C H A R L I E
London, Dezember 2015
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Ich fürchtete mich zwar nicht vor vielen Dingen, die das Leben mit sich brachte, aber Abschied nehmen gehörte sicherlich zu den Dingen, mit denen ich am wenigsten klar kam.
Vielleicht lag es daran, dass ich stets Angst davor hatte, es würde sich etwas ändern. Vielleicht lag es daran, dass ich dachte, alles würde außer Kontrolle geraten.
Seit dem Tag, an dem feststand, dass Mrs Clark das kleine Café schließen würde, spürte ich immer wieder diesen dicken Kloß in meinem Hals. Und obwohl ich versuchte, diesen Gedanken so gut es ging bei Seite zu schieben, bereitete mir die ganze Situation mehr Bauchschmerzen, als gedacht. Ich versuchte mir einzureden, dass das nichts ändern würde, dass ich Mrs Clark besuchen könnte, wenn mir danach war. Dass Hannah auch weiterhin in meinem Leben präsent sein würde und, dass der neue Job, den ich mittlerweile angenommen hatte, neue Türen öffnen würde.
Aber weder die Tatsache, dass Mrs Clark und Hannah auch weiterhin ein Teil meines Lebens waren, noch die Möglichkeit, bei meiner neuen Stelle neue Erfahrung zu sammeln, half mir dabei das ungute Gefühl loszuwerden.
Als ich meinen neuen Arbeitsvertrag unterschrieb, hatte ich meine zukünftigen Kollegen kennengelernt. Neben dem Inhaber, der sowohl damals das Bewerbungsgespräch mit mir geführt hatte, als mir auch die Stelle anbot, arbeiteten noch zwei weitere Angestellte im Café. Es war kaum größer als der Laden von Mrs Clark, jedoch viel bunter und moderner. Die aktuellen Hits von Adele und co. drangen leise aus den Boxen und alles in allem machte es den Anschein, als wäre der Alterdurchschnitt der Kunden um eine Unendlichkeit geringer, als die Stammkundschaft von Mrs Clark.
Einer der Angestellten hatte sich die Haare in einem grellen Blau gefärbt und ich machte mir darüber Gedanken, ob ich mit meinem langweiligen Durchschnittsgesicht dort überhaupt einen Tag durchhalten würde. Alles schien einfach viel schriller zu sein, schnelllebiger und einfach das komplette Gegenteil von meinem bisherigen Arbeitsplatz. Was mich dann letztendlich überzeugte, den Vertrag zu unterschreiben, waren die täglich wechselnden Kuchen, die die Angestellten jeden Tag selber in den frühen Morgenstunden zubereiteten. Etwas, was ich mir immer gewünscht hatte und der Grund dafür, dass ich die Ausbildung zur Konditorin gemacht hatte.
Ich wusste nicht, ob jemals jemand meine Euphorie dafür verstanden hatte. Meine Großmutter hatte sich immer gewünscht ich hätte studiert, meiner Mutter wäre es am liebsten gewesen, ich wäre in ihre Fußstapfen getreten. Doch das hatte ich nie gewollt. Für mich war es die reinste Entspannung stundenlang über neuen Rezepten zu hocken und immer wieder neue Sachen auszuprobieren.
Und nun stand ich da, wo mein Weg mich hingeführt hatte. In Mrs Clarks altem Café, meinem ersten Arbeitsplatz, an dem ich mich immer wohl gefühlt hatte. Der kleine Laden war bis auf die Theke völlig kahl. Die alten Möbel hatten ihre besten Jahren schon längst hinter sich und waren ohne Umschweife auf dem Sperrmüll gelandet. Einen der Tische hatte ich mir allerdings an Land gezogen. Er stand nun in meiner kleinen Küche, es brauchte nur ein bisschen Farbe und er würde sicherlich in neuem Glanz erstrahlen. Die vereinzelten Bilder und die altmodische Dekoration, hatte Mrs Clark bereits vor ein paar Tagen in Kisten verstaut und in ihre Wohnung verfrachtet.
„Das macht mich traurig", hörte ich Hannah neben mir sagen. Langsam ließ ich meinen Blick ein letztes Mal durch das leere Café schweifen, bevor Mrs Clark uns hinaus begleitete und die Tür verriegelte. „Das ist das Ende einer Ära."
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أدب الهواة„Manchmal verlieren wir uns im Hier und Jetzt. Und manchmal braucht es den Himmel, um zu sehen, was uns am Boden hält." Charlie steht mit beiden Beinen mitten im Leben - Das glaubt sie zumindest. Denn als sie ihre kleine sichere Seifenblase verlässt...