The way to you

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Das Erste, was ich sah, war Yoongis unbeeindruckte Miene, die den Blickkontakt zu mir hielt. Doch abgesehen von seinen Augen, die keine Reaktion zeigten, womit ich hätte rechnen sollen, zeigte mir der untere Teil seines Gesichts ein komplett anderes Bild, denn ich bemerkte, wie sich sein Kiefer anspannte.
Mit einem Schlag hätte ich am liebsten am ganz anderen Ende des Raumes gesessen, denn dann hätte ich notfalls noch flüchten können, doch so nah an Yoongi dran, war ich ihm schutzlos ausgeliefert.
Mein Puls schoss in die Höhe und meine Atmung flachte ab. Auf was dürfte ich mich jetzt gefasst machen?
'Jimin..'
Oh oh. Da war ein Unterton, der mich nichts Gutes vermuten ließ. Auf Reflex zog ich meinen Kopf schon ein und Yoongi hatte für nicht mal eine einzige Sekunde seinen Blick von mir genommen.
'Wieso willst du darüber reden?'
Ich geriet ins Stocken. Wie sollte ich mein Interesse daran am besten begründen?
'Weil ich gerne wissen würde, wie es dir dabei ging.'
Gut, ich konnte diesen Satz äußern, ohne dabei ins Stottern zu geraten. Aber würde Yoongi das als Begründung reichen? Würde er sich damit zufrieden geben?
Vor lauter Unsicherheit wurden meine Hände schon wieder schwitzig, doch ich widerstand dem Drang, sie an meiner Hose trocken zu wischen.
Nun zeigte Yoongi eine erste Regung in seinem Gesicht, die ich aber nicht vollständig interpretieren konnte. Einer seiner Mundwinkel bewegte sich kurz nach oben und ich dachte, etwas in seinen Augen erkennen zu können, aber das, was ich meinte, zu sehen, offenbarte sich mir nur für den Bruchteil einer Sekunde, bevor derselbe gleiche Ausdruck sie erneut überschattete und wieder wie eine undurchdringliche, gleichzeitig aber viel zu ruhige See wirkten.
'Normalerweise versuche ich es zu vermeiden, darüber reden zu müssen. Aber da du mich sonst damit nie in Ruhe lassen würdest..'
Er machte eine Kunstpause, um seine Worte auf mich wirken zu lassen und meine Muskeln spannten sich in dieser Zeit an.
'..erzähle ich es dir.'
Eine Welle der Erleichterung erwischte mich für einen klitzekleinen Augenblick, bevor die gewohnte Anspannung erneut meinem Körper habhaft wurde und ihn übernahm.
'Ich hab keine Ahnung mehr, wann es begann, also frag mich auch nicht, was genau der Auslöser war.'
Yoongi streckte sich einmal und es machte nicht den Anschein, als ob es ihm unangenehm wäre, darüber zu reden. Aber auch wenn er versuchte, es vor mir zu verbergen, konnte ich doch an seinem Körper ablesen, dass er nur so tat, als wenn er tiefenentspannt wäre.
'Jeunguk habe ich schon immer als sonderbar eingestuft. Irgendwie hatte er jedes Mal einen komischen Blick in den Augen, sobald ich ihm begegnete. Zuerst wusste ich nicht wirklich, was ich davon halten sollte, doch es beunruhigte mich herzlich wenig. Und das war mein Fehler gewesen.
Damals war ich noch so naiv gewesen und hatte geglaubt, dass mir niemand etwas Böses wollte. Warum denn auch? Ich war ja nett zu jedem gewesen. Wieso also hätte irgendwer einen Groll gegen mich hegen, wieso hätte mich irgendwer hassen sollen? Das machte für mich keinen Sinn.
Und dann begann es. Aber denk ja nicht, dass alles gleich auf einmal kam, nein. Der Prozess war schleichend gewesen.
Es begann mit kleinen Schikanen. So was wie dumme Sprüche, ziemlich banale Sachen. Dinge halt, in die man nicht hineininterpretiert. Aber es blieb nicht nur dabei. Mit jedem Tag, der verging, wurde das, was sie taten, schlimmer. Wie eine Lawine, die immer größer und heftiger wird, je länger sie andauert.
Jedenfalls stoppte sie niemand. Dabei war es nur eine einzige Person, die dafür verantwortlich gewesen war, die das Ganze damals überhaupt erst losgetreten hatte.
Von Jeunguk wusste ich später, dass er neidisch auf mich und meinen Ruf war. Ihn kotzte es wohl einfach an, dass er so gut wie unsichtbar wurde, sobald ich in der Nähe war. Dabei machte ich doch nichts, außer da zu sein, aber das ist für manche Menschen anscheinend schon Grund genug, um einen zu verachten.
Wie ich mich dabei fühlte, fragst du?'
Yoongi laut einatmen zu hören, war etwas, was mir so noch nie untergekommen war. Ich traute mich nicht mal im Geringsten, jetzt noch irgendeine Kleinigkeit zu sagen. Stattdessen atmete ich so leise wie möglich, damit ich alles verstehen konnte. Währenddessen trat mir der Schweiß auf die Stirn und mein Herz tobte wie ein wildes Tier, welches in einem Käfig gefangen war, in meiner Brust.
'Es war die Hölle. Meine persönliche Hölle, und es gab keinen Weg aus ihr raus, da ich nicht wusste, was ich getan hatte, dass man mich so hasste. Niemand half mir, ich war auf mich allein gestellt, und das war das Problem. Allein hast du gegen so etwas keine Chance, Jimin. Und genau das ist das schlimmste Gefühl, was du überhaupt empfinden kannst - Einsamkeit. Welche Ironie ist das, wenn man umringt von Menschen, aber zwischen ihnen doch alleine ist?
Namjoon hatte von allem erst später etwas mitbekommen, ihm mache ich keinen Vorwurf, schließlich wollte ich nicht, dass meine besten Freunde mich so sahen - aber Taehyung? Er war die ganze Zeit über da, hat alles, was sie taten, gesehen, und was tat er? Er tat nichts! Er sah nur dabei zu, wie sie nicht aufhörten und immer gewalttätiger wurden!
Und glaub mir, egal, wie sehr ich es versuchte, mich gegen sie mit Worten zu wehren oder die Situationen zu deeskalieren, es half alles nichts. Dafür lachten sie mich aus.
Gereicht hatte es mir, als Jeunguk einmal zu mir sagte, dass ich nichts wert wäre und es nie zu irgendetwas bringen würde. Dass ich nicht mehr als Abschaum wäre, den man beseitigen müsste, und das meine Freunde genau wie ich wären. Das hatte er zu mir gesagt, als er mit voller Kraft gegen meinen Kopf trat, als ich auf dem Boden lag, umringt von seinen Leuten. Dass er das über mich sagte, machte mir nichts aus, denn wegen ihm, weil er es schon so oft gesagt hatte, dachte ich das auch über mich. Aber meine Freunde beleidigen..das ging zu weit. Er hätte auch meine Familie beleidigen können, es hätte mich nicht interessiert, doch mit meinen Freunden hatte er definitiv eine Grenze überschritten.
Was ich danach getan habe, kennst du ja.'
Nach diesem letzten Satz trat einer der wenigen Momente ein, in denen ich gleichermaßen Angst wie auch Mitgefühl Yoongi gegenüber empfand.
Dass Yoongi ganz anders sprach als sonst, vollkommen teilnahmslos - jedenfalls am Anfang - so als ob er selbst gar nicht dabei gewesen wäre, sondern die Geschichte nur gehört hatte, fiel mir mit jedem neuen Satz mehr und mehr auf. Es machte den Anschein, als wenn er versuchte, sich vom dem Geschehen zu distanzieren, jedoch hatten ein, zwei Sätze insbesondere mein Aufsehen erregt, da ich aus ihnen herausgehört hatte, wie nah ihm seine eigene Geschichte ging. In eben diesen Augenblicken hatte seine Fassade einen leichten Riss bekommen und ich konnte tiefer in sein wahres Ich, mit all seinen bis zu diesem Zeitpunkt angestauten Gefühlen, sehen.
Er schien so anders als der Yoongi, dem ich damals das erste Mal über den Weg gelaufen war, so..zerbrechlich. Er zeigte mir hier gerade eine Seite an sich, die ich nie zuvor gesehen hatte, die mich verängstigte, weil die dazugehörigen Gefühle so stark waren, aber zeitgleich hatte ich noch nie so eine Trauer verspürt, wie jetzt.
Ich konnte ja nicht einmal ansatzweise nachempfinden, wie es Yoongi in der Zeit ergangen sein musste, selbst wenn er es mir erzählt hatte.
Yoongi neben mir hatte immer wieder zu mir herüber gesehen, den Blickkontakt gehalten, sich teilweise in Rage geredet, und nun saß er hier neben mir, und war wieder ganz ruhig. So wie vorher, bevor er darüber gesprochen hatte.
Ich wusste nicht, wie ich mich genau verhalten sollte, denn das waren so viele Informationen gewesen, die ich zuerst einmal verarbeiten musste. Als ich mich regen wollte, war mein Körper ganz steif, so als hätte ich mich seit Stunden nicht von der Stelle bewegt und in derselben Position verharrt. Neben meiner Steifheit nahm ich aber noch etwas anderes wahr..diesen Knoten im Hals, der mich nur schwer zu Luft kommen ließ.
Und dann erhob Yoongi erneut die Stimme, als er mich ansah.
'Jimin..wieso weinst du schon wieder..'
Schockiert wie ich war, fuhr ich mir hektisch über mein Gesicht und Yoongi hatte Recht. Über meine Wange lief eine einzelne Träne, brannte so heiß wie Feuer, und ich fragte mich, wie ich das nicht hatte bemerken können.
Vollkommen aufgelöst wischte ich sie fort. Yoongi musste jetzt auch denken, dass ich nur am Heulen war.
Als ich scheu meinen Blick hob, um in seine Augen zu sehen, fand ich aber nichts außer Müdigkeit vor, die nun jedoch der Überraschung Platz machte.
'E-es tut mir Leid. Ich ahnte ja nicht..'
Wieso mussten meine Gefühle mich auch in den unpassendsten Momenten überwältigen?
'Es ist in Ordnung. Du verstehst jetzt bestimmt, warum ich nicht gerne darüber spreche. Aber hör bitte auf zu weinen. Ich kann das nicht mitansehen.'
Auf seine Bitte hin atmete ich mehrmals, wenn auch noch zitternd, ein und aus, um mich zu beruhigen, doch gerade war viel zu viel in meinem Kopf.
Wie viel konnte, wie viel musste ein Mensch ertragen?
Ich brauchte noch ein paar Minuten, ehe ich dazu in der Lage war, mich zu fangen. Wäre die Situation zwischen uns nicht so seltsam gewesen, hätte ich Yoongi vielleicht in den Arm genommen, aber es wäre mir selbst einfach komisch vorgekommen.
Also beschränkte ich mich darauf, nur stillschweigend neben ihm zu verharren. Was hätte ich auch sagen sollen? Es hätte ja überhaupt nichts an der Vergangenheit geändert.
..es hätte aber etwas zwischen uns ändern können.



Ich leistete Yoongi noch eine Weile, nennen wir es Gesellschaft, und beschränkte mich auf eher banale Themen, da ich die eher drückende Stimmung wieder verbessern wollte, denn ich war ja auch im Grunde genommen maßgeblich an ihr beteiligt.
Yoongis eigene Stimmung, so kam es mir jedenfalls vor, klärte sich nach einiger Zeit wieder auf und ich war froh, dass meine Anwesenheit von ihm nicht als störend empfunden wurde, sodass ich mich bald, einmal abgesehen von meinem polternden Herzen, normal mit ihm, wie es für Freunde üblich war, unterhalten konnte.
Ja, ich genoss Yoongis Nähe sehr und ich hätte mich noch stundenlang in ihr, verborgen vor den Augen von anderen, aufhalten können, doch wollte ich ihm nicht noch mehr seiner kostbaren Zeit stehlen und deswegen machte ich ein paar Stunden später, die wir nur damit zugebracht hatten, zu reden, Anstalten, mich aus dem Staub zu machen.
Ich war gerade vom Bett aufgestanden und wollte mich verabschieden, als Yoongi bemerkte, was ich genau geplant hatte, und mir einen Strich durch die Rechnung machte.
'Ich würde dich gerne um was bitten.'
Ein wenig ratlos, was ich genau tun sollte, blieb ich stehen und betrachtete ihn. Er saß weiterhin auf dem Bett, obwohl, er lag schon halb, und sah zu mir hoch, seine roten Haare ein wenig durcheinander durch das lange Liegen auf eines der Kopfkissen.
Mein Schweigen nutzte er, um ein weiteres Mal das Wort an mich zu richten.
'Ich frage in der Regel niemandem nach der Meinung zu meinen Texten außer Namjoon, und das auch nur selten, denn ich will nur meine Gedanken festhalten. Aber bei einem Text würde es mich interessieren, was du darüber denkst.'
Moment..hatte mich Yoongi eben ernsthaft gefragt, ob ich einen von seinen Texten lesen wollte?
Minimal überwältigt von dem Angebot, was er mir soeben unterbreitet hatte, nickte ich lediglich, da mir plötzlich mein gesamtes Vokabular entfallen war und wie auf Knopfdruck sprang Yoongi auf, ging mit zügigen Schritten zu seinem Schreibtisch herüber und ich hörte für ein paar Sekunden Papier rascheln, bevor er mit einem Zettel zu mir zurückkehrte und ihn mir in die Hand drückte.
Zaghaft tasteten meine Augen über das weiße Papier, auf dem sich Yoongis Schrift in einem Tiefschwarz befand.
Den Text hatte er mehrmals überarbeitet, denn es waren teilweise ganze Zeilen durchgestrichen und neu geschrieben worden, oder manche Wörter wurden durch andere ersetzt. Allgemein sah er aus, als hätte Yoongi ihn in dem Moment, als er ihm einfiel, festhalten wollen und ihn in aller Windeseile aufgeschrieben, damit er ihn nicht vergaß.

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