Kapitel 10

624 31 5
                                    

„Das ist mein Lieblingsplatz", erzählte ich Manuel. Ich hatte ihn zu dem Steg am See gebracht, an den Ort, an dem ich noch vor ein paar Tagen wegen ihm gelitten und diesen Song geschrieben hatte. Unglaublich, was sich mit der Zeit alles ändern konnte... Schweigend saßen wir beide am Rand des Stegs und ließen unsere Beine im Wasser baumeln. Seit wir von Manuels Ferienwohnung aufgebrochen waren, hatte niemand von uns die Hand des anderen losgelassen. Ich rückte noch etwas näher zu Manuel und legte meinen Kopf auf seine Schulter. Er strich mir mit seiner Hand über den Rücken und ich bekam ein angenehmes, warmes Gefühl. Ich hatte ihm meine Gefühle gestanden, aber was war eigentlich mit ihm? Ich sah mal wieder nur ein grünes Leuchten, als ich in seine Augen sah. „Ich dich auch", sagte Manu plötzlich. Verwirrt schaute ich ihn an. „Was?" „Ich liebe dich auch." Mein Herz fing an zu rasen und die Schmetterlinge in meinem Bauch fingen an, wie wild zu flattern. Jetzt wäre der perfekte Moment, um ihn zu küssen. Aber ich machte nur den Mund auf, um noch eine Frage zu stellen. „Woher kamst du eigentlich, um mich zu retten?" „Ich war zuerst noch sauer, aber dann hat mir Dani alles erzählt und mir gesagt, in welche Richtung du gelaufen bist. Und dann wollte ich los, um mich bei dir zu entschuldigen und dir sagen, wie toll du singen kannst." Ich lächelte Manu an. „Und dann war da dieser Junge und zuerst war ich echt eifersüchtig, aber als ich bemerkt habe, dass er dich bedroht, konnte ich nicht anders als in den Raum zu stürzen", erzählte Manuel mir. Alles wäre so wunderbar gewesen, doch dann fiel mir ein, dass heute mein letzter Tag in Italien war. Morgen würde ich schon nicht mehr hier sein, nicht mehr bei dem Jungen, den ich liebte. Nie wieder würde ich ihm begegnen, während er mit seiner Hündin Luna einen Spaziergang machte. Nie wieder würde er mir aufhelfen können, nachdem ich gestolpert war. Niemals würden wir eine zweite Runde Minigolf spielen können. Ich würde niemanden finden, der mir bei den schwierigsten Dungeons in Videospielen so gut helfen könnte und wenn ich auch einfach mal so Hilfe brauchen würde, würde Manuel nicht da sein. Und nie wieder würde mein Herz so einer Person gehören, wie es Manuel gehörte. Ich hielt meine Tränen zurück und erzählte auch Manu nichts. Ich wollte diesen Tag mit ihm voll und ganz genießen und ihn keinesfalls in irgendeiner Weise mit meinen Sorgen belasten. Denn, wie hieß es doch so schön? Lebe im jetzt und hier. Dass ich morgen nicht mehr da war, konnte doch morgen mein Problem sein, oder? Ich schluckte und entschied, so gut es ging, keinen Gedanken mehr an meine Abfahrt zu verschwenden. Aber wenn wir noch weniger als 24 Stunden hatten, sollten wir so viel erleben und so viel Erinnerungen sammeln, wie möglich. Ich stand auf und zog Manuel mit hoch. „Wie wäre es, mit einem verspäteten Frühstück?", fragte ich ihn. „Hört sich gut an, aber kennst du hier ein tolles Café?", erkundigte er sich. Ich verneinte, aber mir kam gleich eine andere Idee. „Hast du Lust auf ein Eis?" Manu lachte. „Am Morgen?" Ich schaute ihn ernst an und nickte. „Aber immer doch!" Ich stimmte in sein Lachen mit ein und zusammen machten wir uns auf den Weg, zu einer Eisdiele.

Nachdem wir etwas wirklich Typisches für Pärchen gemacht hatten, beschlossen wir, noch etwas total Untypisches zu unternehmen: Wir zockten eine Runde Minecraft auf dem Gomme.HD Server. Wobei es nicht bei nur einer Runde blieb. Wir spielten Bedwars, Jump League, Skywars und Master Builders. Meistens gewann Manuel, aber das störte mich oder den Spielspaß überhaupt nicht. Danach zeigte er mir, wie er die vorproduzierten Videos auch mithilfe des Laptops im Urlaub hochladen konnte, und womit er selbst hier ein paar neue Videos aufnehmen konnte. Ich war erstaunt, dass auch Let's Player so ein gutes Mikrofon brauchten wie ich, wenn ich meine Songs aufnahm. Da kam mir in den Sinn, dass ich Manuel nicht ganz nicht mehr haben würde. Ich hatte dann immerhin seine Videos und konnte seine Stimme hören. Ich seufzte. Es würde aber einfach nicht dasselbe sein.

Auch unsere restliche Zeit verbrachten wir gemeinsam, doch immer schwebte über mir das drohende Unheil, welches mir bevorstand, und schließlich auch eintrat: Wir mussten packen, um wieder nachhause zu fahren. Ich hatte Manuel nicht Bescheid gesagt und war mir sicher, dass der Abschied für mich zu schwer werden würde. Also nahm ich einen Stift und Zettel und fing an, zu schreiben.

Hey Manuel, wenn du das hier liest, bin ich wahrscheinlich schon weg. Heute war mein letzter Tag in diesem Urlaub und wir sind wieder zurück nach Deutschland gefahren. Ich wollte dich nicht mit meinen Problemen belasten, deshalb habe ich nichts gesagt. Und mir wäre es zu schwergefallen, wirklich „Tschüss" zu sagen, also mache ich das hier. Ich werde dich nie vergessen und ich hoffe, du mich auch nicht. Ich liebe dich Miriam <3

Darunter schrieb ich noch meine Adresse, Handynummer, E-Mail-Adresse und erneut den Namen meines YouTube Kanals. Vielleicht konnten wir wenigstens so noch in Kontakt bleiben. Ich faltete das Stück Papier und steckte es in meine Hosentasche. Dann ging ich noch ein letztes Mal zu Manuel. Wir redeten kurz miteinander und ich versuchte, möglichst fröhlich zu klingen. Als er kurz aus dem Raum ging versteckte ich den Zettel auf seinem Schreibtisch. Ich schaute ihn nochmals an. Er war einfach der Junge meiner Träume und würde es auch immer bleiben. Ich meinte, ich müsste jetzt mit meiner Familie zu Abend essen und Manu begleitete mich noch mit bis zu seiner Haustür. „Bis bald!", rief er und winkte mir hinterher. Ich drehte mich um und verlor mich noch ein letztes Mal in seinen dunkelgrünen Augen, die wie Edelsteine funkelten. „Auf Wiedersehen!", rief ich zurück und lief los, um meine Koffer zu holen. Und natürlich, wie konnte es auch anders sein, brach ich in Tränen aus und weinte.

„So,das ist das letzte Gepäckstück", meinte mein Vater und verstaute meinen Kofferim Kofferraum. „Los geht's!", rief meine Mutter und alle stiegen ins Auto ein.Selbst Zoe war gut gelaunt und freute sich auf ihre Freundinnen, die sie baldwiedersehen würde. Nur ich schwieg und lehnte meinen Kopf an dieFensterscheibe. Mein Vater startete den Motor und der Wagen rollte langsam vomParkplatz. Das war es nun wohl gewesen, mit dem Urlaub und Manuel... Ach scheiße,jetzt heulte ich gleich wieder! Plötzlich bremste mein Vater und brachte denWagen zum Stehen. Ich fragte mich warum, sah es dann aber auch. Ein Junge kamangerannt und wollte uns anscheinend aufhalten... Manuel!? Ich riss die Autotürauf, stieg aus dem Wagen und rannte ihm entgegen. Wir umarmten uns. „Ich habdeinen Zettel gefunden", sagte Manuel. „Ich will nicht, dass du gehst!" Ichbrachte nur ein trauriges Lächeln zustande. „Ich doch auch nicht", flüsterteich. „Aber wir wohnen nur ungefähr eine Stunde voneinander entfernt, dasschaffen wir!" „Wirklich?" Ich schaute Manuel ungläubig an. Er nickte. „Undwenn du jetzt gehen musst... nimm das hier mit auf deinem Weg." Ich hatte keineZeit zu überlegen, wovon er sprach, denn in dem Moment fasste er mich an derTaille und zog mich an sich. Und küsste mich.

Ein Urlaub ohne MaskeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt