„Und? Habt ihr etwas gefunden?", fragte Peter Dani und mich. Entmutigt schüttelte ich den Kopf und stieg von meinem Fahrrad. Dani, die mit mir auf dem Rad die Gegend nach Manuel abgesucht hatte, tat es mir gleich. „Es ist so, als ob mein Bruder wirklich vom Erdboden verschluckt ist", seufzte Peter und in seinen Gesichtszügen war zu erkennen, dass auch sein Optimismus stark nachgelassen hatte. Er hatte sein Auto genommen um ein größeres Umfeld und noch andere Verwandte und Freunde abzuklappern. Der Erfolg, Manuel zu finden, blieb aber auch bei ihm aus. „Wo suchen wir also als nächstes?", wollte ich wissen, obwohl ich ebenfalls etwas außer Atem gekommen war. „Miriam, ich bewundere dich dafür, dass du nicht aufgibst, aber heute mache ich so eine Tour nicht nochmal mit", sagte Dani und setzte eine schmerzverzerrte Grimasse auf. Ich konnte sie ja verstehen, auch mein Hintern war schon wundgesessen, denn die Drahtesel die wir hatten, waren wirklich nicht sehr komfortabel. Aber es ging hier um Manuel! Mit einem kleinen Hoffnungsschimmer in den Augen blickte ich nun zu Peter. „Nein, das bringt doch nichts", wehrte er gleich ab, so als ob er meine Gedanken gelesen hätte. „Das einzige, was wir noch tun können, ist abzuwarten, bis er alleine wieder nachhause kommt." Enttäuscht ließ ich den Kopf hängen. „Okay." Dani nahm sich ihr Fahrrad, schob es neben sich her und Peter begleitete sie. Ich schaute ihnen nachdenklich hinterher, bis sie fast nicht mehr zu sehen waren. „Miriam...", ertönte eine Stimme neben mir und riss mich damit aus meinen Gedanken. Ich wendete mich der Person nicht zu, sondern blickte stur geradeaus. Trotzdem wussten wir beide, dass ich genau zuhörte, deshalb wunderte es mich nicht als die Person fortfuhr. „Ich glaube, ich weiß wo er ist. Da gibt es nämlich einen Ort, von dem nicht mal seine Familie weiß. Es gibt da ein kleines Gebäude im Wald, ein ehemaliger Bunker aus Kriegszeiten. Früher saß er oft dort oder in der Nähe, es war immer sein Zufluchtsort." „Woher soll ich wissen, dass du nicht lügst?", fragte ich. Natürlich gab es keine handfesten Beweise, aber dieses Mal brauchte ich das auch nicht. Es war die Wahrheit. Ich fühlte es einfach. „Soll ich dich hinbringen?" Ich bedankte mich mit einem ehrlichen Lächeln. „Das wäre super. Danke." „Das ist das mindeste, das ich tun kann." So war sie also, wenn sie ihre Maske abgelegt hatte. Ihre Maske, hinter der nichts als Schmerz versteckt worden war. „Nein, wirklich. Danke, Helen."
Es schweißte einen wirklich zusammen, wenn man zu zweit auf einem klapprigen Fahrrad saß und durch den Wald fuhr. Helen hatte zwar etwas Mühe, sich auf dem Gepäckträger halten zu können, vor allem da das Terrain nicht sehr gut für ein normales Rad geeignet war, welches außerdem keine besonders gute Federung besaß, aber sie biss die Zähne zusammen. Ich vertraute ihren Weganweisungen, etwas Anderes wäre für mich auch nicht möglich gewesen, da ich dieses naturbelassene Stück der Stadt nicht kannte. Je länger wir fuhren, desto dichter standen die Bäume zusammen, deren Kronen uns Schatten spendeten und desto schwieriger wurde das Durchkommen. Zuletzt fing es auch noch an zu regnen, weshalb wir vom Fahrrad abstiegen und es neben uns her durch den Matsch schoben. Es dauerte nicht lange, bis wir anfingen zu frösteln. „Ist es noch weit?", erkundigte ich mich und Helen schüttelte ihren Kopf. „Wir müssten jeden Moment dort sein." Sie sollte Recht behalten, denn zwei Minuten später kamen wir an einer Lichtung an, die den Blick auf den verwegenen Bunker freigab. Wir näherten uns dem Gebilde und Helen wurde zusehends unsicherer. „Okay, dann lass uns reingehen", schlug ich vor und machte einen Schritt auf den Eingang zu, doch Helen hielt mich zurück. „Du kannst auf keinen Fall da reingehen. Das Teil ist in einem noch viel schlechteren Zustand, als ich dachte, wenn nicht sogar einsturzgefährdet. Manu kann da nicht sein. Ich muss mich geirrt haben..." „Aber wir sind so weit gekommen", protestierte ich. Ich konnte doch nicht aufgeben, wenn Manuel vielleicht greifbar war! Und ich hatte schon mal erfahren, wie leichtsinnig Manu sein konnte. „Es tut mir leid Helen, aber ich kann nicht anders." Besorgt schaute Helen mir hinterher, wie ich ihm Inneren des Gebäudes verschwand. Hier war es zwar trocken, aber dafür viel dunkler als draußen, denn es gab kein einziges Fenster. Mit meinen Händen tastete ich mich an den Wänden entlang, von denen der Putz schon herunterbröckelte und bekam ein ungutes Gefühl bei der Sache. Hatte es ihn wirklich hierher verschlagen? „Manuel?", fragte ich in die Stille, doch außer meiner Stimme, die unheimlich widerhallte, blieb alles ruhig. Ich wagte mich wieder einige Schritte weiter und meine Unruhe wuchs stetig. Schon kam ich an die Stelle, an der ich mich zwischen zwei Gängen entscheiden musste. Ohne zu nachzudenken wählte ich den linken und setzte meinen Weg fort. Ich hatte mir eigentlich geschworen, dass ich dann bei der nächsten Abzweigung einfach wieder zurücklief aber meine Angst um Manuel trieb mich weiter an. Meine Orientierung hatte ich längst verloren, nicht nur das, ich war verloren. Aber ich konnte nicht stoppen! Nicht, wenn ich das Gefühl hatte, dass er so nah war. Es wurde mir zum Verhängnis, denn auch, wenn sich meine Augen mittlerweile an das schummrige Licht gewöhnt hatten, war es zu spät, als ich nicht auf meinen Weg achtete und plötzlich ins Nichts trat.
Deneinzigen Reflex, den ich hatte, war zu schreien, als ich unsanft auf demsteinharten Boden landete. Seitdem spürte ich ein schmerzhaftes Stechen inmeinem rechten Knöchel, sobald ich versuchte aufzustehen, weshalb ich das baldaufgeben musste. Wirklich sehen konnte ich hier nichts, also musste ich michwieder auf meinen Tastsinn verlassen. Nachdem ich mir hier oder da mal die Handangeschlagen hatte, kam ich zu dem Aufschluss, dass ich mich in einem zwei bisdrei Meter tiefen Schacht befand. Mit verletztem Fuß, ohne Taschenlampe, ohnegar nichts. Es sei denn... Schnell tastete ich die Hosentasche meiner Jeans abund zog mein Handy triumphierend heraus. Jetzt hatte ich nicht nur eineBeleuchtung in Form eines kleinen Lichtkegels, den ich umherwandern ließ,sondern konnte auch noch Helen anrufen, die vor dem Eingang auf mich wartete.Dachte ich zumindest, aber sowas wie ein Bunker war doch immer voll mitÜberraschungen – und dafür ohne Empfang. Ich musste der Versuchung widerstehen,mein Smartphone wütend an irgendeine Ecke das Schachts zu pfeffern. Aber hey,wenigstens hatte ich etwas Zeit zum Nachdenken. Die ich zwar nicht brauchte,weil ich seit meinem Fall wusste, was das für eine blöde Idee gewesen undManuel sowieso nicht hier war, aber dafür konnte ich langsam erfrieren. Dennwie ich es am eigenen Leib zu spüren bekam, war die Temperatur hier untennochmal um einige Grade kälter. Die kurze Wärme die ich erzeugte, wenn ichmeine Hände aneinander rieb, brachte mich da auch nicht weiter. Ich konnte nurdarauf hoffen, dass Helen nervös geworden war und mit ihrem Handy gerade Hilfeholte. Wenn sie denn überhaupt eins dabei hatte... Ich seufzte verzweifelt.„Hilfe, irgendjemand? Hallo!?", fing ich an zu rufen, doch egal wie oft ich dastat, die einzige Antwort die ich erhielt war mein Echo. Erschöpft lehnte ichmich an der rauen Steinwand hinter mir an, schloss meine Augen und schwieg. Esbrachte ja doch nichts, wenn niemand da war, der mich hören konnte. Selbst das Geräuschder näherkommenden Schritte bildete ich mir ein. Oder etwa doch nicht?Tatsächlich, da näherte sich jemand dem Schacht. Ich wusste nicht ob ich michdarüber freuen sollte oder nicht, denn wer wusste, was für Gestalten sonst nochso einen alten Kriegsschutzbunker besuchten. Ein blechernes Scheppern schrecktemich auf und dann stieg jemand zu mir herunter. Die Person hatte dochtatsächlich eine Leiter angebracht! Jetzt stand der Mensch vor mir und auchwenn er vielleicht meine Rettung war, sah seine Silhouette im Halbdunkelnbedrohlich aus. „Ich kann nicht aufstehen", hörte ich mich unsicher sagen. „Ichglaube, ich habe mir den Knöchel verstaucht." Er schien mich zu verstehen, dennschon spürte ich, wie ich von zwei starken Armen umschlossen hochgehoben undaus dem Schacht getragen wurde. Zitternd saß ich nun oben, die Kälte, die anmir hochgekrochen war, hatte mich nicht verlassen. Behutsam wurde mir eineJacke umgelegt, wie ich überrascht bemerkte. Seltsam, wie vertraut und doch einwenig distanziert die Person mit mir umging. „Wird jetzt alles wieder gut?",fragte ich leise und an meiner Stimme merkte man, dass ich mit den Tränen zukämpfen hatte. Mein Gegenüber drückte mein Kinn vorsichtig etwas hoch, sodassich ihm direkt in seine smaragdgrünen Augen schauen konnte. „Ja. Jetzt wirdalles wieder gut." Mit einem Lächeln auf dem Gesicht schlief ich an seinerSchulter ein.
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Ein Urlaub ohne Maske
FanfictionMiriam hat überhaupt keine Lust auf einen öden Familienurlaub. Viel lieber wäre sie bei ihrem Freund Ben und ihrer besten Freundin Sophie geblieben! Doch eine verhängnisvolle SMS und ein geheimnisvoller Junge mit grünen Augen ändern alles. Sogar ihr...