Hoffnungsvolle Versprechen

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Die Trauerfeier fand zwei Wochen später bei grauem Himmel und Nieselregen statt. Auf dem Campus herrschte ein noch drückenderes Schweigen als schon in den vergangenen Tagen seit der Schlacht, was ich beinahe für unmöglich gehalten hatte. Doch das Wetter schien genau um unseren Gemütszustand zu wissen. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich behaupten, es trauerte mit uns um unsere gefallenen, für immer verlorene Freunde, Mitschüler, Krieger, Magier und Lehrer. Aber vielleicht war das sogar angebracht. Ein sonniger, warmer Frühlingstag hätte wahrscheinlich nur eine ungewollte Ironie über die Trauer und das Leid geworfen, das wir in unseren Herzen trugen.

Noch ein letztes Mal zupfte ich den Kragen meiner schwarzen Bluse zurecht, der unter einem ebenso dunklen, leichten Pullover hervorlugte. Müde Saphiraugen beobachteten dies im Spiegel und ich kam nicht umhin zu bemerken, dass mir diese kleine Bewegung immer noch offensichtliche Schwierigkeiten bereitete. Laut Mr. Masons ärztlichen Untersuchungen waren zwar all meine Verletzungen wieder geheilt, aber die gewohnte Mobilität und Flexibilität meiner Sehnen und Muskeln musste nach dem tagelangen Stillhalten- und liegen erst wieder langsam hergestellt werden. So brauchte ich für die simpelsten, minimalsten Bewegungen immer noch mindestens doppelt so viel Anstrengung und dreifach so viel Zeit.

Ich seufzte und mein Spiegelbild mit mir, als sich die eben sorgfältig glatt gestrichenen Falten rücksichtslos erneut bildeten.

Ich sollte es einfach lassen. . .

Ganz so als hätte er nur darauf gewartet, dass ich einen Laut von mir gab, klopfte es leise am Türrahmen und kurz darauf streckte Len seinen Kopf ins Bad.

„Bist du soweit?"

„Hm.", machte ich unbestimmt und wie von selbst fuhren meine Augen zu seiner Erscheinung im Spiegelbild. Der Alpha registrierte dies und fing meinen Blick mit seinen grünen Augen auf. Für einen Moment sahen wir uns nur an. Len trug ein schwarzes Hemd, das er in eine ebenfalls schwarze Anzughose gestopft hatte. Ein neuer, brauner Mantel hing bereits lose über seinen breiten Schultern und er hielt einen dunkelgrünen Wollschal in der Hand.

Er sah gut aus, doch in seinem Gesicht konnte ich lesen, dass er sich nicht im Geringsten so fühlte.

„Du siehst anders aus.", bemerkte er nach einem Moment des Schweigens. Er hatte mich ebenso intensiv gemustert wie ich ihn.

„Ich hoffe doch auf eine gute Art.", gab ich zurück und hob die Augenbrauen.

„Ich denke schon. Du wirkst ruhiger als ich dachte."

Er trat auf mich zu.

„Gefasster."

„Hm.", machte ich erneut und lehnte mich dankbar mit meinem Rücken an seinen Körper, der wie eine stützende, warme Wand nun hinter mir aufragte.

Ich fühlte mich weder ruhig noch gefasst.

Die junge Frau, die mir entgegenblickte, erschien mir genauso fremd wie im letzten Sommer, wo ich zum ersten Mal mit meiner neuen äußeren Erscheinung konfrontiert worden war.  Zwar sah ich im Gegensatz zu damals immer noch so aus wie immer, doch bemerkte zugleich, dass sich etwas an mir verändert hatte.

Prüfend fuhr mein Blick erneut über mein blasses, angespanntes Gesicht, das durch den festen Dutt in meinem Nacken seltsam streng wirkte. Meine sonstigen weichen Wellen hatte ich so eng wie möglich zusammengefasst und nach hinten gebunden. Somit simulierte ich wenigstens ein kleines bisschen das Gefühl von Stabilität, während alles andere um mich herum nach und nach auseinanderbrach und ins Ungewisse glitt.

Der Kragen meiner Bluse verrutschte noch mehr, als Len seine Arme von hinten unter meine schob und sie vor meinem Bauch sanft verschränkte. Fast augenblicklich durchflutete mich eine Welle Wärme und ich unterdrückte nur mühselig ein erleichtertes Seufzen, als sich der kalte Klumpen aus Furcht und Trauer in meiner Magengrube ein wenig löste. Er merkte sofort, wenn meine Gedanken wieder ihren eigenen Willen entwickelten und in Richtungen wanderten, die sie eigentlich meiden sollten.

Mein neues IchWo Geschichten leben. Entdecke jetzt