N I A L L
Melbourne, Januar 2016
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Martha war einfach der Knaller. Mit ihren fünfundsiebzig Jahren hatte sie es noch faustdick hinter den Ohren und das gefiel mir. Sie hatte Spaß daran, mir und Ed immer wieder einen Kräuterlikör einzuflößen und über uns herzuziehen.
Eigentlich wollte ich in der letzten Stunde auf der Fahrt nach Melbourne eine Mütze Schlaf nachholen, doch daraus wurde nichts. Martha und ihre Freundinnen hörten gar nicht auf Ed und mich zu umgarnen. Das ging so weit, dass Martha uns anbot, für ein paar Tage bei ihr und ihrem Mann unterzukommen.
In den neunziger Jahren waren Martha und ihr Mann, den sie seit der Schule kannte, von Sydney nach Melbourne gezogen. Trotzdem ließ die ältere Dame es sich nicht nehmen, alle fünf Jahre mit ihren Freundinnen die lange Fahrt von Sydney bis hier her zu machen. Dafür stieg sie extra in ein Flugzeug und trat dann die Reise an. Erst hatte ich nicht verstanden, warum sie das auf sich nahm, doch je länger ich Zeit in diesem Bus verbrachte, desto besser verstand ich, warum sie so erpicht darauf war. Dafür, dass der Altersdurchschnitt, mit uns zusammen im Reisebus, ungefähr bei dreiundsechzig lag, herrschte eine unglaublich tolle Stimmung. Selbst nach acht Stunden Fahrt waren die Damen noch fit wie ein Turnschuh, kicherten um die Wette und lagen sich lachend in den Armen.
Als wir nach einer Ewigkeit in Melbourne ankamen, traf mich die frische Luft wie ein Schlag. Ich hatte den Überblick darüber verloren, wie viele Kräuterliköre ich auf der Fahrt zu mir genommen hatte, jedoch konnte Ed im Gegensatz zu mir noch gerade gehen und musste sich nicht am Bus festhalten. Andererseits hatte Ed zwischendurch frische Luft geschnappt, während ich damit beschäftigt war Charlie zu küssen und den dicken Kloß in meinem Hals zu ignorieren.
Es war erschreckend, wie sehr ich mich zu Charlie hingezogen fühlte. Egal wie sehr ich versuchte, die ganze Sache locker zu sehen, es lief immer wieder darauf hinaus, dass ich mich dabei erwischte, wie ich sie dämlich lächelnd anstarrte. Ich konnte nicht erklären was es war, doch dank des Alkohols, den mir Martha am Abend unter gejubelt hatte, machte ich mir nicht weiter Gedanken darüber.
Ich genoss einfach die Nähe zu Charlie. Sie schien nämlich im Gegensatz zu mir keine Gedanken daran zu verschwenden, wir dämlich das eigentlich war, was wir da taten. Wir waren Freunde und Freunde taten das eben nicht. Sex führte nur dazu, dass gute Freundschaften auseinander gingen und man sich alle Jubeljahre zufällig über den Weg lief und sich nur kurz einen Blick zuwarf.
Es kam mir vor, als hätte Charlie andere Dinge im Kopf. Das sollte mir recht sein, denn ich fand es absolut erfrischend, Zeit mit ihr zu verbringen. Auf welche Art und Weise auch immer, auch wenn ich bedenken hatte, dass es früher oder später eventuell nach hinten los ging.
„Alles in Ordnung, Schätzchen?", riss Marthas raue Stimme mich aus den Gedanken. „Ich dachte wirklich, du verträgst mehr. Hast du nicht gesagt du bist Ire?"
Marthas frechen Kommentar beantwortete ich mit einem breiten Grinsen und lehnte anschließend meinen Kopf am Bus an. In meinem Kopf drehte sich alles, meine Beine gehorchten mir nur noch teilweise und langsam aber sicher wollte ich schon gar nicht mehr reden, weil ich das Gefühl hatte, mich würde eh niemand verstehen.
Also folgte ich einfach Ed, der sich gerade vom Bus entfernte, um eine zu rauchen. Obwohl ich die Gesellschaft der älteren Damen sehr schätze, war ich froh, dass das Geschnatter schnell ein Ende nahm, als die Gruppe sich auflöste und Marthas Mann Earl um die Ecke bog, um uns abzuholen. Jedoch gingen wir nicht ohne ein paar herzliche Umarmungen der anderen.
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Fanfiction„Manchmal verlieren wir uns im Hier und Jetzt. Und manchmal braucht es den Himmel, um zu sehen, was uns am Boden hält." Charlie steht mit beiden Beinen mitten im Leben - Das glaubt sie zumindest. Denn als sie ihre kleine sichere Seifenblase verlässt...