und fast jeder von ihnen hielt ein Fähnchen mit dem Wappen der Königsfamilie in der Hand.

Mich faszinierte der Anblick aus lachenden Gesichtern und wehenden gold-roten Fahnen jedes Mal aufs Neue. Und auch wenn es oft recht nervig war immer den Richtlinien der Traditionen und Vorgaben zu folgen, so waren dies die Momente, die alles entschädigten.

Einen kurzen Augenblick war ich abgelenkt, wurde jedoch sofort wieder in meine Gedanken gestürzt, als mich der Blick meines Vaters traf. Für Außenstehende wirkte dieser sicher normal, doch ich erkannte den lodernden Zorn in seinen Augen und duckte mich innerlich. Wie es schien hatte der Plan funktioniert und ich nun mit schlimmen Konsequenzen zu rechnen.

"Sophilia, Liebes, beachte deine Züge. Du bist glücklich und willst es den Menschen auch zeigen.", erklang leise die Stimme meiner Mutter. Und erst jetzt bemerkte ich, dass mein Lächeln erstorben und meine Augen geweitet waren. Schnell atmete ich tief durch und setzte erneut mein freundliches Gesicht auf, doch diesmal war es einzig und allein eine Maske für die Außenwelt. Ich hatte Angst, Angst vor dem Gespräch nachher mit meinem Vater und Angst vor möglichen Konsequenzen meines Aufbegehrens.

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Ich weiß nicht, wie lange ich nun schon im Arbeitsraum meines Vaters saß und darauf wartete, dass er aufhörte vor den bodentiefen Fenstern auf und ab zu gehen. Es kostete mich all meine Selbstbeherrschung nicht auf dem Sitz hin und her zu rutschen und ihn anzuflehen endlich mit mir zu sprechen. Beinahe schmerzhaft lastete die Stille auf mir und jedes Klacken seiner Schuhe auf dem Boden ließ mich leicht zusammenzucken. Mein Vater schien wirklich wütend zu sein. Sollte ich ihn vielleicht als erstes ansprechen, mich entschuldigen, versuchen ihm das alles zu schildern?

Doch bevor ich auch nur den Mund aufmachen und etwas hervorbringen konnte, donnerte mein Vater auch schon los: "Was hast du dir bloß dabei gedacht, Sophilia? Denkst du etwa, dass so das Benehmen einer Prinzessin aussieht?" Kurz schwieg er, ließ mir jedoch keine Zeit um darauf zu antworten. "Ich schäme mich für dein Verhalten! Das war unserer Familie und unserem Stand nicht würdig. Ich weiß nicht, was dir zu Kopf gestiegen ist oder an welchem Aussetzer es gelegen hat. Und ich will auch keine jämmerlich dahergebrachte Entschuldigung von dir hören. Denn nichts davon wird die Schande, die du über uns gebracht hast rückgängig machen können. Nicht nur, dass es im Umkreis von sämtlichen Kilometern niemanden mehr gibt, der selbst gegen Geld dein Mann werden will, nein! Du hast es auch geschafft uns in Verruf zu bringen. Deine Erziehung wird bemängelt und ich wurde gefragt, ob es mein Ernst wäre, jemanden für dich zu suchen. Sophilia, sieh mich gefälligst an, wenn ich mit dir spreche!"

Wieder zuckte ich zusammen und riss den Kopf nach oben. Am Anfang seiner Schimpftirade war er mir mutlos auf die Brust gesunken. Noch nie hatte mein Vater in solch einem Ton mit mir gesprochen. Natürlich war er schon das ein oder andere Mal sauer gewesen, doch noch nie auf mich. Ich war immer die brave Tochter gewesen, hatte mich weder aufgeleht, noch einen Wunsch meiner Eltern in Frage gestellt. Warum hätte ich das bisher auch tun sollen? Bis jetzt ging es da nur um Wünsche, wie das Begleiten auf Benefizveranstaltungen, Bälle oder wie das Studieren vom Palast aus. Niemals war es um Dinge gegangen, wie das Heiraten eines völlig fremden, nur um eines Tages den Thron zu übernehmen. War es also schlecht von mir, mich gegen etwas so vielbedeutendes wie eine arrangierte Ehe zu wehren? Eindeutig ja, zumindest wenn ich mir meinen Vater gerade so ansah.

Wütend und mit rotem Gesicht schrie er fast schon die nächsten Worte und ließ mich auf meinem Stuhl immer weiter zusammensinken. "Sophilia, wir hatten nie besonders große Ansprüche oder dich mit Regeln gefesselt. Nie haben wir dich zu etwas gezwungen. Und jetzt, wo es darum geht alles für deine Thronfolge vorzubereiten, indem wir dir einen Mann suchen, zeigst du dich so undankbar? Mir wurde gesagt, mit welch Hochnäsigkeit und Verachtung du den jungen Männern entgegen getreten bist. Ich dachte du wüsstest unser Entgegenkommen zu schätzen, dass wir dir nicht einfach jemanden an deine Seite stellen, sondern du selbst die Möglichkeit der Wahl hast. Aber nichts davon ist der Fall!"

"Aber...aber Vater...", meine Stimme war selbst in meinen Ohren nichts, als ein jämmerliches Krächzen, welches jedoch sogleich von ihm unterbrochen wurde: "Nichts, aber Vater! Es reicht mir jetzt!", schrie er, hielt dann jedoch kurz inne und schloss die Augen. Ich sah, wie er tief Luft holte und hörte dann das langgezogene Zischen, mit der er sie wieder ausstieß.

Nachdem er die Augen wieder geöffnet hatte, fixierte er mich mit seinem Blick und sprach dann mit beängstigend kalter Stimme die nächsten Worte, die mich zu tiefst schockierten und den Tränen nahe brachten: "Nun denn, ich verstehe zum Teil, warum du so gehandelt hast. Aber ich kann es nicht tollerieren. Und nur weil du mein einziges Kind bist, werde ich dir eine Chance zur Wiedergutmachung geben. Einen Anwärter hast du mit deiner Vorführung auf dem Ball noch nicht vergrault. Ein einziger Mann ist noch bereit dich zu heiraten. Damit du jedoch nicht den Abend des Aufeinandertreffens dafür nutzt, die Show von vor zwei Tagen fortzuführen, wirst du für drei Monate zu ihm ziehen!"

Mit offenem Mund starrte ich ihn an. Das konnte er unmöglich ernst meinen! Ich sollte was? Wie bei einem Fisch öffneten und schlossen sich meine Lippen immer wieder, auf der Suche nach einer passenden Erwiderung. Irgendwie musste ich doch wieder zu meinem Vater durdringen können, ihm zeigen können, dass ich wieder seine brave Tochter war und das ganze abwenden können. Nur wie? Mir fiel nichts ein. Und als konnte er an meinem Gesicht all meine Gedanken ablesen, meinte er schließlich mit endgültigem Ton: "Nichts, was du sagst oder tust wird daran etwas ändern. Morgen wirst du deine Sachen packen und am Tag darauf mit deiner Zofe in das benachbarte Königreich abreisen. Ich erwarte von dir ab jetzt Gehorsam und bestes Benehmen. Und sollte mir auch nur ein schlechtes Wort über dich zu Ohren kommen, dann wirst du mich von einer ganz anderen Seite kennenlernen. Hast du mich verstanden, Sophilia?"

Eingeschüchtert und mit brennenden Augen konnte ich nur nicken und sah zu Boden. "Dann geh nun in deine Gemächer und ruh dich aus, die kommenden Tage werden anstrengend."

Nach diesen Worten erhob ich mich und lief mit zitternden Beinen auf den Flur hinaus.

Nicht weinen. Ich durfte noch nicht weinen! Zuerst musste ich in mein Zimmer und die Tür schließen, dann durfte ich endlich zusammenbrechen und den Tränen freien Lauf lassen. Heute würde ich noch in Selbstmitleid versinken und ab morgen meine Strafe erhobenen Hauptes antreten. Denn nichts anderes war dies für mich: Eine Strafe für das Aufbegehren und mein gedankenloses Handeln.

The King's DaughterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt