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C H A R L I E

Khao Sok, Februar 2016

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Ich konnte es fühlen. Ich konnte spüren, wie die Wut meiner Freunde gegenüber langsam immer mehr in mir anstieg und ich war zu neunzig Prozent sicher, dass einer von uns an diesem Abend noch im Lagerfeuer landete. Und wenn das nicht zufällig passierte, dann würde ich mich eigenhändig darum kümmern. Vorher musste der erbärmliche Holzhaufen in unserer Mitte, der eher einem Scheiterhaufen glich, erst einmal an sein. Und das erwies sich als äußerst schwierig.

„Meine Fresse, Hannah, hast du noch nie Bear Grylls geguckt oder was? Du machst das falsch, lass mich mal ran." Und prompt hatte Ed ihr den zugespitzten, dünnen Ast aus den Händen gerissen und hockte nun neben dem Scheiterhaufen. „Die Scheiße kann doch nicht so schwer sein."

Skeptisch, und fast schon belustigt, beobachteten Oscar und Dave, der sich mir schon auf dem Parkplatz als Dolmetscher vorgestellt hatte, das, was gerade geschah. Anuphap, der den Kurs leitete und ungefähr um die Siebzig war, musterte Ed kritisch und runzelte angestrengt die Stirn. Ich war froh, dass Dave dabei war, der nebenbei bemerkt ein ehemaliger Schafschütze der Army war. Ohne ihn würden wir sicher nichts davon verstehen, was Anuphap uns eigentlich zu erzählen versuchte, denn er war weder unserer Sprache mächtig, noch gab seine Gestik Schlüsse darauf, was wir tun sollten.

Je länger der Thailänder dem Rothaarigen dabei zusah, wie er vergeblich versuchte, ein paar Funken entstehen zu lassen, desto mehr kleine Fältchen bildeten sich auf seiner Stirn. Er war kaum größer als einen Meter Fünfzig und war für sein Alter noch ziemlich fit. Erst vor ein paar Stunden hatte er uns gezeigt, wie er mit nur vier Schlägen und einem alten Buschmesser eine Kerbe in einen Bambusstamm schlug, um an Trinkwasser zu gelangen.

„Warum bist du nicht mehr bei der Army, Dave?"

Nialls Stimme holte mich schlagartig zurück in die Realität. Ich war froh, dass er dabei war, denn er verhielt sich halbwegs normal, was ich von meinen besten Freunden nicht gerade sagen konnte.

„Die Psyche", erwiderte Dave schlicht. Er war kaum dreißig und im Gegensatz zu Anuphap, der neben ihm stand, ein echter Riese. Er trug ein olivgrünes Muskelshirt, welches Sicht auf seine zahlreichen Tattoos freigab.

Hannahs Kopf schnellte in die Höhe. So wie ich sie kannte, dachte sie womöglich gerade daran, ob er uns vielleicht mit einem Schlag den Kopf vom Rumpf trennen konnte. Sie dachte bestimmt, dass ein Ex-Army-Mitglied mit psychischen Problemen nicht gerade der beste Begleiter war, um in der Einöde zu überleben.

„Also nicht, dass ihr denkt ich höre Stimmen oder habe multiple Persönlichkeiten", schob Dave schnell hinterher. „Es gibt Dinge, die ich gesehen habe, die lassen mich nachts nicht mehr ruhig schlafen."

„Und hast du nach deiner Zeit bei der Army gemacht? Also, bevor du hierzu gekommen bist?", fragte Niall daraufhin. Ed hatte immer noch keinen Erfolge, auf seiner Stirn bildeten sich kleine Schweißperlen und er fächerte sich zwischendurch immer wieder selbst Luft zu.

„Fliesenleger", erwiderte Dave trocken. „Mein alter Herr ist selbständig und ich habe eine Weile ausgeholfen."

„Bald dunkel", quatsche Anuphap plötzlich dazwischen und schaute zu Ed. „Feuer machen."

„Er hat recht, Ladies. Bevor es stockduster wird, sollten wir noch ein bisschen Holz besorgen, damit wir nachher nicht los müssen und uns die Kragenbären holen", fügte Dave hinzu.

„Kragenbären", mischte Hannah sich ein, „das hört sich süß an."

„Vertu' dich mal nicht, Mädchen", entgegnete Dave, „die Teile können sich ganze Wasserbüffel reißen und machen sicher keine Kompromisse, wenn sich vor so einem zarten Lamm wie du es bist, stehen."

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