Kapitel 5

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Ich hielt mir meine Hand vor den Mund und flüsterte: „Ach du Scheiße." Zoe blickte mir prüfend ins Gesicht. „Du bist so blass. Geht es dir gut?" Geistesabwesend nickte ich. Erst jetzt fiel mir auf, egal, welches Thumbnail von GLP anschaute, man konnte immer diesen Avatar sehen mit der Maske, den braunen, glatten Haaren und den leuchtenden, grünen Augen. Es gab keine Zweifel mehr, er musste es einfach sein. Ich ließ in meinem Kopf das Minigolfspiel Revue passieren. Diese verstellte Stimme, die mir so vertraut vorkam... Ohne noch etwas zu sagen, stand ich auf und lief los. Ich achtete nicht darauf, auf den befestigten Wegen zu bleiben oder meine Schuhe nicht dreckig zu machen, ich hatte nur mein Ziel vor Augen. Ich wollte zu Manuel. Oder sollte ich besser sagen, GermanLetsPlay? GLP? Ach shit, ich wusste nicht einmal, wie ich ihn jetzt nennen sollte. Ich ging einfach weiter, aus dem Gehen wurde ein Joggen, letztendlich rannte ich über das Gelände. Schon von weitem konnte ich ihn sehen, er trug gerade eine Obstkiste zum Eingang seiner Ferienwohnung. „Manuel, warte kurz!", rief ich und winkte. Überrascht stellte er die Obstkiste ab und grinste mich an. „Hallo Miriam!" Mein Herz schlug schneller. „Ich muss dir was sagen", meinte ich. „Okay, worum geht's?" Ich hatte keine Ahnung wie ich anfangen sollte. „Ich, du, ich meine-" Ich brach ab. In Manus Gegenwart brachte ich keinen Satz zustande, vor allem nicht, da er mich immer noch freundlich anlächelte. Meine Knie fühlten sich wie Pudding an und ich musste mich an der Hauswand anlehnen, um nicht umzufallen. Ich würde ihn erst ihn ein Gespräch verwickeln und dann nach und nach etwas andeuten. Was für ein genialer Plan! Den musste ich nur noch geschickt umsetzen. Ich durfte nur nichts überstürzen... Im nächsten Moment hörte ich mich sagen: „Du bist GermanLetsPlay. Ich habe recht, stimmt's?" Wie dumm von mir, einfach mit der Tür ins Haus zu fallen! So gerne ich es auch tun würde- ich konnte die Zeit nicht zurückspulen. (Unnütze Nebeninfo: Hier hab ich das Schreiben unterbrochen um GLP's 16.30 Uhr Video anzusehen ^^) Manuel sagte kein Wort sondern blickte mich nur wütend und gekränkt an. „Du hast es garantiert die ganze Zeit gewusst. Und was willst du jetzt machen, hm? Ein Bild von mir ins Netz stellen? Mit jemanden wie dir vergeude ich nicht meine Zeit." Er funkelte mich böse an und drehte sich eiskalt weg. „Nein, so war das doch gar nicht, ich kann dir alles erklären!", schrie ich verzweifelt doch Manu war schon in das Ferienhaus eingetreten und hatte laut die Türe zugeknallt. Fassungslos blieb ich stehen. Und fing an zu weinen. Das zweite Mal innerhalb von wenigen Tagen. Das zweite Mal weinte ich um einen Jungen. Nur, dass mir Manuel wichtiger war, als es mir Ben je gewesen ist. Mit langsamen Schritten entfernte ich mich von dem Haus und hoffte die ganze Zeit, Manuel würde zu mir kommen und sich meine Erklärung verständnisvoll anhören. Aber nichts passierte. Deprimiert holte ich mir meinen Block und meinen Stift aus unserer Wohnung und wich allen Fragen von meiner Familie aus. Orientierungslos lief ich in der Stadt umher und blieb schließlich stehen. Vor mir erstreckte sich ein See aus klarem, tiefblauen Wasser. Ich setzte mich an die Kante eines hölzernen Stegs, der ins Wasser führte. Ich zog meine Sneakers aus und ließ meine Beine im Wasser baumeln. Das kühle Nass tat mir gut, ich konnte endlich wieder einen richtigen Gedanken fassen. Auf meinen Block schrieb ich auf wie ich mich fühlte, was ich gerade dachte und durchmachte. In kürzester Zeit wurde aus diesen Schlüsselwörtern ein neuer Songtext und auch die passende Melodie schwirrte mir im Kopf herum.

Den ganzen Tag lang, sang ich meinen neuen Song vor mich hin. Mit Musik konnte ich am besten mit meinen Gefühlen und Schmerzen umgehen, sie half mir einfach immer wieder in schwierigen Lebensphasen. Obwohl ich nicht mein richtig gutes Aufnahmegerät und mein anderes Equipment dabeihatte, nahm ich trotzdem das Lied gleich auf. Aus dem Internet downloadete ich noch ein schönes Bild und mit meinem Bearbeitungsprogramm schnitt ich alles zusammen. Ich wollte schon bestätigen, dass ich fertig war, als mir noch eine Idee kam. Nach dem Song schrieb ich noch als Text:

Ich hoffe, dass du dieses Video siehst und dich jetzt angesprochen fühlst, denn alles ist nicht so, wie du denkst. Wir kennen uns erst seit ein paar Tagen, aber ich will nur, dass du weißt: Ich werde alles daransetzen, dich nicht zu verlieren. Und selbst wenn du das nicht genauso siehst, habe ich wenigstens das Gefühl, es probiert zu haben.

Ichlag auf meinem Bett und starrte die Decke an. Gerade eben hatte ich mein Videohochgeladen und wie ich bemerkt hatte, gab es schon ein paar Kommentare. Ichgriff erneut zu meinem Handy, als ich eine Benachrichtigung erhielt: Ich hatteeine SMS bekommen. Von Ben. Eigentlich wollte ich sie nicht lesen, war aberneugierig, was er zu all dem sagte, was ich ihm geschrieben hatte. Es tut mir soleid, Miri! Ich habe zu viel getrunken und wurde von Jana dazu gedrängt, aufihre Party zu kommen! Deswegen muss doch nicht Schluss zwischen uns sein, ichschwöre dir, das wird nie wieder vorkommen! Ich vermisse dich!!! Ich schnaubte verächtlich. Ichglaubte Ben kein Wort und simste ihm gleich zurück, dass er mich in Ruhe lassensollte. Kurz darauf kam meine Mutter ins Zimmer und fragte, ob wir unsunterhalten könnten. Ich stimmte zu und wir setzten uns an denEsszimmertisch. „Ich glaube, ich habe eineLösung für dich gefunden", erzählte mir meine Mutter. „Was für eine?",erkundigte ich mich. Meine Mutter zwinkerte mir zu. „Das ist eineÜberraschung", meinte sie geheimnisvoll. „Komm mit!" Zusammen mit meinem Vater undZoe liefen wir zum Parkplatz der Ferienanlage. Dort stand ein neuer, grauerBMW, der mir sehr bekannt vorkam. Die Autotür wurde schwungvoll aufgerissen undeine Frau stieg aus dem Wagen. „Tante Carol!", stellte ich fest. Meine Tantekam zu mir und umarmte mich. „Was machst du denn hier?" Sie lächelte. „Ich habeauch in Italien Urlaub gemacht und wollte heute abreisen. Doch am Morgen hatmich deine Mutter noch angerufen und mir einiges erzählt... lange Rede, kurzerSinn: Ich fahre nach Deutschland zurück und du kannst mit, nach Hause zu deinenFreundinnen und Freunden!" Ich drehte mich zu meiner Mutter um. „Ist das wahr?"Sie nickte stolz und sagte: „Du bist groß genug, um ein paar Tage alleineauszukommen." In meinem Gehirn ratterte es. Ich könnte jeden Tag mit Sophieverbringen, wäre erlöst von nervigen Familienausflügen und meiner Familie,könnte alles, was bisher hier passiert ist, vergessen. Ich schaute mich nocheinmal um und dann sah ich Manuels Ferienwohnung. Und Manu, der am Fensterstand, und zu uns schaute. „Also, los geht's, die Koffer sind schon im Wagen!",freute sich Tante Carol. Manuel beobachtete uns weiter mit seinen grünen Augen.Plötzlich machte es bei mir „Klick!". „Nein", sagte ich laut und deutlich. Allestarrten mich verwirrt an. „Ich bleibe hier."

Ein Urlaub ohne MaskeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt