Kapitel 21

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"Nick und Eric freuen sich schon sehr auf heute Nachmittag", lächelte Falk mir über den Chronografen hinweg zu. Während er die Daten einstellte, bemühte ich mich um mein überzeugendstes Lächeln.

„Ich freu mich auch", erwiderte ich, was nicht gelogen war. Trotzdem war die Vorstellung von Falk mit Kindern noch immer mehr als befremdlich. Und dann noch mit meiner . . . mit Grace. Es würde auch merkwürdig sein, sie wiederzusehen. Seit ich letzte Woche in diesem Leben wieder aufgetaucht war, hatte ich sie nicht mehr gesehen und ich war mir fast sicher, dass es mir gut getan hatte. So hatte ich jedenfalls den Hauch einer Chance gehabt, mich von meinem alten Leben zu lösen.

„Es ist so weit. Ich schicke dich für zwei Stunden ins Jahr 1976. Du hast etwas, mit dem du dich beschäftigen kannst?", fragte Falk.

Ich nickte und hielt meinen Rucksack, in dem ich Schulbücher und private Lektüre verstaut hatte, in die Höhe.

„Oh, geht es jetzt los?", erkundigte Xemerius sich erfreut. „Was passiert denn jetzt?"

Statt ihm zu antworten, trat ich auf den Chronografen zu und streckte meine Hand aus. Mit einem kleinen Lächeln zu Xemerius legte ich meinen Zeigefinger auf die dünne Nadel und verschwand in einem Strudel roten Lichts.

Bevor ich ganz verschwunden war, hörte ich Xemerius noch schrill aufschreien. Dann herrschte Stille und ich fand mich im Dunkel des 20. Jahrhunderts wieder. Glücklicherweise befand sich der Lichtschalter an derselben Stelle wie immer, sodass ich schnell für etwas Licht sorgen konnte.

Ich staunte nicht schlecht, als ich den Raum erkennen konnte. Neben Cousine Sofa standen außerdem zwei Sessel in der Mitte des Raums, und zwar auf einem flauschig aussehenden grünen Teppich. An der Wand war sogar eine Heizung, sodass es wirklich warm war. An den Wänden reihten sich Regale mit Büchern und Vitrinen, die Flaschen und Gläser enthielten.

Sie hatten den Raum hier unten regelrecht gemütlich eingerichtet.

Nachdem ich eine kleine Runde gedreht und mir alles näher angeschaut hatte, setzte ich mich auf einen der Sessel und holte meine zerfledderte Ausgabe von „Jane Eyre" aus meinem Rucksack. In meinem neuen alten Zimmer stand ein ganzer Haufen von Büchern, die in diese Richtung gingen. Eigentlich konnte ich weder mit Charlotte Brontё, noch mit Thomas Hardy oder Jane Austen sonderlich viel anfangen, aber da mein altes Ich offensichtlich ein großer Fan gewesen war, und ich auf die Schnelle keine anderen Bücher gefunden hatte, hatte ich es mir geschnappt.

Ich begann also zu lesen und stellte fest, dass das Buch gar nicht mal so unspannend zu sein schien. Ich litt zusammen mit Jane, die von ihrem blöden Cousin gemobbt wurde und anschließend in den Red Room gesperrt wurde, in dem ihr Onkel gestorben war. Und ich hasste ihre Tante.

Als ich gerade davon las, wie ein Typ kam, um sie auf ein Mädcheninternat mitzunehmen, ging die Tür plötzlich auf und ich ließ vor Schreck das Buch fallen.

Doch in der Tür stand keinesfalls ein gefährlicher Killer, sondern Gideon. Er trug dieselbe Kluft, in der er gerade Temple verlassen hatte und hielt eine halbleere Weinflasche in der rechten Hand. Seine Schulter schien unverletzt und er starrte mich an.

„Was zur Hölle", murmelte er und schien sich zu überlegen, ob er hineinkommen sollte. Dann seufzte er tief, trat in den Raum und schloss die Tür hinter sich.

Bevor er sich gegen die Tür lehnte, nahm er einen tiefen Schluck aus seiner Flasche und räusperte sich.

„Läufst du mir nach?", fragte er dann und schwenkte die Flasche anklagend in meine Richtung. Seine Worte klangen nicht mehr ganz klar und ich spürte Wut in mir aufsteigen.

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