40 » Der große Tag

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C H A R L I E

London, April 2016

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Als ich einen Anruf von Tom bekam und er hektisch ins Telefon nuschelte, dass es in der Bar gerade an Personal fehlte, zögerte ich keine Sekunde und schlüpfte in meine Schuhe. Dort angekommen war der Teufel los. Zwei Typen, die ich vorher noch nie dort gesehen hatte, diskutierten lautstark am Tresen und regten sich übereinander so sehr auf, dass es den ganzen Laden unterhielt.

Freudig wurde ich von Tom begrüßt. Die Schweißperlen waren ihm auf die Stirn geschrieben und die Fliege an seinem Hemd löste sich. Schnell war ich Teil vom Chaos und machte mich an die Arbeit. Der Tresen war furchtbar klebrig und prompt bekam ich ein Bier über die Hände geschüttet, als ich gerade dabei war, sie zu säubern.

Die zwei Männer, die sich mittlerweile von ihren Barhockern erhoben hatten standen sich gegenüber wie in einem Westernfilm. Fehlte nur noch, dass eine Steppenhexe durch die Bar rollte und irgendwo Staub aufgewirbelt wurde. In meinem Kopf dudelte automatisch Spiel mir das Lied vom Tod, dann ging alles ganz schnell.

Der größere von beiden packte den anderen am Kragen seiner Kutte und zog ihn näher an sich heran. Wütend schaute er den rundlichen Kerl an, dessen Wangen knallrot glühten. Ich hatte keinen blassen Schimmer, was das Problem war, aber so, wie sie sich anschielten, hatten sie sicher schon einen im Tee.

Tom stellte sich blitzschnell vor mich, bevor ein Glas zu Boden ging und laut auf dem Boden zersplitterte. Ich ging instinktiv einen Schritt zurück und zog Tom mit mir, als die beiden plötzlich die Fäuste erhoben. Der kleine, rundliche Kerl nuschelte etwas unverständliches daher, ergriff einen der Barhocker und knallte diesen seinem Gegenüber vor die Füße. Als der größere von beiden nach einem halbvollen Glas auf dem Tresen griff und drauf und dran war, es dem anderen um die Ohren zu hauen, schloss ich die Augen.

Doch es war nicht der Schmerzschrei, von dem ich erwartete, dass er jeden Moment ertönte, der mich zusammen zucken ließ, sondern die vertraute Stimme, die plötzlich hinter uns zu brüllen begann.

Fast synchron drehten Tom und ich uns um. Ein paar Schritte hinter uns stand Big Fred und fauchte die beiden Schnapsnasen bedrohlich an. Ganz der Retter in der Not schritt er auf die beiden zu und schob sie mit einer lockeren Bewegung an den Schultern auseinander. Es sah so unglaublich leicht aus, wie er die beiden von einander fern hielt, obwohl sie sich mit aller Kraft dagegen wehrten. Kein Wunder, dass der große, stämmige Fred das Ruderboot damals mit Leichtigkeit in unserem Vorgarten platziert hatte.

„Ladies", sagte er vollkommen ruhig zu den Streithähnen, „legt euer Geld auf die Theke und verschwindet. Aber zackig."

Verdutzt starrten sie den großen Kerl an und murmelten etwas vor sich hin. In der Bar war es mucksmäuschenstill, vereinzelnd hörte man ein Raunen, dass durch den Raum ging. Abwartend schaute Fred die beiden abwechselnd an. „Na, wird's bald?"

Ich hätte schwören können, dass der kleinere mit den Augen rollte, als Fred ihn erneut anbrummte. Doch tatsächlich zückten beide wenig später ihre Brieftaschen und legten anschließend ein paar Scheine auf den Tresen. Fred schaute die beiden herablassend an, warf einen Blick auf das Geld und zog verächtlich die Augenbrauen hoch. Das reichte, damit beide erneut in ihre Portemonnaies griffen und widerwillig ein extra großes Trinkgeld auf das dunkle Holz knallten.

„Abflug! Das Tänzchen könnte ihr woanders weiter führen", forderte er die beiden auf, die sich darauf ihre Jacken von den Haken an der Wand schnappten und tatsächlich friedlich die Bar verließen.

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