Prolog

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Auf kurzen Beinchen rannte ich voraus. Vergnügt quietschte und lachte ich und hüpfte vorwärts.
Ich drehte meinen Kopf zu meinen Eltern, die einige Schritte hinter mir zurückgeblieben waren.
Plötzlich fehlte der Boden unter meinen Füßen, meine kleinen Beinchen knicken um und ich konnte den Bordstein ganz aus der Nähe betrachten.
Meine Mutter begann meinen Namen zu kreischen, ihre Stimme hallte schrill in meinen Ohren, untermalt von den tiefen Rufen meines Vaters. Und darunter mischte sich das laute Rauschen eines fahrenden Autos.
Plump stütze ich mich mit meinen kleinen Patschehändchen am rauen Asphalt ab und hob den Kopf, nur um groß und bedrohlich die Reifen des Minibusses auf mich zurasen zu sehen. Ich war mitten auf der Fahrbahn gelandet, etwas seitlich, wo die Spuren vieler Fahrzeuge den Boden verdunkelten. Wie gebannt starrte ich auf die großen, schwarzen Dinger, wie sie immer näher kamen, immer näher und näher und eine Anziehungskraft ausstrahlten, wie sie nur etwas ausstrahlen kann, was absolut tödlich ist.
Und dann war er da. Er umfasste meine speckigen Ärmchen und zog mich hoch auf meine Füße. Er schob mich ein paar unsichere Schritte vorwärts und hielt mich fest.
Seine großen Flügel wirkten in meinen Kinderaugen noch viel größer. Schützend legte er die Flügel um uns, während er sich beruhigend über mich beugte.
Im selben Moment raste der kleine Bus an uns vorbei, so nah, dass ich den Luftzug spürte und mitgerissen worden wäre, hätte er mich nicht gehalten. Ich hätte den Bus berühren können, wenn ich es gewollt hätte, stattdessen streckte ich aber die Hände aus und strich mit den Fingern durch die weichen Federn, die mich umgaben. Sein Flügel zuckte kurz unter meiner Berührung, dann war der Moment vorbei. Der Bus hielt ein paar Meter weiter mit kreischenden Reifen, meine Mutter kam auf mich zugestürmt, direkt gefolgt von meinem Vater. Mein Retter schob mich in ihre Arme. Schnell drehte ich den Kopf und konnte gerade noch seine hellen grünblauen Augen hinter ein paar blonden Strähnen sehen, bevor er verschwand.
Meine Mutter drückte mich fest an sich und schluchzte erleichtert auf, während mein Vater mir sanft durch die Haare strich.
"Da hattest du aber einen verdammt guten Schutzengel, Kleine", sagte mein Vater. Damals dachte ich noch, meine Eltern hätten ihn gesehen, den Engel. Es brauchte einige Zeit, bis ich begriff, dass Erwachsene das einfach so sagen, auch wenn sie gar nicht an Schutzengel glauben.
Für meine Eltern war an diesem Tag gar niemand da gewesen. Für sie war ich ganz von allein aufgestanden und zur Seite gestolpert. Doch ich wusste, was ich gesehen hatte.
Als ich an mir herabsah, entdeckte ich eine kleine weiße Feder, die sich an meinem T-Shirt verfangen hatte. Vorsichtig zupfte ich sie ab und schloss meine kleine Faust darum.

Love AngelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt