Kapitel 12 : "Die alte Frau"

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Manu öffnete seine schmerzenden Augen. Es war düster und somit brauchte er kurz um sich an die Dunkelheit zu gewöhnen. Er blinzelte einige Male bis er schließlich feststellte, dass er einen Sack über dem Kopf hatte. Manu hörte Stimmen, Pferdehufen, die laute matschige Geräusche hinterließen und sogar knisterndes Feuer. Mit bedauern stellte er fest, dass bereits über ein dutzend verschiedene Stimmen etwas gesagt haben. Schweiß lief ihm über die Stirn als er bemerkte, dass seine Hände und Füße durch eiserne Ketten verbunden waren. Zu allem Überfluss lag er in einer Kutsche oder auf einem hölzernen Karren. Sein ganzer Körper wurde gerüttelt, bis das Gefährt nach einiger Zeit endlich zum stehen kam.

"Holt sie da runter!", sagte eine Stimme, die Manu bereits kannte. Es war die des Mannes, der ihm das Messer an die Kehle gehalten hat und ihm den Schlag verpasst hat, der ihn in Ohnmacht fallen ließ. Augenblicklich bemerkte Manu, wie mehrere große Hände an seinen Füßen zogen. Ängstlich zappelte er herum, da er nicht wusste was mit ihm geschah und wo er sich befand. Plötzlich spürte er, wie der hölzerne Boden unter ihm verschwand.
"Klatsch!", Manu landete mit voller Wucht im Schlamm.

"Schweres Pack", sagte die Manu bereits bekannte Stimme, als der Mann dem sie gehörte, Manu an seinen Fesseln über den feuchten Schlamm zog. "Dort drüben können sie hin", hörte Manu jemanden sagen und fragte sich, wer mit 'Sie' gemeint war. Plötzlich ließ ihn sein Entführer los und Manu spürte, wie an seinen Ketten rumgezogen wurde. Ruckartig und ohne Vorsicht zog der Mann die Ketten dahin wo er sie brauchte und beachtete gar nicht, dass Manu dadurch Schmerzen hatte. "Nehmt mir das ab", sagte er flehend und versuchte in die Richtung zu schauen, aus der die Stimmen kamen. Schritte näherten sich und mit einem Ruck zog ihm sein Entführer den Sack vom Kopf.

Zum ersten Mal sah er den Mann im Licht des brennenden Feuers. Manus dunkle Augen musterten seinen Entführer scharf als dieser sich wieder umdrehte und ging. Erstaunt und verängstlich zugleich blickte der gefesselte und verdreckte Lord ihm hinterher. Manu erkannte den Mann. Er war ein Halbriese und unterschied sich deutlich von den anderen um ihn herum. Die anderen Männer waren ohne Zweifel, Wilde aus dem tiefen Osten, dennoch gehorchten alle Männer dem bleichen Halbriesen. Seine muskulöse Statur und gefühlslose Ausstrahlung ließ Manu einen Schauer den Rücken hinunterlaufen.

Er blickte sich um und versuchte zumindest im Schein des Feuers, um das mindestens zwölf dunkelhäutige Wilde saßen, einiges zu erkennen. Erschrocken stellte er fest, dass neben ihm vier weitere Gefangene lagen. Jungen in seinem Alter. Sie blickten Manu still an und er konnte sehen, dass jeder von ihnen bereits Narben im Gesicht oder am Körper hatte. Er sagte kein Wort, sondern wandte sich ab und lehnte sich gegen den Baum, an dem seine Ketten befestigt waren. Seine dunklen zerzausten Haare hingen in seinem verdreckten Gesicht. Sein Körper sackte langsam in den feuchten Schlamm und Manu war klar, dass nun niemand mehr glauben würde, er sei ein nordischer Lord.

Auf die Lichtung traten Frauen. Sie kamen nach und nach aus dem dunklen Wald und brachten den Wilden Wasser und Essen. Eine Frau, die älter war als alle anderen, ließ ihren Eimer direkt vor die Füße des Halbriesen fallen. "Spinnst du, Weib!", brüllte er sie an und erhob sich. Die Frau sah ihn wortlos an und zuckte zurück als er seine Hand hob.

Manu erschrak als er sah, mit welcher Wucht sein Entführer die Frau schlug. Winselnd sackte sie in den Schlamm und blickte den großen Mann mit Tränen in den Augen an. "Es tut mir leid", sagte sie leise und mit zitternder  Stimme. Die anderen Frauen sahen nur ängstlich zu und halfen der alten Frau nicht einmal hoch. "Passiert dir das nochmal, so breche ich dir eine Hand", sagte der Riese zornig und die wilden hinter ihm lachten laut. "Kette sie heute zu den anderen!", sagte der Riese zu einem der Wilden. Dieser erhob sich sofort vom Feuer und zog sich seine vermutlich gestohlenen, wärmenden Klamotten an. "Komm mit!", brüllte er die, noch immer winselnde, Frau an und riss sie am Arm. Er zog sie herüber zu Manu, der erschrocken das Ganze beobachtete.

Als die Männer wieder alle lachend am Feuer saßen, hörte die Frau auf zu winseln und blickte Manu in sein verdrecktes Gesicht. "Grüß dich", flüsterte sie mit einer angenehmen Stimme. Manu musterte die kreidebleiche weiße Frau. Ihr bereits faltiges Gesicht verzog sie trotz dem Schmerz, zu einem aufmunternden Lächeln.
"Manu", sagte er leise und blickte in ihre alten Augen. "Geht es Euch gut?", fragte er mitgenommen, doch sie schüttelte nur den Kopf und hielt ihm eine Hand vor den Mund. Alle anderen Gefangenen richteten sich nun auch auf und blickten freudig in ihr Gesicht. Sie holte etwas Fleisch und Brot unter ihrem Gewand hervor und verteile es gerecht an alle. Dabei lächelte sie freundlich und versuchte so wenig Lärm wie möglich zu machen. "Genießt es und kümmert euch nicht um mich", sagte sie. Erstaunt und dankbar nahm Manu die kleine Menge Essen entgegen. Er öffnete seinen Mund um Etwas zu sagen, doch sie legte ihren knochigen und ausgehungerten Finger auf seine roten Lippen und zwang ihn zu essen. "Danke", murmelte er dennoch mit vollem Mund und ließ seine Gedanken für einen kurzen Moment ruhen.

"War over Blood" A story forged with powerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt