ZWEI

543 39 6
                                    




„Will? WILL. W-I-L-L. WIIILL", Holly spricht den Namen nun schon seit 5 Minuten in allen möglichen Tonlagen aus. Sie ist total auf den Namen fixiert und überlegt bestimmt welches Gesicht hinter diesem Namen steckt. Ich dagegen starre nur die Zahl an.

Holly steht noch immer vor mir und hält meinen Arm. Sie lässt ihn einfach nicht los. „Deine Mutter! Sie.. Shane!", sie schreit durch das gesamte Haus nach meine Mutter. Ich entreiße ihr sanft meinen Arm. Ich reibe über die Stelle. Ich dachte eigentlich, man spürt etwas. Aber über der schwarzen Schrift fühlte es sich ganz gewöhnlich an. Will... irgendetwas löst dieser Name bei mir aus.
Ich löse den Blick von meinem Arm, als meine Mutter ins Zimmer kommt. Sie steht im Türrahmen und will sich gerade ihr braunes Haar zu einem Knoten binde. Sie sieht uns fragend an. Ich hebe meinen Arm. Ihre Augen weiten sich und sie tritt näher, ihre Haare sind ihr nicht mehr wichtig. Jetzt nimmt auch meine Mutter meinen linken arm und betrachtet ihn.

„Will Stir.", sie spricht den Namen so aus, als wäre er eine berühmte Person. Sie runzelt die Stirn. „1804 Kilometer? Das ist ja schrecklich weit. Ich habe noch nie von einer solchen Entfernung gehört. Normalerweise sind es nicht über 200 Kilometer. Das ist wirklich eigenartig.", So langsam wird mir kalt und ich weiß nicht, ob es an dem dünnen Kleid liegt oder an der Erkenntnis, dass mein 'perfekter Partner' so weit entfernt ist.


Ich habe mich wieder umgezogen und nun sitzen wir zu fünft im Wohnzimmer, reden über den unbekannten Will und wie ich ihn finden kann. „Das sind fast fünftausend Kilometer. Das schaffst du nie!", wirft mein Bruder ein. Er ist nicht der Größte in Zahlen. Er hat ja aber noch 9 Jahre Schule, also ist ihm verziehen. Holly schaut ihn skeptisch an. Sie sitzt mir gegenüber auf unserem weißen Sessel. Vieles in unserem Haus ist weiß. Mein Zimmer ist vermutlich der bunteste Teil in diesem Haus. „Carlos sag doch nicht sowas!", meine Mutter wirft ihm jetzt auch einen warnenden Blick zu. Mein Vater wippt mit seinen Füßen. Das tut er immer wenn er nervös ist. „Ich bin mir sicher du schaffst das!", versucht mein Vater uns zu beruhigen. Er lächelt mir nervös zu. Ich senke meinen Blick und schaue auf meine lila Socken. Die Leute im Haupthaus haben doch bestimmt alle wichtigen Infos. Oder? Was ist wenn ich ihn Jahre lang suche...Was ist wenn Will sich beschwert, weil ich so lange brauche? Komme ich dann ins 'Martyrium' - ist das überhaupt strafbar? Werde ich von allen ausgeschlossen. Oder sterbe ich womöglich allein?

„Ich muss jetzt los. Ich habe heute Nachtschicht.", mein Vater erhebt sich und meine Gedanken sammeln sich wieder. Ich blicke zu ihm auf. Er sieht mich an und lächelt. Diesmal ist es ein wirkliches Lächeln. Eines, das auch seine Augen erreicht und irgendwie beruhigt es mich. „Geh' dich morgen im Haupthaus informieren und ich bin mir sicher dort klären sich deine Fragen.", mein Vater kommt auf mich zu drückt sanft meine Schulter und verabschiedet sich dann von uns allen. Gegenüber von mir holt Holly ihr SmartPad aus ihrer Hosentasche. „Es ist spät. Vielleicht sollte ich auch gehen. Ihr wollt jetzt wahrscheinlich lieber unter euch sein.", eigentlich würde ich lieber den Abend mit Holly verbringen und mich ablenken, aber meine Mutter nickt nur und so begleite ich Holly aus dem Wohnzimmer zur Tür. „Dein Traumkerl hat sich wohl ganz schön versteckt, was?", meine beste Freundin versucht die Stimmung zu lockern. Ich lache leise auf. „Scheint so." Ich gehe zur Tür und öffne sie für Holly. Die ist noch dabei ihre Stiefel zu schnüren. „Weißt du... Irgendwie ist es schon komisch, wie wir all unsere Partner zugeteilt bekommen ohne jemals einen Test gemacht zu haben. Ich meine, woher wissen die Macher von unserem Charakter oder unseren Eigenschaften. Wie sollen sie wissen, wer perfekt für uns ist?", Holly weiß genau, dass wir solche Fragen nie stellen sollen. Vielleicht flüstert sie deshalb. Ich zucke nur mit den Schultern und schaue nach draußen. Irgendwie hat sie ja recht. Wieso passen unsere Partner perfekt zu uns? Tun sie das überhaupt oder haben wir einfach keine Wahl?
Holly zieht ihre Jacke zu und steht dann vor mir. Sie umarmt mich zum Abschied und geht dann nach draußen, wo eisige Kälte herrscht. Jetzt, nach all dem, hätte ich große Lust tanzen zu gehen.


Als ich am nächsten Morgen aufstehe, ist es still. Meine Mutter ist wahrscheinlich arbeiten, mein Vater am schlafen und mein Bruder in der Schule. Ich schlage die Decke zurück und setzte mich auf.

Will Stir. 1804 km.

Ich starre meinen Unterarm an. Was machst du wohl gerade? Wie war wohl seine Reaktion, als er Alice Soleil gelesen hat. Er hat ja keine Ahnung, dass ich über tausend Kilometer von ihm entfernt bin. Vielleicht hat er mich ja schon bei Face2Face gesucht und bemerkt, dass ich dort nicht angemeldet bin. Vielleicht interessiert ihn das alles auch gar nicht. Ich wende meinen Blick ab und stehe auf um mich für den Tag fertigzumachen. Ich ziehe mir eine Jeans und einen dicken Pulli an und flechte meine Haare. Dieses Flechten hat meine Oma mir vor Jahren gezeigt. Ich liebe es meine Haare zu flechten. Es geht so einfach und es sieht toll aus wie meine Haare danach verlaufen. In der Schule waren immer alle begeistert, wenn ich meine Haare so trug. Ich schaue in den Spiegel und sehe mir in die Augen. Was wird Will Stir denken, wenn ich das erste Mal vor ihm stehe. Wird er sich ärgern? Wird er sich jemand anderen wünschen? All solche Gedanken schwirren mir schon wieder durch den Kopf. Ich drehe mich vom Spiegel weg und gehe ins Bad, welches Gegenüber von meinem Zimmer liegt, um mich komplett fertig zu machen.


In der Küche werfe ich einen Blick auf die Uhr. 10.56 Uhr, das heißt das Haupthaus macht in ein paar Minuten auf. Möglichst leise, damit mein Vater nicht wach wird, versuche ich mir ein Brot zu machen. Ich lasse das fertige Brot auf dem Brett und gehe in den Eingangsbereich und ziehe mir meine Schuhe und Jacke an. Wenige Augenblicke später schnappe ich mir mein Brot und verlasse das Haus.

Als ich an der Hauptstraße bin, bemerke ich, dass ich mir hätte Handschuhe anziehen sollen. Ich stecke meine Hände in meine Jackentasche und überquere die Straße. Ich kann schon das große weiße Gebäude sehen. Es ist das größte Gebäude hier in Winnington. Kein Haus darf größer sein, als das Haupthaus.
Bei dem Anblick werde ich nervös. Hoffentlich können Sie mir alle Fragen beantworten oder mir wenigstens helfen, damit ich nicht ewig suchen werde.

Als ich das Gebäude betrete, wird mir direkt warm. Ich öffne meine Jacke und begebe mich zu der Information. Die Dame sieht mich an, als sie bemerkt, dass ich vor dem Schalter stehe. Ich lächle ihr höflich zu, obwohl ich total aufgeregt bin. Sie schaut nur stur zurück. Unsicher beginne ich zu reden: „Hallo, meine Name ist Alice Soleil und ich...", sofort tippt sie los und unterbricht mich dann. „Ja, gestern 17 geworden. Will Stir. Bitte begebe dich zu Schalter drei." Ihre Augen fliegen über den großen Bildschirm, der vor ihr steht. Total überrumpelt von ihrer Geschwindigkeit bedanke ich mich leise und gehe zum besagten Schalter.

An Schalter drei sitzt eine deutlich jüngere Frau. Vor ihr ein Stapel Umschläge, welche sie gerade zuklebt. „Guten Tag, ich bi-...", und auch dieses Mal werde ich unterbrochen. „Alice, hallo. Alles Gute nachträglich zu deinem 17. Geburtstag. Meine Kollegin hat mich benachrichtigt, dass du da bist.", sie schaut von den Umschlägen auf und lächelt mich freundlich an. Sofort lächle ich zurück. „Setzt dich doch", sie deutet auf den Stuhl vor sich und ich gehe ihrer Bitte nach.

Kurz nachdem ich mich gesetzt habe steht sie auf und geht zu einem Schrank, welcher an der Wand steht, um einen Umschlag herauszusuchen.
Er sieht genauso aus, wie die, die auf dem Tisch liegen. Die Frau kommt wieder zurück und legt ihn auf den Schreibtisch zwischen uns. Ich werfe einen Blick auf den weißen Umschlag. Will Stir. West Ambridge. Alice Soleil. Winnington. Heißt das... Sie will mir gleich sagen, wo Will lebt? Die Frau beginnt leise zu sprechen und sieht dabei nervös zum Haupteingang: „Also, wie du wahrscheinlich weißt, ist deine Entfernung ein wenig weiter, als gewöhnlich. Deshalb bekommst du seinen ungefähren Standort. Das ist aber eine große Ausnahme. Denn auch ihr beide seid seine Ausnahme..."

Find Him - Looking for Will (ABGESCHLOSSEN)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt