10. Taub

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JunaPov:

Ich war wie betäubt. Stur starrte ich gerade aus. DieGespräche um mich herum blendete ich aus. Da war nur ich. DerEsstisch vor mir und alles um mich herum war verschwommen einzig dieBlumen in der Vase auf dem kleinen Beistelltisch an der Wand warenScharf. Ich hörte Nathans Stimme wie durch Watte. Erst als michetwas am Ärmel zog gelangte ich zurück in die Realität. Ichblinzelte ein paar mal. „Ja?" ich räusperte mich kurz. Aufseiner Stirn zeichnete sich Falten ab. Er sah mich konzentriert an.„Ist alle in Ordnung?" wollte er wissen. Ich nickte und zwangmich zu einem Lächeln. Aus dem Augenwinkel konnte ich erkennen dasSebastian uns beobachtete. Sollte er doch.

Am Ende saßen nur noch Sebastian und ich am Esstisch.Langsam konnte ich seinen stechenden Blick nicht mehr ertragen.„WAS?!" keifte ich und drehte mich zu ihm hin. Er legte den Kopfleicht zur Seite. Ich starrte ihn an. Das ganze ging für gefühlteStunden obwohl es in Wirklichkeit vielleicht vier Minuten waren. Erschwieg. Ich konnte das nicht länger ohne das ich es wollte rolltemir eine salzige, kleine Träne die Wange herunter. Doch sie bliebnicht allein. Immer mehr Tränen liefen mein Gesicht herunter. Ichzog den Rotz in der Nase hoch und wischte mir mit dem Handrückenübers Gesicht. „Warum weinst du?" Sebastian war aufgestanden undzu mir gelaufen. Er ging vor mir in die Hocke und sah zu mir hoch.Meine Unterlippe begann zu zittern. Ich schüttelte stumm den Kopfund schniefte. Er hob vorsichtig den Arm und strich behutsam mitseiner Hand über meine feuchte Wange. Ich entzog mich seinerBerührung nicht. Ich war sowieso machtlos. Ein leichtes Lächelnspielte an seinen Lippen. Seine blauen Augen strahlten wärme aus,Geborgenheit. Und das war falsch. Das was er tat war falsch. SeinBlick war falsch. Das Gefühl das er mir gab war falsch. Als dasendlich in meinem Hirn ankam schlug ich seine Hand weg und sprangquasi von meinem Stuhl. Durch die Ruckartige Bewegung fiel er nachhinten auf seinen Hintern. Ich warf ihm einen letzten hasserfülltenBlick zu bevor ich zu meinem Zimmer sprintete. Mit voller Wuchtschmetterte ich die Tür hinter mir zu. Warum tut er das? Warumtröstet er mich? In meinem Kopf herrschte das reinste Chaos.

Ichschlurfte ins Badezimmer und legte mich in die Wanne und lies kaltesWasser ein. Schon nach wenigen Sekunden sog sich mein Kleid voll mitdem kühlen Nass. Ich lehnte mich zurück und sah in den Spiegel.Meine Augen waren trüb, strahlten nicht mehr. „Was ist aus mirgeworden?" meine Stimme rau und kratzig. Langsam begann dasEiswasser mich zu betäuben. Meine unzähligen Gedanken verschwandStück für Stück. Das Wasser stand mir mittlerweile bis zumHals....wortwörtlich. In meinen Fingerspitzen begann es zu kribbeln. Die Kälte die mich umgab lies mich die leere in mirselbst vergessen, nicht spüren wie kalt ich war. Wie erbärmlich. Ich lag in einer mit kaltem Wassergefüllten Badewanne, völlig angezogen in einem stockfinsterenZimmer...allein. Schon wieder allein. Vielleicht sollte es sobleiben. Ich gegen die Welt. Wie dumm sich das doch anhörte.Verzweifelt und triefend vor Selbstmitleid. Ich konnte meineGliedmaßen nicht mehr spüren. Das Wasser plätscherte über denRand der Badewanne aber das kümmerte mich nicht. Es war mir gleich.Sollte es doch das ganze verdammte Haus wegschwemmen. Ich holte tiefLuft und tauchte völlig unter. Ich konnte spüren wie mein Haar ummich herum schwebte. Wie ich zu schweben schien. Frei. Mit einemWimpernschlag waren meine Augen offen und sahen durch das klareWasser hoch an die Decke. Weiß. So weiß wie fast alles hier. Sorein. So unschuldig. Ich war es schon lange nicht mehr. Ich warbesudelt. Dreckig. Luftblasen stiegen empor, durchbrachen dieOberfläche. Ich wusste nicht warum oder wie aber plötzlich hörteich die leisen, melodischen töne eines Pianos. Es war nicht laut,nicht hastig oder euphorisch. Nein. Es war zart, düster und vollerMelancholie. Ich kannte das Stück. Ein Klassiker aus vergangenenJahrhunderten. Die Moonlight Sonate von Ludwig van Beethoven. Daseinzige Klassische Stück das ich mochte. Es berührte mich, nahmmich mit in eine Andere Welt. Ich hatte es früher oft bei meinerTante gehört bevor sie starb. Noch etwas was dieses Lied aussagte,zumindest für mich. Tot.

Ich konnte meinen eigenen Herzschlag hören,spüren wie meine Lungen verzweifelt nach Luft schrien. Diesen Wunschgewährte ich ihnen jedoch nicht. Ich blieb weiterhin in derSchwerelosigkeit. Lauschte Beethoven. Als mein Körper es nicht mehraushielt öffnete ich den Mund. Verzweifelt versuchten meine LungenLuft einzusaugen aber es kam nur eine Menge Wasser. Es stach inmeiner Brust und da verstummte Beethoven auf einmal. Das Lied warnoch nicht zu ende aber ich konnte es nicht mehr hören. Vielleichtwar es das. Der tot. Doch bevor ich meine Augen schließen konntedurchbrachen zwei Hände die Wasseroberfläche. Zwei Arme legten sichunter meinen Körper und mit einem kräftigen Ruck wurde ich aus demWasser gerissen. Aus meinem Frieden. Hustend beförderte ich dasWasser aus meinem Körper. Krümmte mich in den starken Armen. Gierigsogen meine Lungen die frische Luft ein. Ich blinzelte heftig undlies mich völlig erschöpft hängen. Mein Herz schien zu rasen undlangsam fingen meine Arme und Beine an zu kribbeln. Die zwei Arme,die mich fest umklammerten senkten sich mit mir. Sebastian kniete vorder Wanne. Um ihn herum überall Wasser und es lief immer mehr ausder Wanne. Er drehte den Hahn nicht zu. Er sah mich an und drücktemich ganz fest an sich. Es schien ihn nicht zu stören das er dabeiselbst ganz nass wurde. „Tu das nie wieder." Er flüsterte es inmein Haar. Als mein Körper wieder aufwachte fing ich an zu zittertewie Espenlaub. Ich konnte die Kälte wieder spüren. Äußerlich undinnerlich. Ich zuckte zusammen als ich etwas warmes an meiner Wangespürte. Eine Träne. Ich blinzelte ein paar mal. Es war nicht meine.Ein blick hoch sagte mir das es Sebastians war. Er...er weinte.

„Duweinst." Er schnaubte bevor er mich anlächelte. „Natürlich, ichdachte ich würde dich verlieren." Er strich mir übers Haar undgab mir einen zarten Kuss auf die Stirn. Ich wusste nicht warum aberich fühlte mich schlecht. Ich fühlte als müsste ich mich erklären.„Ich wollte das nicht, aber da war Beethoven und ich war sofrei...hatte meinen Frieden." „Beethoven?" fragte er. „Die Moonlight Sonate." Sebastian drückte mich nochfester an sich, fals das überhaupt möglich war. „Das war ich."murmelte er bedrückt. „Ich hab das gespielt." Ich gab ihm einkleines Lächeln „Es war wunderschön." Er schien überrascht vonmeiner Reaktion. „Du magst das Stück?" Ich nickte. „Ich dachteimmer nach Lisas tot würdest du es hassen." „Nein, es wurde nurnoch schöner."


Until it hurts //3Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt