Ich versank wieder in den Wellen. Das Wasser war über mir, unter mir und um mich. Ich öffnete den Mund und stellte mir vor, dass das Wasser mich nicht ersticken würde, sondern dass es mich mit Leben erfüllte. Ich stellte mir vor, wie es wie Sauerstoff durch mich hindurchströmte und mich lebendig machte, wie es durch mich floss und jede Faser meines Körpers mit Leben erfüllte. Lebendiges Wasser. Lebendiges Ich.
Ich tauchte auf und er stand immernoch da, die Flügel weit ausgebreitet, während seine Arme ruhig an seiner Seite hingen.
Das Meer trug mich, trug mich zu ihm hin, zog mich von ihm weg, doch ich gelangte mühelos an den Strand zurück. Und er wartete auf mich, streckte mir die Hände entgegen und berührte mich doch nicht.
Ich zitterte. Mein Körper war vom kalten Wasser völlig unterkühlt und jetzt fiel mir auch mein Fehler auf: Ich hatte kein Handtuch dabei.
Ich schlang die Arme um mich und versuchte mir Wärme zu geben, aber es nützte nicht viel.
Ein amüsierten Lächeln umspielte seine Lippen, als er mich so beobachtete.
Langsam setzte er sich hin. Dieses mal breitete er auch die Arme aus.
"Komm her." Er klopfte auf den Boden neben sich und kleine Sandkörner hüpften zwischen seinen Fingern hindurch.
Es war das erste Mal, dass ich seine Stimme hörte. Sie war sanft und warm und klang, als käme sie direkt aus seinem Bauch.
Schüchtern setzte ich mich neben ihn, eine Handbreit von ihm entfernt, doch er schüttelte den Kopf. Im nächsten Moment lagen seine Arme um mich und er zog mich zu sich, ganz dicht. Seine Flügel schlossen sich um uns und ein warmes Luftnest bildete sich. Mein Körper reagierte augenblicklich und ich hörte auf zu zittern.
"Besser?", fragte er.
Ich nickte.
Irgendwo hinter uns bellte ein Hund. "Was sehen die anderen jetzt?"
Ich konnte sein Gesicht nicht sehen, aber ich hörte sein Lächeln. "Einen Jungen und ein Mädchen. Wie wir. Nur ohne Flügel."
Ich nickte, dann schwiegen wir.
"Du bist mein Schutzengel", stellte ich schließlich fest.
Sein Kinn berührte beim Nicken meinen Kopf.
"Wo sind die anderen Schutzengel? Die der anderen Menschen?"
"Überall."
"Ich sehe keinen."
"Du solltest auch keinen sehen. Eigentlich solltest du auch mich nicht sehen. So, wie du mich auch die letzten Jahre nicht gesehen hast."
Ich beobachtete einen Wassertropfen, der von meinen Haaren auf seinen Flügel getropft war. Er perlte an den Federn ab und malte eine nasse Linie auf seinen Flügel, wärend er sich seinen Weg nach unten suchte.
"Aber jetzt sehe ich dich", murmelte ich.
"Ja, du siehst mich. Du hast mich schon damals gesehen, als du vor das Auto gelaufen bist. Aber du konntest mich nur sehen, wenn du mich berührt hast. Ich habe die letzten Jahre sehr aufgepasst, dich nicht zu berühren."
"Warum?" Ich runzelte die Stirn. "Warum darf ich dich nicht sehen?"
"Es ist nicht natürlich. Es ist nicht normal. Menschen können Engel nicht sehen. Nie. Ihr sollt euer Leben unabhängig und selbstständig führen. Wir begleiten euch nur. Ich weiß nicht, warum es bei dir anders ist."
"Aber heute konnte ich dich sehen, ohne dich zu berühren."
"Ja. Heute habe ich meine Tarnung aufgegeben. Heute können mich alle sehen, aber du bist die einzige, die die Flügel sieht."
Ich streckte eine Hand aus und strich mit den Händen durch die weichen Federn. Ich fühlte mich wieder wie damals, als ich noch klein war. Das letzte Mal, als er mich so in seine Flügel geschlossen hatte.
"Wie heißt du?", fragte ich schließlich.
"Danial."
Dann schwiegen wir.
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Love Angel
Teen FictionMein Engel beschützte mich schon seit meinem ersten Tag. Und obwohl mir niemand glaubte, wusste ich es. Denn ich hatte ihn gesehen. Schon damals und nun wieder. Und ich würde ihn nochmal sehen. --- Melodys Schutzengel ist immer für sie da. Daran gl...