Attention

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Was an einem Schulwechsel das Schlimmste ist? Ich schätze, dass man auf einer neuen Schule niemanden kennt. Keinen einzigen. Für manche Leute ist es kein Problem. Sie integrieren sich schnell in ihre Klasse und finden dementsprechend auch schnell Freunde. Und ich? Ich gehörte zu den Personen, die Schwierigkeiten damit hatten, neue Kontakte zu knüpfen. Konnte man sagen, dass ich schüchtern war? Fremden gegenüber schon. Das komplette Gegenteil von mir war da mein Bruder Hoseok – er war so etwas, was man Socializer nannte. Ihm fiel es ausgesprochen leicht, Leute kennen zu lernen und er würde bestimmt der Liebling von allen sein, wenn ihm nicht alles egal wäre.
Ja, Leute die ihn nicht kannten, würden denken, dass er zwar cool, aber arrogant war. Doch sie kannten ihn nicht so gut, wie es ich tat. Im Grunde war Hoseok nämlich ein herzensguter Mensch, nur zeigte er es nicht vor vielen, sondern verbarg es hinter einer taffen Fassade, die jeden dazu brachte, Respekt vor ihm zu haben. Eigentlich konnte ich mich glücklich schätzen, denn ich war bei Weitem nicht so selbstbewusst wie er und wäre er nicht mein Bruder gewesen, der mich vor allem beschützte, wäre ich auf unserer alten Schule wohl bald zum Opfer geworden.
Denn ich war zwar recht witzig und dadurch oftmals der Klassenclown, aber gehörte definitiv nicht zu den Beliebtesten, was mir aber zum größten Teil auch egal war.
Dazu war ich nicht ganz zufrieden mit meinem Aussehen, auch wenn Hoseok mir immer wieder versicherte, dass ich einen guten Körper hatte und ein süßes Gesicht, sah ich das jedoch ein wenig anders. Meine Wangen waren mir zu füllig, aber ich mochte meine Arme und allgemein meinen Oberkörper ganz gerne, ich hatte sogar schon Komplimente für mein stahlhartes Sixpack bekommen, worauf ich dann doch schon stolz war.
Einmal hatten ältere Schüler versucht, mir mein Essen wegzunehmen. Ich war gerade auf dem Weg auf den Hof und wollte nebenbei mein Sandwich essen, als sie mir den Weg versperrten und mich nicht vorbeiließen. Am Anfang hatte ich noch probiert, mit ihnen zu verhandeln, doch sie gaben nicht klein bei, aber bevor sie noch etwas tun konnten, hatte Hoseok es mitbekommen und die Typen verbrachten eine Woche im Krankenhaus.
Und dazu war Hoseok auch jemand, der Menschen perfekt um den Finger wickeln konnte. Immer, wenn jemand dahinter kam, dass wir miteinander verwandt waren, ernteten wir ungläubige Blicke, da niemand wirklich damit rechnete.
Wie dem auch sei, jedenfalls waren wir beide gerade auf dem Weg ins Sekretariat, um uns anzumelden. Die Schule lag in einem Stadtteil von Seoul, den man wohl schon als gut einstufen konnte – die Schule sah gepflegt aus und vermittelte einen freundlichen Eindruck, genauso wie die Schüler, die uns auf den Fluren der Schule allesamt interessiert gemustert hatten.
Ich hoffte, dass ich mich hier wenigstens einigermaßen wohlfühlen und die Schule gut überstehen könnte. Ehe ich mich versah befanden wir uns auch schon an unserem Ziel und Hoseok klopfte an die Tür, bevor er sie öffnete und eintrat, gefolgt von mir.
Der Raum war klein, aber dennoch gemütlich. Er war in hellen Farben gehalten, die ihm einen einladenden Touch verliehen und durch das große Fenster fiel das Sonnenlicht in das Zimmer, durchflutete es förmlich mit warmen Licht.
Neugierig wie ich war schaute ich mich im Sekretariat um und bemerkte erst zum Schluss die Frau die an einem Schreibtisch saß und geschäftig ihre Unterlagen sortierte, bevor sie aufsah und uns musterte.
'Wie kann ich ihnen helfen?', sie hatte eine angenehm sanfte Stimme und besaß irgendetwas, was mich an eine große Schwester erinnerte.
'Hi, wir sind die Neuen.', beantwortete Hoseok ihre Frage knapp und von einem auf den anderen Moment, wich ihr fragender Blick Erkenntnis.
'Aaah, Park Jimin und Hoseok, ich habe schon auf sie gewartet! Sie kommen gerade noch rechtzeitig, ihr Unterricht beginnt in 10 Minuten.', verkündete sie und blickte zwischen uns hin und her.
'Jimin, Sie haben im Raum 109 jetzt Erdkunde und Hoseok, Sie im Raum 123 Mathe. Hier haben sie ihren Stundenplan.', sie überreichte uns die jeweiligen Papiere nach kurzem Suchen von ihrem Schreibtisch aus und sprach danach gleich weiter 'Jimin, ihre Klassenlehrerin hat heute etwas Verspätung. Denken Sie, Sie finden den Weg allein zu Ihrem Raum?'
Nein, tue ich nicht., wollte ich am liebsten sagen, aber ich verkniff es mir, da ich nicht schon an meinem ersten Schultag als Vollidiot abgestempelt werden wollte.
'Sicher, das ist kein Problem für mich.'
'Wunderbar!', rief sie freudestrahlend und ich zuckte bald aufgrund ihrer überschwänglich guten Laune zusammen 'Hoseok, Sie müssen dann noch einen Moment warten, ihr Klassenlehrer wird gleich hier sein.'
'Verstanden.', sagte er und ließ sich auf einem der gepolsterten Stühle nieder, die direkt vor dem Schreibtisch standen, woraufhin er sein Handy rausholte und lustlos auf ihm herumtippte.
Für einen Moment sah ich ihm noch dabei zu, bis mir einfiel, dass ich besser zu meinem Raum gehen sollte und setzte meinen Gedanken danach gleich in die Tat um.


Gott sei Dank dauerte es nicht lange, bis ich den richtigen Raum gefunden hatte. Die Tür stand offen und von drinnen hörte ich Stimmen, die sich angeregt unterhielten und Lachen.
Jetzt kommt der unangenehme Teil., dachte ich mir und atmete noch einmal tief durch, bevor ich den Raum betrat, doch als ich drin stand, schien mich niemand zu bemerken.
Irritiert blickte ich mich um und sah nur Leute, die entweder in kleinen Gruppen um einen Tisch herum standen oder an der Fensterbank lehnten.
Naja, schlussendlich war das gut für mich, also schlich ich unauffällig zu einem leeren Tisch und setzte mich auf den dazugehörigen Stuhl. Eigentlich dachte ich, dass ich so diskret wie ein Ninja vorgegangen war, doch jemand bemerkte mich trotzdem.
Plötzlich tauchte vor mir ein brauner Haarschopf auf und ließ mich hochschrecken.
'Hey, dein Gesicht habe ich hier noch nie gesehen, du musst der Neue sein. Ich bin Taehyung, freut mich, dich kennenzulernen.', meinte der Junge vor mir und streckte mir seine Hand entgegen.
Kurz betrachtete ich sie und schüttelte sie nach kurzem Zögern.
'Richtig. Ich bin Jimin.', sagte ich und schenkte ihm ein schüchternes Lächeln.
'Du wurdest hier schon angekündigt, alle waren ganz aus dem Häuschen, als es hieß, dass wir Zuwachs bekommen. Die Leute hier sind nett, und gerade du wirst den Mädchen gefallen, glaub mir.'
'O-ok?', erwiderte ich und musste erstmal die ganzen Informationen, die er mir eben um die Ohren gehauen hatte, verarbeiten.
Dennoch war ich froh, dass jemand auf mich zukam und mich an die Hand nahm – im wahrsten Sinne des Wortes. Mit Fremden konnte ich wenig anfangen und wusste nie, worüber ich mit ihnen sprechen sollte, nur meinen Freunden gegenüber war ich wirklich offen und konnte ihnen zeigen, wie ich eigentlich war.
Taehyung ließ sich neben mir auf einen Stuhl plumpsen und legte seinen Rucksack auf dem Tisch ab, bevor er sich zu mir drehte.
'Naja, alle sind nett bis auf einen, Min Yoongi. Halt dich am besten von ihm fern.', flüsterte er mir hinter vorgehaltener Hand zu und sah sich verschwörerisch im Raum um.
'Weswegen denn?'
'Er ist ein Monster. Das ist der Name, den ihm die anderen Schüler hier gegeben haben.'
'Wieso Monster?', wollte ich leicht verängstigt wissen. Was musste ein Mensch tun, um so einen Titel zu erhalten? In meinem Kopf malte ich mir schon das Furchtbarste aus und rechnete damit, dass ich diese Schule hier nicht überleben würde, wenn hier eine Person rumlief, die man Monster nannte.
'Das willst du gar nicht wissen, aber du wirst es bestimmt noch früh genug herausfinden.', mit diesen Worten lehnte er sich wieder zu seinem Platz zurück, weil die Lehrerin gerade den Raum betreten und ihr Buch auf den Tisch geknallt hatte.
Ok, das war eindrucksvoll. Ich blickte schnell zu Taehyung, der mir wortlos zu verstehen gab, dass ich in ihrem Unterricht besser aufpassen sollte, da mir ansonsten wohl sonst was für eine Strafe drohte und ich schluckte. Gab es denn nur eigenartige Leute hier? Sogar Taehyung war seltsam! Innerlich betete ich, dass diese Stunde so schnell wie möglich vorbeigehen und ich Hoseok ausfindig machen konnte, denn ohne ihn würde ich hier zu 100 Prozent nicht klarkommen. So, wie ich ihn kannte, hatte er schon längst neue Kontakte geknüpft und sich in seiner Klasse zurechtgefunden.
'Verzeiht mein Zu-spät-kommen, aber ich musste noch etwas erledigen. Wie ich sehe, ist der neue Schüler schon eingetroffen. Möchten Sie sich vielleicht einmal vorstellen?', fragte sie mich, doch ihr strenges Gesicht verriet mir, dass es eher ein Befehl als eine Bitte war.
Ich nickte, stand von meinem Platz auf und drehte mich zu meinen Mitschülern um, die mich sogleich interessiert betrachteten.
'Hallo zusammen, ich bin Park Jimin und vor ein paar Tagen von Busan hierhergezogen.'
Ich deutete eine Verbeugung an und sofort tuschelten die Mädchen auf ihren Plätzen, währenddessen sie mich nebenbei mit neugierigen Blicken beobachteten und die Jungs gar nichts sagten.
'Er sieht ja schon gut aus.'
'Guck dir dieses Gesicht an, so süß!'
'Ob er wohl eine Freundin hat?'
Die Kommentare von den Mädchen waren mir unangenehm und ich versuchte, nicht rot zu werden, was mir zum Glück auch gelang. Wenn sie nur wüssten.
'Gut, das muss reichen, ihr könnt euch ja in der Pause weiter unterhalten, ich würde dann jetzt gerne meinen Unterricht beginnen.', ließ unsere Lehrerin vernehmen und ich nahm wieder auf meinem Stuhl Platz.

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Die Stunde ging glücklicherweise so schnell um, wie ich gehofft hatte, auch, wenn die Lehrerin nicht unbedingt die beste war, und beim Klingeln hatte ich schon meine Sachen zusammengepackt.
Taehyung neben mir hatte mir noch ein paar Dinge, von der er wohl der Meinung war, dass sie für mein Überleben auf dieser Schule wichtig waren, auf ein Stück Papier gekritzelt und mir zugeschoben. Sorgfältig hatte ich es studiert und mir die Tipps zu Herzen genommen, denn ich wollte es mir mit den Leuten hier nicht innerhalb von einer Woche verscherzen.
Nachdem die Klingel den Unterricht beendet hatte, stand ich zusammen mit Taehyung auf und verließ den Raum.
Auf dem Flur lief er kurz neben mir, doch bevor Sekunden ohne ein Wort verstreichen konnten, fing er an zu reden.
'Ich werde dann mal zu meinem Freund gehen, willst du mitkommen?'
'Nein danke, ich muss meinen Bruder finden.', meinte ich und blickte mich schon suchend um.
'Wie du willst, wir sehen uns wieder zum Unterricht.', winkend entfernte er sich von mir und ließ mich allein in dem Flur zurück. Sogleich schlug ich mir gegen den Kopf. Ich hatte voll verpennt, ihn zu fragen, wo es zur Cafeteria ging! Dort musste sich Hoseok aufhalten.
Meine einzige Möglichkeit war also..blind durch die Gänge zu laufen und zu hoffen, dass ich irgendwann dort ankommen würde.
Was anderes blieb mir auch nicht wirklich übrig, also schulterte ich meinen Rucksack und machte mich auf den Weg. Oder eher ich versuchte es, denn ich wurde gleich auf der Stelle wieder angehalten. Von was? Eher von wem. Denn an diesem Tag sah ich ihn zum ersten Mal.
Die Schüler, die sich im Flur aufhielten, machten ihm gleich Platz, als sie ihn sahen.
In diesem Moment fragte ich mich, ob das dieser Yoongi war, von dem Taehyung geredet hatte und wenn ja, wieso er ihn als so schlimm beschrieben hatte. So furchteinflößend wirkte er gar nicht auf mich. Seine Haare waren das erste, was mir in die Augen stach, denn sie waren blond gefärbt, wodurch er schon einmal zwischen den anderen Schülern auffiel. Danach besah ich mir sein Gesicht und irgendwie sah er ganz..süß aus? Auch, wenn es größtenteils emotionslos war und absolut nichts ausstrahlte, doch seine Augen wirkten so müde und lebendig gleichzeitig mit ihrem Braun, was bald in ein Schwarz überging und so dunkel war wie die Nacht selbst. Wie konnten Augen nur so dunkel sein?
Mein Blick wanderte weiter über sein Gesicht und ich war verwundert darüber, wie hell seine Haut doch im Vergleich zu seinen Augen war und sie erinnerte mich sofort an Schnee.
Sein eines Ohr war mit drei Ohrringen versehen und ich fragte mich, wie er die Erlaubnis dafür bekommen hatte, denn Taehyung hatte mir auch auf den Zettel geschrieben, dass beides – Haare färben und auch Schmuck tragen – hier verboten war, aber diesem Jungen schien das herzlich egal zu sein.
Ich bemerkte, wie die Mädchen ihm verängstigte Blicke zuwarfen und die Jungs respektvoll zur Seite traten.
War das normal?
Auf meiner alten Schule wurde keine einzige Person so behandelt.
Und so schnell, wie er gekommen war, war er auch an mir vorbeigegangen. Sein Blick hatte mich für einen Moment gestreift und ich bemerkte, wie ich das Atmen für einen Augenblick vergessen hatte.
Die Zeit war für einen Moment wie eingefroren, als wir Blickkontakt hielten und ehe ich mich versah löste er seine Augen wieder von mir und blickte weiter desinteressiert geradeaus. Ich hätte schwören können, dass ich in seinen Augen etwas aufblitzen sah.
Ich nehme meine Worte zurück – dieser Junge hatte eine unglaubliche Aura. Nur wusste ich noch nicht, ob sie positiv oder negativ war.
'Da bist du ja Jiminie!', hörte ich es mit einem Mal hinter mir, wodurch ich wieder fähig war, klar zu denken und wandte mich der mir bekannten Stimme zu.
Hoseok kam gerade zu mir geschlurft mit einem Grinsen im Gesicht.
'Und, wie war deine erste Stunde?'
Ich blickte mich um, um zu sehen, wo der Junge abgeblieben war, doch von ihm fehlte jede Spur und das Treiben auf dem Flur nahm wieder an Fahrt auf und beinahe war es so, als wäre er nie hier langgegangen.
Hoseok lenkte mich mit seiner Frage augenblicklich von ihm ab.
'Grässlich, meine neue Lehrerin ist schrecklich.', schmollte ich und schob die Unterlippe vor.
'Ach komm, wenigstens lernst du so was.', versuchte er mich aufzumuntern und legte einen Arm um meine Schultern.
'Hast du schon wen kennen gelernt?', fragte er mich daraufhin und ich nickte mit dem Kopf.
'Cool, ich auch, na siehst du Jimin, es läuft doch jetzt schon gut!', rief er und lächelte mich mit einem breiten Lächeln an, welches ich erwiderte.
Hätte ich damals schon gewusst, was alles möglich war durch einen simplen Schulwechsel..dann wäre ich nicht so überrascht gewesen wegen dem, was noch alles auf mich zukommen sollte.
Denn das 'Monster' sollte ich noch persönlich kennen lernen.

The MonsterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt