21.05. #2

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Bet

PoV Taddl

Nachdem unsere Bestellungen gebracht wurden, begann Luna ein Gespräch, in das anfangs Marley und ich verwickelt waren. Ich hielt mich jedoch immer mehr zurück, bis der Wortwechsel schließlich nur noch zwischen den beiden stattfand und ich mich endlich den Gedanken widmen konnte, die mir die ganze Zeit im Kopf herumschwirrten. Ich richtete meinen Blick über meine Mitbewohner hinweg auf Kaneki, der, wie sollte es anders sein, in sein Buch vertieft war. Ein Gefühl von Unzufriedenheit kam in mir auf und ich suchte nach der Ursache. Ich begründete es schließlich damit, dass ich gerne wüsste, wie das Gesicht des Lesenden aussah. Ich war davon überzeugt, dass es ein besonderes Gesicht war. Ich strich mir eine blaue Strähne aus dem Gesicht, bevor ich den letzten Schluck meines Kaffees trank, dann räusperte ich mich. Zwei Augenpaare wanderten zu mir und ich bemerkte: "Ich würde gerne wissen, was er liest."
Kurz schienen meine Mitbewohner verwirrt, dann verstanden sie, auf was ich hinaus wollte.
"Dann frag' ihn doch", entgegnete Marley schlicht und griff nach seinem Kaffee. "Genau, frag' ihn einfach", ergänzte Luna und als meine Antwort auf sich warten ließ, fügte sie hinzu: "Oder traust du dich etwa nicht?"
"Warum sollte ich Angst haben?", wollte ich wissen und sah sie beleidigt an. Sie zuckte nur mit den Schultern und grinste mich schief an. "Du hast so erschrocken geschaut."
Marley musterte mich genau, stellte seine Tasse wieder auf den Tisch. "Ich wette, dass du nicht heraus finden kannst, welches Buch er liest."
Lunas Augen glitzerten bei dem Gedanken an eine Wette und ich musste zugeben, dass ich von der Idee genau so angetan war, wie meine Mitbewohner. "Alles klar, Wette gilt. Gibt es ein Zeitlimit?" Marley schüttelte den Kopf und ich lächelte siegessicher. "Dann seid mal gespannt", murmelte ich und sprach damit in gewisser Weise auch zu mir selbst.

Die aufmerksamen Blicke meiner Freunde auf mir spürend, erhob ich mich und sah kurz zu Kaneki, der den Blick immer noch starr auf das Buch vor ihm gerichtet hatte. Mit einem letzten Grinsen, das an Mary und Luna gerichtet war, durchquerte ich langsam den Raum, bis ich schließlich nur noch einen Tisch von Kaneki entfernt war. Meine Schritte verlangsamten sich und ich überlegte fieberhaft, wie ich ihn ansprechen sollte. Als ich schließlich an seinem Tisch ankam, der ganz in der Ecke des Cafés stand, atmete ich noch einmal tief durch, bevor ich mich leise räusperte und somit seine Aufmerksamkeit für mich gewann. Er hob den Kopf und sah mir direkt in die Augen, was mir erstmal die Sprache verschlug. Ich hatte Recht behalten, mit meiner Vermutung, denn sein Gesicht war auf jeden Fall besonders. Und atemberaubend schön, das konnte ich bereits nach einem Blick feststellen. Um jedoch nicht länger stumm vor ihm zu stehen wie ein Idiot, zwang ich mich dazu, das genaue Studieren seines Gesichts auf später zu verschieben. "Ähm, hi", war alles, was ich dann von mir gab. Du klingst so intelligent, Taddl. Ich könnte mich ohrfeigen für diese einfallslosen Worte, hielt mich jedoch zurück. Mein Gegenüber musterte mich kurz. Er schien nicht die leiseste Ahnung, was ich von ihm wollte, das konnte ich ihm ansehen. "Hi", war schließlich alles, was er erwiderte. "Darf ich mich zu dir setzen?", wollte ich wissen und sofort erkannte ich, dass er seine Antwort genau abwägte. "Ähm...klar", murmelte er schließlich, klappte sein Buch zu und legte es beiseite. "Danke", entgegnete ich lächelnd, dann ließ ich mich gegenüber von ihm nieder. Kurz herrschte Schweigen, dann ergriff ich das Wort: "Mit wem hab' ich denn die Ehre?"
"Ardian, du kannst aber Ardy sagen. Und du bist?", erwiderte er. Die Situation verwirrte ihn immer noch, doch wenigstens schien sie ihm nun nicht mehr so unangenehm zu sein.
"Ich bin Thaddeus, aber eigentlich nennt mich jeder Taddl", stellte ich mich vor und strich mir erneut eine Strähne aus dem Gesicht. "Darf ich fragen, wie alt du bist, Ardy?", fügte ich hinzu und lächelte ihn sanft an. "Natürlich, ich bin 18 und du?", erwiderte er, ebenfalls mit einem Lächeln auf den Lippen. "Ebenfalls", antwortete ich und stützte das Kinn auf meine Hand. "Und, gehst du zur Schule oder machst du ne Ausbildung oder so?", wollte ich wissen. "Ich mach nächstes Jahr mein Abitur. Ich geh' davon aus, dass das bei dir auch der Fall ist", entgegnete er und die versteckte Frage in seinen Worten beantwortete ich mit einem Nicken. Wieder herrschte kurz Stille, bevor diesmal Ardy den ersten Schritt machte. "Und...warum hast du mich angesprochen?", fragte er sichtlich verlegen und strich sich schnell eine Strähne seiner braunen Haare aus dem Gesicht. Ich zögerte, doch dann entschied ich mich für die Wahrheit. "Das klingt jetzt vielleicht dämlich, aber ich...wollte wissen, welches Buch du liest."
Mit gesenktem Blick stellte ich ihm diese versteckte Frage, während ich interessiert die Tischplatte betrachtete. Seine Antwort kam nicht direkt, weshalb ich aufsah. Seine zuvor so offene Miene wirkte verschlossen und sofort wusste ich, dass ich einen Fehler gemacht hatte. "Es tut mir leid. Das war dumm von mir. Du musst nicht antworten, vergiss' einfach, dass ich gefragt hab!"
Mein verzweifelter Versuch, ihn irgendwie wieder freundlicher zu stimmen, scheiterte kläglich. "Ich glaube, es ist besser, wenn ich jetzt gehe", murmelte Ardy und ließ sein Buch, das zuvor neben ihm gelegen hatte, in seinem Rucksack verschwinden. Dann erhob der Braunhaarige sich und warf mir ein aufgesetztes Lächeln zu. "Hat mich gefreut, dich kennen zu lernen, Taddl."
Bevor ich etwas erwidern konnte, rauschte er bereits quer durch den Raum zur Tür, durch die er nur Sekunden später verschwand.
Mein Blick verharrte noch lange an der Stelle, an der ich ihn zum letzte Mal gesehen hatte.
"Mich hat es auch gefreut, dich kennen zu lernen, Ardy."

[947 Wörter]

-Ra

saturday morning - [tardy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt