Mehr als mein Leben

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Später kam Jesse zurück aufs Hauptdeck geschlichen, um zwei leere Teller und Löffel abzugeben. Er sah immer noch etwas atemlos aus, die Wangen rot, die Haare zerzaust und auf seinem Hals und das, was man von seiner Brust sehen konnte, zogen sich dunkle Flecken und Bissspuren. Er lief sehr vorsichtig, aber ohne erkennbare Schmerzen. Der Koch grinste ihn anzüglich an, aber Jesse hob nur eine Augenbraue und stellte das Geschirr ab. „Nur kein Neid."
„Jesse, warte!" Esmeralda rief ihm nach und klopfte neben sich an die Reling. Jesse Blick schweifte kurz zurück in die Richtung, aus der er gerade gekommen war, eine hungrige Sehnsucht im Blick. Dann folgte er ihrer Bitte.
„Ja? Was willst du denn?"
Sie stotterte ein bisschen herum, wusste nicht so recht, wie sie sich ausdrücken sollte, ohne zu direkt zu sein. „Wie... also, gerade eben... wie erträgst du das nur? Ich meine..."
Jesse seufzte, fuhr sich durch die Haare und lehnte sich an das hölzerne Geländer.
„Ich mag das so, Esmeralda. Wirklich. Ich liebe ihn.. sehr.. und, und ich begehre ihn. So wie er ist."
Er unterbrach sich kurz, schien nach den richtigen Worten zu suchen.
„Es ist nicht immer so.. direkt, weißt du. Er kann sehr zärtlich sein und ich..." jetzt grinste er „kann ebenfalls mein Recht einfordern. Ich bin beileibe nicht immer derjenige, er danach zwei Tage wie eine Ente übers Schiff watschelt. Keine Sorge, ich würde nie etwas gegen meinen Willen tun. Aber ich gebe zu, seit Paris sind die Dinge etwas außer Kontrolle geraten. Francis verhält sich manchmal wie ein wildes Tier, wenn es um körperliche Zuneigung geht. Er ist deutlich dominanter und es gibt ein paar Stellen an seinem Körper, die ich absolut nicht mehr anfassen darf."
Esmeraldas Gesicht wurde ausdruckslos. „Karvanté?"
„Ich vermute es. Er erträgt es nicht, die Kontrolle aufzugeben. Sobald ich versuche, das Blatt zu wenden, und ihm zeigen will, was ihm doch früher auch gut gefallen hat, ist der Spaß vorbei. Der Gedanke, noch einmal benutzt zu werden, erschreckt ihn so, dass er jede Annäherung in diese Richtung sofort abwehrt. Das macht mir Sorgen, ja. Aber ich glaube, das braucht Zeit."
„Und du magst... DAS wirklich?"
„Esmeralda, du bist eine Frau! Wie soll ich dir das erklären?"
„Ich bin keine Jungfrau mehr, Jesse."
Das brachte ihn für einen Moment zum Schweigen. Man sah ihm an, wie es hinter seiner Stirn arbeitete und er versuchte, Gedanken in Worte zu fassen.
„Ich mag seine Stärke. Ich mag seine momentane Aggressivität, solange er es nicht übertreibt. Und ja, ich mag es sehr, von ihm genommen zu werden."
Esmeralda hustet, also ob sie sich verschluckt hätte.
„Findest du das widerwärtig? Macht mich das in deinen Augen zu einem geringeren Mann?"
Jesses Worte klangen schärfer, als er das beabsichtigt hatte, aber diese Diskussionen hatte er schon zu oft geführt. Esmeralda schüttelte den Kopf.
„Nein. Wirklich. Nein. Es erstaunt mich selbst ein bisschen, wie gut das eine mit dem anderen zusammengeht. Ich habe, ehrlich gesagt, nie darüber nachgedacht, was zwei Männer zusammen tun könnten." Sie wedelte vage mit den Händen.
„Ach schau, da kommt er auch schon, dein Angebeteter."
Jesse schlug ihr leicht gegen den Arm, aber er sah auch, wie Francis gerade fröhlich pfeifend die Treppe herunterkam. Er nahm ihn in den Arm und drückte ihm einen zärtlichen Kuss auf die Lippen.
„Da bist du also."
Jesse schnurrte und vergrub die Nase an Francis Hals. Himmel, er roch immer noch nach Sex, ihm wurden schon wieder die Knie weich. Francis löste sich von ihm, strich ihm eine schwarze Haarsträhne aus dem Gesicht und küsste ihn noch einmal, diesmal auf die Stirn.
„Ich bin in meiner Kajüte und packe den Schreibkram weg. Komm bald nach, ja? Ich muss mich noch um deinen wunden Hintern kümmern."
Er fasst mit einer Hand danach und fuhr vorsichtig in den Spalt dazwischen. Jesse zuckte heftig zusammen, diesmal eindeutig vor Schmerz. Francis zog sofort die Hand zurück.
„Entschuldige, ich wollte nicht..."
„Schon gut." Jesse legte ihm einen Finger auf die Lippen. „Ich habe dich doch darum gebeten, schon vergessen?"
Jetzt lächelte der Käpt'n wieder, leckte leicht über den ihm dargebotenen Finger und machte sich auf den Weg zur seiner Tinte und seinem Papier.
„Oh Himmel." Esmeralda stöhnte auf.
„Hm?" Jesses Blick wirkte verträumt und folgte Francis, als er über die Planken spazierte.

Später lagen sie zusammen in Francis Bett. Wie versprochen, hatte sich der Käpt'n um Jesses verletzten Hintern gekümmert und ihn sehr gründlich mit einer duftenden Heilsalbe eingerieben. Diesmal war es zu keinen weiteren Intimitäten gekommen. Zum einen tat ihm sein Verhalten immer noch ein wenig leid, zum anderen war Jesse ungewöhnlich still. Dem ging das Gespräch mit Esmeralda immer noch im Kopf herum, er gärte in ihm und er war sich nicht sicher, wie er das alles zur Sprache bringen sollte, ohne Francis vor den Kopf zu stoßen. Er hatte alles so gemeint, wie er das zu ihr gesagt hatte, aber trotzdem nagte da ein kleiner Hauch eines Zweifels an ihm. Was, wenn nicht alles wieder gut werden würde? Was, wenn Francis dieses Trauma nie ganz überwinden würde? Er wollte nicht für den Rest seines Lebens unten liegen. Bei aller Liebe, bei aller Leidenschaft – er war nicht Francis'... ja was eigentlich? Lustknabe? Prügelhund? Ihm fielen noch ein paar sehr viel weniger freundliche Bezeichnungen ein, die mehr mit seiner Vergangenheit in den dunklen Gassen Londons zu tun hatten, als mit seiner derzeitigen Situation. Er seufzte einmal tief und kuschelte sich enger an den Mann neben ihm. Francis streichelte über seinen Rücken, zog kleine und große Kreise auf seiner Haut und es tat gut, ihm einfach nur nahe zu sein, Haut an Haut, ohne gleich von Francis Lust überrannt zu werden. Die Wärme in seinen Armen brauchte Jesse noch viel mehr als das Feuer in seinen Lenden.
„Ich liebe dich."
Das Geständnis kam plötzlich und Jesse rollte sich wohlig auf die Seite, um Francis besser ansehen zu können. Er griff in Francis Haare, zog ihn ein Stück näher heran. Die blauen Augen leuchteten im Halbdunkel der Kajüte, so verwundbar sah er in diesen Tagen nur noch selten aus. Jesse konnte nur vermuten, wie er selbst in diesem Licht aussehen würde, die braunen Augen dunkel, die Haare ein schwarzer Schatten. Sogar seine Haut war immer einen Ton dunkler als Francis englische Blässe, mochte sie Sonne sie beide noch so gründlich verbrennen. Bald, wenn sie dort ankommen würden, wohin sie hoffentlich bald aufbrechen würden. Tortuga. Ja, hoffentlich bald.
Jesse schluckte, als er in diese Augen blickte. Das helle Gegenstück zu seiner Dunkelheit, so war es immer gewesen. Wenn er selbst ein Kobold war, was war dann Francis?
„Ich liebe dich auch. Mehr als ich jemals einen Menschen auf der Welt geliebt habe. Mehr als ich jemals gedacht hätte, jemanden lieben zu können. Mehr als.. mehr als mein Leben."
Er küsste ihn, bevor seine Stimme brechen würde oder er noch mehr Unsinn erzählen konnte. Er rollte sie beide herum, bis Francis unter ihm in die Laken gedrückt wurde. Der hob die Hände, aber Jesse fing sie ein und hielt sie fest, drückte sie sanft aber bestimmt über seinem Kopf in die Kissen. Er versuchte, so unbedrohlich wie möglich zu sein, nahm seiner Körpersprache alles im Ansatz Sexuelle, küsste ihn nur ganz vorsichtig. Und Francis entspannte sich, langsam, mit jedem Atemzug. Jesse ließ seine Hände los, lächelte ihn an, gab ihm noch einen flüchtigen Kuss auf die Wange, bevor er ihn wieder vollständig frei gab. „Danke."
Er griff nach der Decke, zog sie über sie beide und kuschelte sich dicht an seinen Geliebten. Vorsichtig darauf bedacht, dass dieser nicht merkte, wie sehr ihn das gerade erregt hatte.
Francis nahm seinen Maat in die Arme, fühlte sein eigenes Herz heftig in der Brust pochen und schloß die Augen, die Nase tief in Jesses weichem Haar vergraben. Er konnte lange nicht einschlafen in dieser Nacht, aber sie blieb traumlos und als ihn am Morgen die Möwen weckten, war Jesse immer noch da, in den Decken verschlungen, die Hand beschützend um Francis Brust gelegt.

Einmal um die Welt (Piratenblut 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt