TrAnCe

Kapitel 20: Mein Wolf

Trance PoV

So wie Ryan vor mir steht kann ich gar nicht anders, als ihn anzustarren. Seine Augen leuchten, sein Brustkorb hebt und senkt sich hektisch und sein zu enges T-Shirt beton seine natürlichen Muskeln. Auch er senkt seinen Blick prüfend und schaut mich von Kopf bis Fuss an. Nur dass er von meinem Aussehen nicht anfängt zu sabbern, nicht so wie ich, sondern langsam auf mich zu kommt und mit seiner Hand meine geschwollenen Augen besorgt streichelt. Etwas überrascht zucke ich zurück und bereue es noch im selben Moment, denn Ryan's Augen blicken wieder mir diesem verletzt Ausdruck an. Ich will ihn doch nicht noch mehr verletzten! Ohne weiter darüber nachzudenken mache ich einen Schritt nach vorne und schliesse meine Arme um seine Taille. Meinen Kopf lege ich auf seine Brust, direkt bei seinem Herzen. Ich höre wie es anfangs unregelmässig schlägt, sich dann aber in einen langsamen und starken Rhythmus verändert. Er schliesst seine Arme um meinen Körper und senkt seinen Kopf, so dass er ihn auf meinen legen kann.

„Es tut mir Leid." Winsle ich leise, aber in der sicheren Annahme, dass er mich verstanden hat. Er löst sich ein wenig von mir, sodass er mir in die Augen schauen kann.

„Wer bist du Trance? Und was war mit dir los? Warum bist du hier?" Seine endlose Zuneigung mir gegenüber strahlt er mit jeder Faser seines Körpers aus. Jedoch kann es nicht seine Unsicherheit und sein Unbehagen überdecken.

„I-ich... dass... w-w-wir..." Flehend sah ich zu Lydia, welche mir zunickte und anschliessend den Raum zusammen mit ihrem Mann verlässt. Ich umschliesse Ryan's Hand mit meiner und ziehe ihn zum Küchentisch. Sanft drücke ich ihn mit meiner freien Hand auf den Stuhl und setzte mich einfach auf seinen Schoss. Mein linkes Bein neben seinem Rechten und mein Rechtes an seinem Linken, damit ich ihm in die Augen sehen kann. Ihn scheint die Position nicht zu stören. Nein, er zieht mich sogar mit seiner freien Hand noch etwas näher an sich ran.

„Erzähl es mir, Trance." Voller Zuversicht drückt er kurz meine Hand und verschränkt unsere Finger miteinander. Ich schliesse meine Augen, atme noch einmal ganz tief durch und öffne sie wieder, um meinem Gefährten direkt entgegen zu blicken.

„Mein voller Name lautet Tranquillo Angelito Celio Sánchez Álvarez. Ziemlich lange, nicht wahr? Meine Eltern hatten was für Namen mit Bedeutung übrig. Tranquillo - der Ruhige, Angelito - kleiner Engel, Celso - der Himmel, Sánchez - heilig, Álverez - Verteidiger. Genannt haben sie mich aber immer Trance. Ursprünglich kommt ein Teil meiner Familie von hier, aus Irland. Nur sind wir schon vor Generationen nach Spanien gezogen und haben dort mit unserem Rudel gelebt. Mein Rudel lebt übrigens in Montgarri, Marimanha. Es ist ein ganz kleiner Ort, der nur von den 'Guardián de los Pirineos' besiedelt ist. Mein Vater war der Alpha und meine Mutter selbstverständlich die Luna. Meine grosse Schwester wird auch bald Luna, da sie in einem zukünftigen Alpha ihren Gefährten gefunden hat. Sie wird deswegen leider unser Rudel verlassen müssen. Mein grosser Bruder hat die Position meines Vaters übernommen, nachdem er seine Gefährtin gefunden hat. Ich hingegen..." Plötzlich traurig und unsicher senke ich meinen Blick, den ich bis jetzt starr auf Ryan's Augen gerichtet hatte.

„Trance." Sanft flüstert er mir ins Ohr und gibt mir einen Kuss auf die empfindliche Stelle dahinter, was mich erschaudern lässt. Mit seiner freien Hand hebt er mein Kinn so, dass ich ihn ansehen muss. Mit einem leichten Lächeln auf den Lippen, küsst er mich auf den Mund und verstärkt den Griff um meine Hand, welche noch immer mit seiner verschlossen ist. Unser erster Kuss!

"Du hast denselben Wert wie deine Geschwister, Trance. Und für mich noch viel mehr!" Mit einem flüchtigen Kuss bestärkt er seine Worte und gibt mir die Sicherheit, weiter zu erzählen.

„Du hast eben es gespürt, nicht wahr Ryan? Ich bin ein Beta, und doch bin ich es nicht. Geboren wurde ich als... Omega. Und Omega's werden behütet und beschütz. In den spanischen Rudeln sind Omegas so selten, dass sie wie ein Schatz behandelt werden. Wie ein Heiligtum. Kannst du dir meine Kindheit vorstellen? Ich durfte nicht mit den anderen Kindern spielen, da ich mich ja verletzten könnte. Ich durfte keine Treppen laufen, da ich stürzen könnte. Ich durfte nicht in die Küche, da ich mich verbrennen könnte. Ich hatte sogar mehrere Bodyguards! Es war die Hölle... im Alter von sechs Jahren hielt ich es nicht mehr aus. Ich bettelte bei meinen Eltern um die Erlaubnis beim Überlebenstraining mitzumachen. Jeder, wirklich jeder, war verpflichtet dieses Training durchzuführen. Nur der kleine Omega natürlich nicht. Auch nach vielen Hundeblicken haben es mir meine Eltern nicht erlaubt. Zu meinem Glück unterstützte mich mein grosser Bruder und trainierte mich heimlich. Mit seiner Hilfe wurde ich stärker und stärker. Natürlich haben auch meine Eltern irgendwann davon erfahren. Sie sind aus allen Wolken geflogen und haben meinen Bruder für sein Handeln bestraft. Womit sie nicht gerechnet haben, war, dass ich die Strafe mit ihm erduldete. Diese Erfahrung hat unser Brüderliches-Band für immer in Stein gemeisselt. Endlich gaben meine Eltern nach und ich durfte mit allen anderen Trainieren. Ich trainierte mit dem Ziel, meine Natur als Omega verstecken zu können." Ein leiser Seufzer entweicht mir bei dem Gedanken an die Folgen meines Egoismus. Ryan widerrum starrt mich weiter an und wartet. Mit einem erneuten Seufzer rede ich schliesslich weiter.

„Ryan... was denkst du passiert, wenn man seine eigene Natur leugnet und ablehnt? Sie zurückweist und versteckt?" Er scheint ernsthaft über meine Frage nachzudenken und reisst plötzlich seine Augen auf. In ihnen kann man die Erkenntnis sehen, ehe sein Körper vor Unbehagen anfängt zu zittern. Sein Wolf winselt vor unterdrücktem Schmerz auf.

„Trance... du...?" Mit der Hand strich ich ihm sanft über die Wange und schaue ihm mit festem Blick in die Augen.

„Ja. Ich habe meinen Wolf verloren."