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Etwas stach mir in die Seite, erst leicht und dann immer stärker werdend. Was war denn das? Ohne die Augen zu öffnen und immernoch halb schlafend, versuchte ich den Störenfried mit der Hand wegzuschlagen. Es zeigte seine Wirkung, also schlang ich meine Arme wieder fest um mich und nickte erneut weg. Warum zur Hölle war mir bloß so kalt?

Kurz bevor ich vollkommen ins Land der Träume versinken konnte, stupste mich erneut etwas in die Seite, verschwand aber sogleich wieder. Ich seufzte leise und hoffte, dass ich nun endlich wieder meine Ruhe hatte, als sich etwas schmales, hartes in meine Wange bohrte.

Wie von der Tarantel gestochen, war ich plötzlich hellwach und sprang auf. Im ersten Moment wusste ich nicht wo ich war und woher die Finsternis und Kälte kam. Dann kehrte die Erinnerung zurück. Ich hatte an dem kleinen See gesessen und musste schließlich zu den Klängen des Vogelzwitscherns und der sanften Wellen des Wassers eingeschlafen sein. Es war hier ja auch wirklich ein wunderschöner Ort, der so viel Ruhe und Frieden ausstrahlte, dass ich in den kommenden Wochen wahrscheinlich öfter herkommen würde. Apropos herkommen...den See musste ich erst einmal wiederfinden! Die folgende Erkenntnis traf mich wie ein erneuter Schlag: Wie sollte ich jetzt in der Dunkelheit wieder zurückfinden? Ich kannte mich hier weder aus, noch konnte ich mich daran erinnern, aus welcher Richtung ich vorhin gekommen war!

Panisch bemerkte ich, wie sich mein Herzschlag verschnellerte und die Atmung abgehackter und keuchender wurde. Ich würde mich heillos verlaufen, musste dann irgendwo zwischen den Bäumen schlafen, in der Hoffnung nicht von Tieren angefallen zu werden. Und hier gab es garantiert welche, die auch Fleisch fraßen, oder? Vielleicht sollte ich einfach auf einen Baum klettern und warten bis es wieder hell... Direkt neben mir erklang ein verächtliches Lachen. Mein Herzschlag setzte für einen winzigen Moment aus und donnerte dann noch lauter und schneller wieder los. Ich schrie auf, taumelte ein Stück nach hinten, stolperte und verlor das Gleichgewicht.

Wie in Zeitlupe schien ich hilflos mit den Armen zu rudern, in der Hoffnung mich irgendwo festhalten zu können. Dann kam ein lautes Platschen und die eisige Kälte des Wassers umschloss mich. War mir gerade alles noch zum verrückt werden langsam vorgekommen, schien es nun, als liefe alles mit doppelter Geschwindigkeit ab.

Über meinem Kopf schloss sich das Wasser zusammen, die Kälte schien meine Glieder in eine gelähmte Starre zu versetzen. Meine Lungen protestierten nach Sauerstoff und ich atmete ein...nur keine Luft. Ich schluckte Wasser, wollte husten und noch mehr der kalten Flüssigkeit gelang in meinen Mund. Meine Lunge brannte und die Arme ruderten hilflos umher. Ich musste wieder nach oben kommen, sonst würde ich jämmerlich ertrinken, doch meine nasse Kleidung schien plötzlich das Gewicht von Steinen zu haben und verhinterten gekonnt mein Auftauchen. Es war so unglaublich kalt! Panisch kämpfte ich gegen den Drang an wieder einzuatmen und versucht nach oben zu kommen, doch ich schaffte es nicht!

Schwarze  Punkte wirbelten hinter meinen geschlossenen Augenlidern umher und es fühlte sich an, als würde mein Brustkorb von einem Schraubstock zusammengepresst. Es war so kalt und es tat weh. Sollte es so enden? Genau jetzt und hier und auf solch grauenvolle Weise? Langsam wurden die schwarzen Punkte zu sich schnell ausbreitenden Flecken, auch der Schmerz ebbte langsam ab und machte einer fast friedvollen Taubheit Platz. Meine wild rudernden Arme erschlafften und ich sackte Stück für Stück in die Bewusstlosigkeit. Ganz entfernt spürte ich, wie etwas nach mir griff und mich wegzog, danach wurde alles endgültig schwarz...

~~~

"Fuck! Du verwöhntes Miststück...mach keinen Scheiß!", wie aus weiter Entfernung hörte ich diese Worte. Es klang, als hätte ich Watte in den Ohren. Was war hier los und warum konnte ich mich nicht bewegen? Warum schmerzte mein kompletter Körper, als hätte mich gerde ein Lastwagen überrollt?

"Fuck!", wieder dieses entfernte Fluchen. Hatte demjenigen denn niemand beigebracht, dass man nicht laut fluchte und sich verbal besser auszudrücken hatte? Bevor ich mich innerlich weiter über das Benehmen dieser eindeutig unzivilisierten Person aufregen konnte, berührte plötzlich etwas weiches meine Lippen und im nächsten Moment durchströhmte mich heiße Luft. Als hätte mein Körper genau darauf gewartet, kam ich zu mir, riss die Augen auf und begann erstickt zu husten. Schlagartig nahm der Schmerz zu, vor allem in meiner Lunge schien ein unbändiges Feuer zu brennen.

Ich hustete Wasser und verschluckte mich im nächsten Moment wieder daran. Lag ich auf dem Rücken? Bevor ich an dieser Position jedoch etwas ändern konnte, wurde ich schon mit einem Ruck auf die Seite gedreht und jemand schien beständig auf meinen Rücken zu klopfen.

"Schscht, alles wird gut. Du bist in Sicherheit. Ganz ruhig!" Diese Stimme. Sie kam mir irgendwie bekannt vor...doch bevor ich sie genau zuordnen konnte, verkrampfte sich mein Körper erneut und wieder ergoss sich ein Schwall Wasser aus meinem Mund.

Als ich mich langsam etwas beruhigte, strömten die Gedanken zurück in meinen Kopf, als hätten sie nur darauf gewartet, dass ich sie wieder klar und deutlich mitbekam. Ich war fast ertrunken. Oh mein Gott. Ich war gerade fast ertrunken! Nur weil mich der Arsch hinter mir erschrecken musste! Ruckartig drehte ich meinen Kopf herum und sofort tanzten wieder kleine Pünktchen in meinem Sichtfeld umher. Nachdem ich sie mühsam weggeblinzelt und kurz in die Dunkelheit gestarrt hatte, erkannte ich, wer immernoch sachte mit einer Hand meinen Rücken auf und ab fuhr. Schnell versuchte ich von ihm wegzukommen, aber er hielt mich einfach fest.

"Wieder alles in Ordnung?", seine Stimme klang rau und leise, trotzdem hörte ich einen Hauch von Belustigung heraus, "Wegen dir bekomm ich garantiert eine Lungenentzündung und die Klamotten kann ich auch wegschmeißen!" Erst jetzt erkannte ich im schwachen Schein des Mondlichts, dass nicht nur ich sondern auch er komplett durchnässt war. Ich wollte mich schon dafür entschuldigen und für die Rettung bedanken, als mir noch etwas einfiel. Mit zusammengekniffenen Augen knurrte ich heiser: "Verwöhntes Miststück?"

Ich hörte, wie er auflachte, dann aufstand und beim mich Hochziehen meinte: "Das war alles? Und genau daran kannst du dich erinnern? Kein 'Oh, Cayden, danke für deine Rettung!' oder 'Cayden, wie kann ich das nur je wieder gutmachen, dass du mich erst im Wald suchen kommst, dann in diesen arschkalten See springst und mich rettest!'? Ich verstehe euch verzogenen Frauen nicht!" Bevor ich etwas darauf erwidern konnte -und ich musste gestehen, dass ich gerade eher wie ein Fisch mit sich öffnenden und schließenden Mund da stand- drehte er sich um und lief los, mit den Worten: "Eure Hochnäsigkeit, würdet Ihr mir bitte folgen, bevor ich mir hier draußen noch den Tod hole?"

Dieses arrogante Vieh! Was bildete er sich eigentlich ein, so mit mir zu reden? Vor Wut kochend taumelte ich ihm hinterher und versuchte krampfhaft schrittzuhalten. Es herrschte ein eisiges Schweigen zwischen uns und nach und nach spürte ich auch wieder die Kälte, die mir gefühlt bis auf die Knochen drang. Ich wollte nur noch eine heiße Dusche und ins Bett, mit diesem Wicht von einem Mann würde ich mich ab morgen auseinandersetzen!

The King's DaughterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt