Kapitel 15

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„Was? Nach Berlin?" Meine Mutter schaute mich ungläubig an. War ja klar gewesen, dass sie nicht besonders glücklich darüber war, dass das nächste Casting in Berlin stattfinden würde. Ich hatte ja selbst nichts davon gewusst! Bis Manuel es gestern bei unserem Gespräch noch nebenbei erwähnt hatte. „Das kommt gar nicht in Frage! So wichtig ist diese Musikshow nun auch nicht!" Irgendwie musste ich es schaffen, sie zu überzeugen. Mit dieser Fernsehsendung könnte meine Karriere als Sängerin wirklich richtig starten! Klar, ich hatte meinen YouTube Kanal und nicht wenige Abonnenten, aber ein Wettbewerb mit fachkundiger Jury war eben ein ganz anderes Kaliber. „Es wäre doch nur übers Wochenende", versuchte ich meine Mutter zu beruhigen. „Außerdem habe ich mich im Internet schon nach Verkehrsmitteln erkundigt, ich könnte mit der Bahn dorthin fahren. Verstehst du, es ist sehr wichtig für mich!" Meine Mutter musste lächeln und machte eine abwehrende Handbewegung. „Meinetwegen, du darfst dorthin." „Hör mir zu, ich weiß... warte was? Ich darf?" Sie nickte. „Danke!", rief ich und umarmte meine Mutter. „Das wird so cool, ihr könnt mich dann auch im Fernsehen singen hören und oh, vergesst nicht, dass Zoe es unbedingt auch mitanschauen soll!" Gedanklich plante ich schon alles durch. Hoffentlich gab es dort in der Nähe ein nicht allzu teures Hotel, in dem ich für eine Nacht bleiben und anschließend auch noch frühstücken konnte. Natürlich gab es nur eine Person, der ich das jetzt mitteilen wollte: Manu. Ich rief ihn an, aber anscheinend war sein Handy ausgeschaltet. Deswegen schrieb ich ihm eine SMS und hatte dann noch etwas ganz Anderes zu erledigen. Meine Schwester Zoe hatte bald Geburtstag und daher hatten sich meine Eltern schon nach ihren Wünschen erkundigt. Meine Mutter und mein Vater weigerten sich aber strikt dagegen, Zoe noch mehr Merchandize von YouTubern zu kaufen, wie sie es eigentlich wollte. Also musste ich für kreative Geschenkideen herhalten und bisher hatte ich noch keinen einzigen Einfall. Jedenfalls, bis meine Schwester mir hellauf begeistert von der Longboardtour 2.0 erzählte, die wohl schon in Planung war. Was gab es also besseres als ein eigenes Longboard für sie? Kurzerhand brachte ich meinen Vater also dazu, mit mir in ein Sportgeschäft zu fahren, um das Geschenk zu besorgen.

Ziemlich planlos standen mein Vater und ich im Erdgeschoss des Ladens. Hier war anscheinend eher die Abteilung für Skater, mit einer ziemlich großen Auswahl. Es dauerte also eine Weile, bis wir die Longboards fanden. Oder besser gesagt, bis ich sie fand. Denn mein Vater konnte mit dem Begriff „Longboard" nicht wirklich viel anfangen. Er war der Meinung, man sollte Zoe lieber etwas Klassisches kaufen und hielt mir dann ein Paar Rollschuhe unter die Nase. Sie waren knallpink und mit bunten Glitzersteinen besetzt, um es kurz zu sagen: Diese Dinger waren das Abscheulichste, dass ich jemals gesehen hatte. Ohne einen Kommentar abzugeben, drehte ich mich um und führte unbeirrt meinen Weg fort. Endlich war ich bei den richtigen Boards angelangt. Auf einem war ein Totenkopf abgebildet, andere hatten bunte Muster und wiederum andere waren im Design recht schlicht gehalten. Aber was davon würde Zoe auch gefallen? Ich hatte nun einen Favoriten, blickte auf den Preis und bekam erstmal einen kleinen Schock. So teuer konnten Longboards sein? „Na? Ist dein erster Einkauf hier?" Ich drehte mich um. Taddl stand vor mir, grinste mich an und fuhr sich lässig mit seiner Hand durch seine blonden Haare. So langsam fragte ich mich wirklich, wieso er mich immer dämlich anlächelte. „Das Longboard ist nicht für mich, meine kleine Schwester hat bald Geburtstag und ich brauche noch ein passendes Geschenk", gab ich Auskunft. „Mhm, dann ist das hier wahrscheinlich nicht so gut für sie geeignet", meinte Thaddeus. Verwirrt wanderte mein Blick von dem Board in meiner Hand zu ihm und zurück. „Warum?" Daraufhin erklärte er mir alle möglichen Vorteile, Nachteile und Unterschiede von verschieden Boards, den Rollen und Größen. Ich hatte Mühe ihm zu folgen, denn eigentlich hatte ich mich mit sowas noch nie beschäftigt. Letztendlich kauften wir mithilfe Taddls Beratung ein hellblaues Pennyboard. Mein Vater nahm das Geschenk im Auto mit, musste dann aber zu einem überraschenden Geschäftstermin ins Büro fahren, weshalb ich zu Fuß nach Hause gehen musste. Jedenfalls hätte ich das tun müssen, wenn Taddl mir nicht noch spontan ein Angebot gemacht hätte. „Bist du schon mal auf einem Longboard gefahren?" Ich verneinte und er zeigte mir sein eigenes, mit dem er momentan immer unterwegs war. „Hast du Lust, eine Runde zu drehen?" Zuerst war ich etwas misstrauisch und nicht so sehr begeistert, aber nach ein bisschen Übung und Thaddeus Unterstützung lief es am Ende doch ganz gut und ich konnte halbwegs sicher nach Hause fahren, während Taddl neben mir herlief. Es machte ziemlich viel Spaß und überlegte mir, mir vielleicht auch einmal ein Longboard oder Pennyboard zu kaufen. Ich könnte es dann auch Manuel beibringen, der bestimmt staunen würde, was ich jetzt schon alles draufhatte. Apropos Manuel... Er hatte mir bereits auf meine Nachricht geantwortet und mich auf ein Treffen eingeladen, irgendwo in einen Park. Er hatte mir eine Wegbeschreibung mitgeschickt, also hatte ich kein größeres Problem damit, den Treffpunkt zu finden. Der Rasen war saftig grün, die Bäume spendeten an diesem angenehmen Tag ein wenig Schatten und mitten durch das Gelände floss ein kleiner Fluss. Man merkte, dass Hochsommer war und ich genoss es auch ziemlich, etwas verträumt durch den Park zu laufen. Es war eindeutig Zeit, mal wieder einen Song zu schreiben, dachte ich als ich mich auf eine Parkbank setzte, den Kopf in den Nacken lehnte und gen Himmel schaute. In Gedanken versunken, in denen ich schon einige Zeilen für einen Songtext zusammenreimte, bemerkte ich nicht, wie Manuel sich anschlich und mich erschreckte. Ich zuckte zusammen, musste dann aber lachen. „Hey Manu", begrüßte ich ihn. „Gab es einen bestimmten Grund, weshalb du mich treffen wolltest?" Manuel lächelte nur und hielt mir seine Hand hin, nach der ich griff um besser aufstehen zu können. Manu führte mich zu dem Fluss, genauer gesagt zu der steinernen Brücke, die darüber führte. Ich lehnte mich am Brückengeländer an und blickte Manuel abwartend an. Nach einer kurzen Zeit ergriff er das Wort. „Erinnerst du dich an deinen letzten Tag in Italien, also, ich meine, an den Kuss?" Als würde ich diesen Tag jemals vergessen können! Charmant lächelte ich ihn an. „Das können wir gerne wiederholen", meinte ich, legte meine Hände um seinen Hals und küsste ihn leidenschaftlich. Seine Augen strahlten im Sonnenlicht fast noch schöner als sonst. „Was ich mich gefragt habe, ist: Sind wir so richtig zusammen? In einer Beziehung?" Damit sagte er das, was immer unausgesprochen zwischen uns stand. Es war eigentlich nicht so offensichtlich, wie es sich anhörte. Klar, wir hatten uns unsere Liebe damals im Urlaub gestanden, uns beim Abschied geküsst, aber seit wir hierhergezogen waren, hatten wir immer nur viel Zeit miteinander verbracht. So, wie es genauso gut Freunde hätten tun können. Außerdem hatte soweit ich wusste, niemand von uns den anderen nach einer festen Beziehung gefragt. Plötzlich pochte mein Herz schneller und ich wurde etwas ängstlich. Was, wenn Manuel das alles nur als Ausrutscher gesehen hatte? Und er nur wollte, dass wir gute Freunde waren? Würde ich das überhaupt durchhalten? Ich war doch verliebt in ihn! Aber was, wenn wir dann so gar keinen Kontakt mehr haben würden? Panisch und angsterfüllt hing ich an Manuels Lippen und erwartete seine nächsten Worte.

Ein Urlaub ohne MaskeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt