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C H A R L I E

London, April 2016

»«

'Niall,

du hast gesagt, dass du vermutlich nie wieder stehen bleiben würdest, wenn du vor allem davon rennst, wovor du Angst hast. Und ich habe lange gebraucht, um zu merken, dass ich vergessen habe, wie es überhaupt ist, stehen zu bleiben . Aber seit einer langen Zeit hast du mich daran erinnert, wie es ist. Manchmal vergesse ich, dass ich mein Glück selbst in der Hand habe und dass wunderschöne Dinge passieren, wenn ich endlich stehen bleibe und durchatme. Ich war vielleicht nie gut darin, daran zu glauben, aber du hast es.

Du hast mich gefragt, was ich eigentlich will und ich hatte keine Antwort auf diese Frage. Aber jetzt habe ich eine. Eine Antwort auf eine von vielen Fragen, die ich nie verstanden habe.

Ich will, dass all die Momente, in denen alles so leicht war, nicht einfach zu einer Erinnerung werden. Ich will Abenteuer erleben, tanzen, Berge erklimmen. Ich will meine Arme ausbreiten und die Augen schließen. Ich will lachen und die ganze Nacht über Dinge reden, die ich nicht verstehe. Ich will, dass du noch einmal meine Hand nimmst und all die dunklen Wolken verschwinden lässt. Ich will dich, Niall. Mit allem was dazu gehört.'

Der Kugelschreiber in meiner Hand fühlte sich unfassbar schwer an. Ich hörte Amy leise stöhnen und sah im Augenwinkel Basils geduldigen Blick. Die Jacke meiner Schwester und ihr Gehampel machten es mir nicht gerade leicht, die Buchstaben leserlich auf den Zettel zu schreiben. Einige Male war ich abgerutscht oder hatte aus Versehen mit der Stiftspitze ein Loch in das weiße Papier gestochen.

Als ich den letzten Punkt setzte, schaute ich noch einmal über die Zeilen, die ich geschrieben hatte. In Windeseile huschte mein Blick über die Worte und sie kamen wir plötzlich furchtbar plump vor. Nichtsdestotrotz faltete ich den Zettel zwei mal und strich die Kanten glatt. Amy atmete erleichtert auf und ich sah, dass Basil lächelnd die Hand aufhielt.

„Moment", sagte ich hastig und schubste meine Schwester wieder in ihre vorherige Position zurück. In Großbuchstaben schrieb ich noch etwas auf die Außenseite des gefalteten Zettels.

'Öffne mich, wenn du eine Antwort suchst'.

Mit einem großen Kloß im Hals überreichte ich den zerknitterten Brief an Basil. Behutsam verstaute er ihn in der linken Innentasche seiner Jacke, lächelte mir zu und klopfte zwinkernd auf seine Brust, als er seine Jacke zu machte. Ganz so, als würde er mir stumm mitteilen wollen, dass der Brief bei ihm gut aufgehoben war.

„Ich muss jetzt wieder rein", sagte er. „Und in einer ruhigen Minute gebe ich ihm den Brief, in Ordnung?"

Tief atmete ich ein und nickte ihm kommentarlos zu. Mit einem leichten Kopfnicken verabschiedete er sich von uns und ging anschließend zurück zum Gebäude, bis er hinter der Glastür verschwand.

Mein Herz wurde schwer und die Stille machte mich nervös. Mit einem stolzen Lächeln legte Hannah schließlich den Arm um mich und führte mich Richtung Parkplatz. Amy folgte uns, die Hände tief in den Hosentaschen vergraben.

Am Parkplatz standen noch einige Fans, die sich miteinander unterhielten. Ein Auto hupte und ich erschreckte mich. Als eine der Mädchen mich genauestens musterte, begann erneut das Getuschel.

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