Kapitel 15

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„Wohin gehen wir?", fragte ich dümmlich, folgte ihm aber ohne zu zögern auf die andere Seite des Absperrbandes. Seine Hand hielt mich noch immer und das führte dazu, dass ich mich merkwürdig mächtig fühlte. Er wollte, dass ich mit ihm kam und alles andere war mir im Moment egal.

„Gwen!", hörte ich eine Stimme in meinem Rücken, die ich nach drei Sekunden als Charlottes erkannte.

Ich drehte mich um und sah Charlotte und Leslie in unsere Richtung eilen. Beide sahen so aus, als hätten sie gerade einen Geist gesehen. Ob es hier einen Hausgeist gab? Vielleicht ein Vorfahre von Cynthia, der sich nun einen Spaß daraus machte, die Gäste zu erschrecken? Bei diesem Gedanken musste ich lachen.

„Gwendolyn?"

Gideons Stimme klang rau und er zog an meiner Hand. Hatte ich mich verhört, oder hatte er mich gerade wirklich bei meinem richtigen Namen genannt? Oh, dieser Abend war wirklich wunderbar! Ich winkte Leslie und Charlotte zu und folgte Gideon die Treppe hinauf.

„Ihr könnt mir später von dem Geist erzählen!", rief ich ihnen über die Schulter zu und schenkte Gideon ein Lächeln. Seine Augen funkelten. Er sah aus wie ein Raubtier. So sexy! Ih bah, Gwendolyn, was war denn das für ein Wort?

Als wir den ersten Stock erreichten, fiel mir auf, dass Gideon mir noch immer nicht gesagt hatte, wo er hin wollte. Er redete nie besonders viel, doch ich fand, dass er mir das mal verraten konnte. Nach draußen ging es hier oben jedenfalls nicht.

„Gideon?", fragte ich und blieb stehen, als er die Hand auf eine Türklinke legte. Durften wir überhaupt hier oben sein? War die Treppe nicht abgesperrt gewesen?

„Gwendolyn?", ahmte er mich nach und mein Herz flatterte, als er meinen Namen zum zweiten Mal innerhalb so kurzer Zeit aussprach. Dann öffnete er die Tür und trat hinein. Ich folgte ihm notgedrungen, da er noch immer meine Hand hielt und sah mit großen Augen dabei zu, wie er die Tür hinter uns zuzog und den Schlüssel im Schloss drehte. Vor uns stand ein einfaches Doppelbett mit je einem Nachtschränkchen an jeder Seite. Wir waren in einem Gästezimmer gelandet.

Ich hielt die Luft an, als Gideon meine Hand losließ und sich gegen die Tür lehnte. Die Arme verschränkte er vor der Brust und lehnte den Kopf nach hinten, um mich unter seinen dichten, dunklen Wimpern hindurch träge anzuschauen.

„Was . . . was machen wir hier?", fragte ich vorsichtig und verschränkte die Arme ebenfalls vor der Brust, um mich nicht so schutzlos zu fühlen. Er hatte uns eingeschlossen! Mein Kopf wusste ganz genau, warum er es getan hatte und glaubte auch zu wissen, was er vorhatte, doch das konnte einfach nicht sein. Er war Gideon und ich war Gwendolyn und er hasste mich! Wahrscheinlich träumte ich das alles hier sowieso nur.

„Wonach sieht es denn aus?", fragte Gideon leise und rührte sich nach wie vor nicht von der Stelle. In diesem Moment erinnerte er mich mehr denn je an ein Raubtier, das seine Beute musterte. Ein Panther. Und ich war . . . ein Kaninchen oder so. Auf jeden Fall die Beute.

Meine Gedanken schlugen eine Richtung ein, die meine Wangen rot färbte und ein zufriedenes Lächeln breitete sich auf Gideons Gesicht aus. Dann stieß er sich von der Tür ab und trat langsam auf mich zu. Ich machte ein paar Schritte zurück, bis meine Kniekehlen gegen den Rahmen des Bettes stießen. Wenn ich noch weiter ging, würde ich auf das Bett fallen und das war das letzte, was ich im Moment wollte. Mit einem Mal war ich mir nicht mehr so sicher, ob es eine gute Idee gewesen war, Gideon zu folgen.

Nun stand er ganz dicht vor mir, so nah, dass ich seinen warmen Atem, der nach dem süßlichen Getränk roch, das wir gerade getrunken hatten, auf meinem Gesicht spüren konnte. Meine Augen fuhren über die Konturen seines Gesichts, die weichen Kurven und Linien, die dieses Meisterwerk eines Gesichts ausmachten.

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