5 » Schweigen ist gold

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C H A R L I E

London, Februar 2015

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Genervt hielt ich Ausschau nach einem Notausgang und sah zwischendurch Hannah entgeistert dabei zu, wie sie mit zig Sachen in der Umkleide verschwand. Prinzipiell hatte ich ja nichts gegen Shopping-Touren, aber sie übertrieb maßlos. Das Kleid mit welchem sie mir gerade freudestrahlend gegenüberstand, sah genau so aus wie das davor.

„Und wie findest du das hier?", fragte sie mich begeistert und drehte sich einmal um die eigene Achse. Zufrieden fuhr sie sich durch die kurzen dunkelbrauen Haare und stemmte anschließend die Hände in die Hüften.

„Steht dir wahnsinnig gut", erwiderte ich gleichgültig und fuhr mit den Fingern gedankenlos über die Preisschilder an einer der Kleiderstangen.

„Du hast nicht einmal hingesehen", empörte sie sich und warf mir ein pastellfarbendes Oberteil an den Kopf.

„Doch hab ich, es ist rot. Oben offen, unten offen; ein Kleid eben." Sie machte mich wahnsinnig.

Dann endlich entschied sie sich. Allerdings für das Kleid das sie davor anhatte, welches sie dann natürlich nochmal anprobieren musste. Glücklicherweise gab sie es auf auch noch nach Schuhen zu gucken.

Wir hielten auf dem Rückweg an einem Supermarkt und deckten uns für den Abend ein. Massen an Chips, Gummibärchen und Keksen durften dabei natürlich nicht fehlen. Die paar Kalorien konnten schließlich keinen all zu erheblichen Schaden anrichten.

Hannah war begeistert, als ich sie fragte ob sie Lust auf Cupcakes hatte und sprang fröhlich im Gang herum, als ich ihr anbot, dass sie sich aussuchen durfte wie wir sie verzieren würden. Fünf Minuten später lagen Unmengen von Streuseln und Sahne im Einkaufwagen und die Kassiererin warf uns einen aufmunternden Blick zu.

Die dachte wahrscheinlich wir hätten riesen Liebeskummer und mussten unsere Trauer in Schokolade und fettigen Snacks ertränken, dabei sah es eigentlich immer so aus wenn Hannah und ich uns trafen.

Die Kassiererin lächelte mich halbherzig an: „Irgendwann kommt der Richtige." Dann legte sie mir das Rückgeld in die Hand und tätschelte mir ganz sanft über die Finger, ganz so, als hätte sie Angst ich würde jede Sekunde in Tränen ausbrechen.

War sie eigentlich noch ganz bei Trost? So bemitleidenswert und verzweifelt konnte ich nun wirklich nicht aussehen. Mal abgesehen davon, dass ich nicht im geringsten verzweifelt war, konnte sie das einen feuchten Dreck angehen. Nie im Leben würde ich verheult vor der Flimmerkiste sitzen und mir sämtliche Nicholas Sparks -Filme und Süßigkeiten reinziehen, dabei Chips essen und mich selbst bemitleiden. So weit kam es noch.

Mir ging es gut. Nichts fehlte mir und ich sehnte mich mach nichts und niemandem.

Außer vielleicht nach meinem bequemen Sofa und den traumhaft weichen Kissen die Zuhause auf mich warteten.

Hannah musste sich mühevoll das Lachen verkneifen und ihre Lippen, die nun zu einer geraden Linie aufeinander gepresst waren, zuckten verdächtig. Hastig packte sie alles in die Tüten, hing sie sich schwungvoll über die Arme und stürmte nach draußen. Als ich das Restgeld mit einem falschen Lächeln in meine Hosentasche verschwinden ließ, folgte ich Hannah nach draußen und sah wie sie sich den Bauch hielt und laut lachte.

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