Kapitel 21

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Nachdem ich bei Peter ankam, der natürlich auch seine Frau Dani geholt hatte, versammelten wir uns am Esstisch zu einer Art Krisensitzung. Trotz all dem Krach, den Manuel und ich hatten, war ich total besorgt um ihn. „Zumindest scheint er seine Reise geplant zu haben", überlegte Dani laut. Peter nickte zustimmend, aber meiner Meinung nach machte das die Situation nicht gerade beruhigender. „Können wir nicht einfach gleich nach ihm suchen?", fragte ich etwas aufgewühlt. Wir konnten doch nicht einfach stillsitzen und nichts unternehmen! „Den Gedanken sollten wir gleich verwerfen, man sieht draußen ja nicht mal mehr die Hand vor Augen. Nicht, dass noch einer von uns verloren geht", gab Peter zu Bedenken. Beneidenswert, wie ruhig er blieb. Und das als sein Halbbruder! Da sollte ich mich ja als Manus Exfreundin gar nicht mehr um ihn sorgen. Aber genau das war eben nicht der Fall... Ich seufzte leise. „Stimmt schon, wir sollten die Suche echt auf morgen verschieben", gab ich zu, nahm meinen Koffer und verabschiedete mich von den beiden. Jetzt hatte ich ein weiteres Problem: Wo sollte ich die Nacht verbringen? Ich hatte es nicht übers Herz gebracht, mich Peter und Dani mit meiner Story anzuvertrauen, wahrscheinlich hätten sie, so verantwortungsbewusst wie sie waren, einfach meine Eltern benachrichtigt. Leider hatte ich hier auch keinen richtigen Anschluss und viele Freunde gewonnen. Ich zog mein Handy aus der Hosentasche, entsperrte es und ging meine Kontakte durch. Meine Eltern, Manu, Ardy und Taddl, meine beste Freundin Sophie und noch einige Leute, mit denen ich früher Kontakt gehabt hatte. Und Helen! Vielleicht konnte sie meine Situation retten! Nach mehreren Klingelversuchen hatte ich eine total übermüdete Helen am anderen Ende der Leitung. Sie war zwar so müde, dass ich jedes Wort dreimal wiederholen musste, aber sie stellte glücklicherweise deswegen auch keine Fragen. Sie verriet mir, dass sie eigentlich direkt neben der Schule und kurze Zeit später stand ich auch schon vor ihrer Haustür. Der Weg durch die sternenklare Nacht war nicht gerade der wärmste gewesen und ich war ein wenig durchgefroren, als meine Freundin mich in ihr Haus bat. „Hier, ich habe vom Zelten in den Ferien noch einen Schlafsack, den du benutzen kannst", sagte Helen und deutete auf das verpackte Bündel, welches am Fußende ihres Bettes angelehnt war. Sie war um diese Uhrzeit zwar nicht mehr ganz so geistreich wie sonst, doch dafür kam jetzt ihre Spontanität zum Vorschein. Genauso wie die Tatsache, dass sie ohne ihre Brille und mit offenen Haaren richtig hübsch aussah. Ein hübsches, intelligentes Mädchen, das sowohl organisieren als auch spontan sein konnte und dazu noch total nett war. Irgendwie kam mir das zu perfekt vor. Was war wohl ihre Macke? Denn das es da einen Haken gab, war mir beim Überlegen klargeworden...

Ichwurde von den Sonnenstrahlen geweckt und brauchte eine Sekunde, um mich wiederorientieren zu können. Der Wecker, der neben Helens Bett stand zeigte an, dasswir gerade mal sechs Uhr morgens hatten. Normalerweise würde ich ebenso wieHelen momentan noch schlafen, aber es war so viel geschehen, dass langeausschlafen für mich nicht denkbar war. Wie immer eigentlich am Morgenwanderten meine Gedanken zuerst zu Manuel. Dachte er vielleicht auch gerade anmich und vermisste mich schmerzhaft, so wie ich ihn? Oder verschwendete erkeinen einzigen Gedanken an das, was ich für ihn empfand? Mit einem leisenÄchzen befreite ich mich von meinem ausgeliehenen Schlafsack und versuchte aufdie Beine zu kommen. Helen wollte ich noch nicht aufwecken, nachdem ich sieeinfach mitten in der Nacht schon angerufen und aus dem Schlaf gerissen hatte.Und ohne mich bei ihr richtig zu bedanken und zu verabschieden wollte ich nichtgehen. Vielleicht sollte ich ihr einfach einen Zettel schreiben. Schnell fandich auf ihrem Schreibtisch einen Kugelschreiber, aber leider kein Papier. Nuraus dem Eimer unter dem Tisch lugte etwas zerknittertes Papier heraus. Ich nahmes in die Hand, faltete es auf und wollte anfangen zu schreiben, da bemerkteich, dass die Rückseite beschrieben war. Mit zusammengekniffenen Augenbetrachtete ich, was dort stand. Am Anfang waren es immer die gleichen paarWörter, nur das komische war, dass sie immer krakeliger geschrieben wurden.Darunter folgten lauter kleine Entwürfe von Texten. Genau genommen Drohbriefen.Exakt so, wie ich sie kannte. Immer wieder starrte ich auf die Zeilen. Isabellahatte mich nicht angelogen. Verkrampft hielt ich das Stück Papier in der Hand,als ich mich zu Helen drehte. Hellwach saß sie auf ihrem Bett und hatte einPokerface aufgesetzt. Auch, dass sie geschlafen hatte, hatte sie mir nurvorgemacht. Zwischen uns herrschte eisige Stille. „Du warst das. Die ganzeZeit. Ich dachte wirklich, ich könnte dir vertrauen!", schrie ich sie plötzlichvoller Wut an. Ihre Reh Augen wurden ganz groß und mit einem Schlag sehrverängstigt. „Warum hast du das gemacht? WARUM?" Ich war noch lauter gewordenund zuerst sah es so aus, als ob Helen gleich anfangen würde, zu weinen. Aberdann sprang sie auf, stellte sich mir gegenüber und fokussierte mich mit einemdurchdringenden Blick. „Du kommst hier her und nimmst dir einfach alles", begannsie und ihre Stimme zitterte vor Wut. „Kaum bist du da, freundest du dich mitTaddl und Ardy an. Den zwei coolsten Typen der Klasse." „Aber mit wem sich dieJungs anfreunden, ist doch ihre Sache!" „Ja, aber ich bin total abgeschriebenbei ihnen. Das waren mal meine besten Freunde. Und jetzt heißt es nur nochMiriam hier, Miriam da." Mit ihren Augen funkelte sie mich böse an. „Dann habensie dich auch noch in ihre Band aufgenommen...", zählte Helen weiter auf. „Aberdu hast mir doch den Tipp mit der Band gegeben", erinnerte ich sie. „Ja. Weilich wollte, dass sie dich auch ablehnen. So wie mich. Ich konnte ja nichtahnen, dass du unfairerweise so eine Stimme hast." Es kam mir so vor, als obsie schon ganz grün vor Neid wurde. „Und dann kam die Krönung: Du hast direinfach Manuel geangelt. Meinen Schwarm! Ich bin seit zwei Jahren verliebt inihn!" Sprachlos blickte ich Helen an, die jetzt, da sie ihren Ärgerherausgeschrien hatte, mit den ersten Tränen zu kämpfen hatte. „Ich wollte mirwenigstens Manuel mit den Drohbriefen zurückholen", schluchzte sie leise. „UnsereTrennung hast du ja schon mal erreicht", erzählte ich ihr mit einem eisernenBlick. Helen schluckte. „Weißt du, da bei dem Club: Ich habe Taddl empfohlen damit dir hinzugehen und an dem Abend habe ich auch Manu angerufen, damit er dorthingeht. Unter dem Vorwand, dir wäre etwas passiert", gestand sie mir kaumhörbar. „Das hast du ja toll hingekriegt." Ich wendete mich von ihr ab undverließ mit schnellen Schritten ihr Zimmer und stoppte dann an der Haustür.„Ach ja", bemerkte ich noch, „Manuel ist übrigens abgehauen. Denn bei alldeinen Aktionen hast du etwas vergessen. Nämlich die Tatsache, dass nicht nurich darunter leide." Mit einem lauten Knall schloss ich die Haustür und ließeine geschockte Helen zurück.

Ein Urlaub ohne MaskeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt