Eine Zeitreise ist lustig, eine Zeitreise ist schön

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Die Krankenstation lag im Westflügel der Akademie. Sie war recht groß und konnte um die siebzig Schüler beherbergen.
Im vorderen Bereich standen Liegen für die Patienten, während im hinteren Behandlungsräume, wie die zwei, eher selten benutzten, OP-Räume lagen.
Hohe Fenster präsentierten einem den Blick auf den Waldrand und ich konnte zwischen den Baumkronen den Turm des Vogelhauses erkennen.
Die Betten waren durch dicke beigefarbene Vorhänge voneinander getrennt, um den Kranken ihre Privatsphäre zu lassen. In jeder Kabine stand links ein Nachttisch und rechts ein Stuhl für Besucher.
Die gesamte Station war im klassischen Weiß gehalten, wobei die Möbel aus einem robusten, dunkelbraunen Holz bestanden.
Ruby lag im mittleren Bereich des Raumes und war zur Zeit die Einzige, die in Behandlung war.
Als ich die große Tür hinter mir schloss, hörte ich leises Gemurmel hinter dem zugezogenen Vorhang.
Kurz darauf streckte ein kleiner Junge mit feuerrotem Haar seinen Kopf hinter dem schweren Stoff hervor.
Erschrocken blinzelte er mich an, bevor er ruckartig wieder verschwand.
Verwirrt runzelte ich die Stirn.
Wer war das?

Leise lief ich den Mittelgang zu Rubys Kabine hinunter und schob mich dann durch den Vorhang.
Urplötzlich brach das Gemurmel ab und ich blickte in sieben verdutzte Augenpaare.
"Sarina."
Meine Freundin hatte sich am schnellsten wieder gefangen und strahlte mich an. Sie richtete sich ein Stück in ihrem Bett auf und machte ein ausladende Geste.
"Gut, dass du kommst. Ich möchte dir meine Familie vorstellen."

Sie wies auf die zwei Erwachsenen, die mich etwas misstrauisch anblickten.
Der Mann war groß und kräftig. Die tiefschwarze, lockige Mähne stand ihm wild vom Kopf ab, während hellgrüne Augen unter den Locken hervorblitzten. Die Frau neben ihm war das komplette Gegenteil.

Sie war klein und zierlich. Leuchtendes rotes Haar floss ihr glatt bis zur Mitte ihres Rückens hinab und die dunkelbraunen Augen waren gerötet, als hätte sie noch vor nicht allzu langer Zeit geweint.

"Das sind meine Eltern." sagte Ruby. "Allen und Rose."
Sie wandte sich an den rothaarigen Jungen von eben, der sich am Rockzipfel seiner Mutter festklammerte. "Das ist Jacob."
Zwei schwarzhaarige, grünäugige ältere Jungen folgten, die mir freundlichen zunickten. "Will und Sam und.." Suchend schaute sie sich um. "Wo ist er?"
Ein braunhaariger Schopf lugte vorsichtig unter ihrem Bett hervor. Die große Brille war verrutscht und er hatte ein Buch an die schmächtige Brust gepresst. Riesige braune Augen musterten mich neugierig.
"Das ist unser Jüngster, Jordan."

"Hallo." sagte ich unsicher und lächelte einmal kurz. Die zwei Erwachsenen schnappten kurz nach Luft, bevor sie sich ansahen und leicht den Kopf senkten.
Hä?

"Mum, Dad!" Mahnend hob Ruby die Augenbrauen. Ich tat so, als wäre nichts und nickte ihnen zu.
"Schön, Sie kennenzulernen, Mr. und Mrs. O'Kelley." sagte ich höflich.

Rubys Vater räusperte sich einmal und legte dann sanft, aber nachdrücklich, eine Hand an den Rücken seiner Frau und schob sie vorwärts.
"Ich denke, es ist besser, wir gehen jetzt. Vielleicht kommen wir später noch einmal wieder. Jordan? Komm mit, wir gehen Scarlet besuchen."

Er hielt dem Kleinen seine freie Hand entgegen, der sich brav an ihr hochzog.
Rose ging an mir vorbei, doch der flüchtige Blick, den sie mir zuwarf, war so voller Dankbarkeit, dass sich mein Herz zusammenzog. Ein schwaches Danke hallte in meinem Kopf wider. So leise, dass ich es mir auch genauso gut eingebildet haben könnte.
Ich schüttelte den Kopf, um meine Gedanken zu ordnen. Will und Sam drängten sich an mir vorbei, Jacob in ihrer Mitte.
Somit schlossen sie zu ihrer Familie auf und ich war mit meiner besten Freundin allein.
Langsam schlenderte ich zu dem Stuhl hinüber und ließ mich auf ihn fallen.
"Wie geht's dir?" fragte ich und musterte Ruby prüfend. Sie sah um einiges besser aus als heute Nacht.
Die Augenringe waren fast komplett verschwunden und ihre Hautfarbe war nicht mehr so bleich. Die Schwellung an der Schläfe war mit einer Salbe eingerieben und die Schrammen an den Händen mit Pflastern bedeckt.
Ich deutete fragend auf ihre Knöchel, die unter der Decke steckten.
"Verbunden." beantwortete Ruby meine unausgesprochene Frage.
Ich seufzte und lehnte mich zurück.
"Bin ich froh." sagte ich leise.

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