C H A R L I E
Perth, Januar 2016
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Vier Tage dauerte es, bis Hannah wieder einigermaßen auf den Beinen war. Da sie sich strickt dagegen geweigert hatte, dass wir sie zum Arzt schleppten, verbrachten sie die Tage im dunklen Zimmer der Pension. Am dritten Tag hatte ich die Nase voll und stiefelte zur nächsten Apotheke. Eingedeckt mit reichlich Mitteln gegen Übelkeit und Kopfschmerzen, ließ ich sie tagsüber allein und flüchtete mit Niall aus der Pensions-Hölle.
Gut gelaunt hatte Niall in den letzten Tagen an die Zimmertür geklopft und hielt mir jeden Morgen, in aller Herrgottsfrühe, breit grinsend einen Becher Kaffee unter die Nase. So euphorisch wie er war, würde es mich nicht wundern, wenn er die ganze Nacht nach der nächsten Schandtat gegoogelt hatte.
Am zweiten Tag schnappten wir uns an einem Verleih zwei Fahrräder und fuhren an der Promenade entlang. Niall war ganz der Gentleman und spendierte mir jedes Essen, jedes Getränk, das wir uns zwischendurch holten und bezahlte ungefragt jede einzelne Taxifahrt. Er hielt stets wachsam die Augen offen und verschwand blitzschnell in den Schatten, wenn er jemanden sah, der ein Paparazzi hätte sein können.
Selbst an Tag drei war er noch genau so paranoid wie zur Zeit des Ankunfts. Aber wie konnte man ihm das verübeln? Im Gegensatz zu Ed verließ er einfach mir nichts dir nichts die Pension und stürzte sich in die Öffentlichkeit. Dank seiner komischen Mütze, die mich an einen Zeitungsjungen erinnerte, und der Sonnenbrille, die permanent auf seiner Nase saß, schien er bis jetzt niemandem aufgefallen zu sein.
Er verstand wirklich was davon, sich so unauffällig wie möglich zu verhalten. Zuerst hatte ich Bedenken, dass es mich nerven würde, doch als Niall mich am gestrigen Tag in eine Seitengasse zog, weil ein paar Teenager unseren Weg kreuzten, da fanden wir einen kleinen Laden, der mein Interesse weckte.
Das kleine Geschäft war in einem schmalen Hinterhof. Die Frau, der der Laden gehörte, verkaufte allerhand handgefertigtes Geschirr und Dekoration aus Ton und Steingut. Ich fand eine weinrote Teekanne, die ich meiner Grandma mitnahm. Rückwirkend betrachtet war das keine besonders schlaue Idee. Denn ich war mir nicht mal sicher, ob das Teil überhaupt ein paar Tage überlegte. Wir waren gerade mal am Anfang und ich musste von nun an auf mein Gepäck achten, als hätte ich ein rohes Ei darin.
„Bist du noch dran? Hallo?" Die Stimme meiner Mutter ließ mich zusammenzucken. Ich hatte mir Eds Handy geschnappt, um Zuhause anzurufen und die neue Adresse meines Onkels zu erfahren und hatte mich auf die Terrasse hinter der Pension zurückgezogen. Ich war mir ziemlich sicher, dass Luke zu Weihnachten eine Karte geschrieben hatte, auf der sie seine Adresse finden würde.
Da meine Mutter aber offenbar mehr zutun hatte, als der Präsident der vereinigten Staaten, war es mir erst jetzt gelungen, sie an den Hörer zu bekommen. Mit Internet sah es in der Pension, mitten im Senioren-Resort (wie Niall es so schön sagte), wirklich schlecht aus. WLAN war hier ein Fremdwort. Meine Mutter hatte es ohnehin nicht so mit Nachrichten und allem, was nur unwichtiger Small-Talk war. Im Gegensatz zu Niall hatten wir alle kein mobiles Internet. Ed hatte daran ohnehin kein Interesse und für Hannah und mich war es überflüssig. Wir hatten ja Niall, der sich liebend gerne die Finger wund tippte und laut seiner Aussage natürlich auf dem Laufenden bleiben musste.
Als ich vor zwei Tagen Zuhause anrief hatte ich nur Amy an der Strippe, die mich fast zu Tode gequatscht hatte. In aller Seelenruhe versorgte sie mich mit dem neuesten Klatsch und Tratsch, während ich betete, dass Eds Telefonrechnung noch in einem erschwinglichem Rahmen lag. Aufgeregt erzählte meine Schwester, dass ihr geliebter Niall den Medien zufolgte irgendwo in der Welt unterwegs zu sein schien und die Band-Pause genoss. Auf ihre belustigte Aussage, dass es ja möglich war, dass ich ihm irgendwo begegnete, erwiderte ich lieber nichts. Abgesehen davon, dass Niall zu diesem Zeitpunkt nicht einmal drei Schritte von mir entfernt stand, hatte sie meiner Meinung nach eine viel zu blühende Fantasie. Gezwungen stieg ich in ihr Gelächter mit ein, bevor ich zu stammeln begann und nach einem vorgetäuschtem Verbindungsfehler einfach auflegte.
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Fanfic„Manchmal verlieren wir uns im Hier und Jetzt. Und manchmal braucht es den Himmel, um zu sehen, was uns am Boden hält." Charlie steht mit beiden Beinen mitten im Leben - Das glaubt sie zumindest. Denn als sie ihre kleine sichere Seifenblase verlässt...