Kapitel 1: Los geht's

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"Perso?"
Ich kramte meinen Personalausweis aus meinem Geldbeutel und zeigte ihn vor.
"Gut." Die Lehrerin setzte ein Häckchen hinter meinen Namen und nickte dabei. "Pack ihn griffbereit in dein Handgepäck."
Ich nickte und verstaute meinen Geldbeutel wieder in meinem Rucksack, dann kletterte über ich die Treppe in das obere Stockwerk.
Seit drei Jahren waren wir die erste Stufe, die wieder einen Doppeldeckerbus bekam.

Nele hatte mir schon einen Platz reserviert. 6. Reihe von vorne links, eine guter Platz, leider saß sie schon am Fenster. Ich musste also mit dem Sitz am Flur vorlieb nehmen.
Nach zwanzig Minuten waren endlich auch alle anderen im Bus verteilt. Aber anstatt dass wir losfuhren, begannen die Lehrer jetzt erst damit, nochmal alle Regeln zu wiederholen. Danach stellte sich unser Busfahrer vor und verkündete noch ein paar Regeln zum Bus und dann ging es endlich, endlich los.

Was tut man bloß, wenn man 22 Stunden Bus fährt?
Richtig, man spielt ganz viel Stadt, Land, Fluss. Wir spielten es so viel, dass ich zum Schluss das Gefühl hatte, ich wäre ein wandelnder Atlas. Dann flochten Nele und ich uns die Haare. Die Zöpfe wurden nie wirklich gut, aber es vertrieb wenigstens die Zeit.
Anschließend überkam uns die Langeweile. Wir spielten Käsekästchen und Schiffe versenken, unterhielten uns mit den anderen und hörten Musik. Ein paar aus der Parallelklasse ließen Bierzeltlieder über eine Bluetooth-Box laufen und wir sangen kräftig mit. Aber insgesamt war uns doch ziemlich langweilig. Die Zeit kroch nur so dahin.
Nach zehn Stunden erreichten wir endlich die Fähre. Die Ausreise war das erste Mal, dass wir wirklich etwas erlebten.
Unser Busfahrer warnte und vor: "So, jetzt haltet bitte alle eure Pässe bereit, wir kommen jetzt in die Grenzkontrollen. Ihr werdet vermutlich alle aufsteigen und nacheinander eure Ausweise zeigen müssen, während jemand durch den Bus läuft und da kontrolliert. Macht bitte keine dummen Witze oder so da draußen, das letzte Mal als ich da war, gabs plötzlich 'ne Schießerei."
Spätestens bei den Worten "Schießerei" waren alle hellwach. Mit einer angespannten Mischung aus Aufregung, Angst und Vorfreude saßen wir auf unseren Plätzen, die Ausweise fest in den Händen. Dann mussten wir aussteigen.
Wir wurden in ein flaches,  schmuckloses Gebäude geführt. Dort standen wir in einer langen Schlange und warteten. Nacheinander durften wir nach vorne an Pulte laufen und zeigten unsere Personalausweise. Die Frau hinter dem Pult, an das ich hatte gehen müssen, sah mich kritisch an und verglich mein Gesicht mit dem Bild auf dem Ausweis. Ich hasste dieses Bild dort. Biometrische Fotos sehen einfach immer furchtbar aus.
Nach ein paar Sekunden winkte sie mich weiter. Ich ging an der Seitentür wieder raus und durfte von dort wieder in den Bus einsteigen.
Das wars.
Keine Komplikationen.
Keine Schießerei.
Wir waren enttäuscht.
Die Fähre war nun endlich wirkliche Abwechslung. Alle gingen aufs Oberdeck. Kalter, rauer Wind stieß uns entgegen. In der Dunkelheit leuchteten die Lichter des Hafens hell, orange und gelbe Reflexionen glitzerten auf dem schwarzen Wasser.
Meine Haare wehten nur ins Gesicht, sodass ich alles durch einen braunen Schleier sah.
Lachend setzten wir uns auf die Bänke und zitterten von Kälte. Nele und ich hatten uns den Jungs angeschlossen und nun waren wir zu siebt.
Wir redeten und lachten und machten Fotos und froren. Langsam entfernten sich die Lichter und wir wurden von dunklen Wassermassen eingeschlossen. Als das Festland ganz verschwunden war, suchten wir uns unten im warmen Essbereich einen Platz.

Die restlichen Stunden der Busfahrt verbrachten wir vorallem mit schlafen. Nele lehnte sich ans Fenster und ich legte mich mit meinem Kissen auf ihre Hüfte. Ich lieh ihr meinen Pulli und deckte mich mit meiner Jacke zu. Wirklich viel Schlaf bekamen wir trotzdem nicht ab.
Immer wieder wälzte ich mich herum, suchte nach einer bequemen Position und versuchte, Nele nicht zu wecken. Und dann waren wir plötzlich da und als ich hinausschaute, war es hell und vor uns erstreckte sich kaltes blaues Wasser.
Nervös wischte ich meine Hände an meiner Hose ab. Vor dem Fenster standen unzählige Gastmütter und Gastväter. Und eines dieser vielen Gesichter würde zu unserer Gastfamilie gehören.
Nele und ich sahen uns aufgeregt an, dann klammerten wir unsere Hände aneinander.

Ich weiß, das Kapitel ist jetzt noch nicht so spannend und so weiter, aber das muss sein. Haltet bitte durch, ich werde mich in den Kapiteln dann steigern :-)
Eure Chrissy

Love AngelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt