Nicht deine Hure

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„Ich bin nicht deine Hure, Käpt'n."
Die Worte hallten in Francis Kopf nach. Er hatte sie sehr leise gesprochen, fast geflüstert, aber für Francis klang jedes Wort wie ein Glockenschlag. Nicht deine Hure.
War es wirklich das, was Jesse dachte? Dass er nur deshalb... das konnte nicht sein. Auf gar keinen Fall. Das musste er doch wissen. Francis starrte wie betäubt zur Tür. Er hatte ihn doch geküsst, oder? Das war nicht erzwungen gewesen, das war doch eindeutig von Jesse ausgegangen.
Und du Idiot hast es wieder nicht ertragen.
Du kannst nicht ewig vor mir davonlaufen. Nein. Er hatte Recht. Das konnte so einfach nicht weitergehen. Aber was genau Francis tun sollte, was er überhaupt tun konnte, das konnte er auch nicht sagen. Es war ja nicht so, dass er ihm nicht vertraute. Er mochte es nun einmal nicht, wenn jemand anderes die Führung übernahm. Das war doch nicht erst seit gestern so und auch nicht erst seit Paris. Das war doch schon immer so gewesen. Und doch war es jetzt anders. Er hatte es schon immer genossen, der aktivere Part zu sein, aber im richtigen Moment und in der richtigen Stimmung war er auch für andere Dinge zu haben gewesen. Jesse hatte ganz genau gewusst, was er dann tun sollte und Francis hatte sich bereitwillig in seine Hände begeben. Jetzt nicht mehr.
Es war pure Angst, die ihn davon abhielt. Eine lauernde Panik, die ihm im Nacken saß und nur darauf wartete, dass er schwach wurde. Die Erinnerungen, die ihn quälten, waren schon schlimm genug, er musste sie nicht auch noch vorsätzlich heraufbeschwören. Und das sollte Jesse doch eigentlich verstehen. Und vielleicht hatte er über eine zu lange Zeit schlicht zu viel Verständnis verlangt.
Er hatte in den letzten Minuten die Schweinerei beseitigt, die er mit seinem Ausbruch verursacht hatte und lief jetzt ungeduldig in seiner Kajüte auf und ab. So konnte das nicht weitergehen, er musste etwas tun. Und zwar jetzt sofort.
Er schloß die Tür hinter sich, schlich wie ein Geist übers Schiff, um seinen Maat zu suchen. Er würde sich doch nicht vor ihm verstecken? Die Crewmitglieder, die er fragte, konnten ihm auch nicht weiterhelfen, aber schließlich sah er ihn an der Reling stehen, an der Stelle, wo die Mannschaft gewöhnlicherweise ihr Geschäft verrichtete. Na also, dort konnten sie doch bestimmt ein paar vernünftige Worte wechseln. Der Steuermann Jake kam gerade auch aus dieser Richtung, fasste ihn aber kurz am Arm, als er sah, wohin er unterwegs war.
„Käpt'n, das ist gerade keine gute Idee. Lass ihn besser noch eine Weile allein."
Francis schnaubte wütend und schüttelte die Hand ab. „Erzähl du mir nicht, was ich auf meinem Schiff zu tun habe."
Jake trat einen Schritt zurück und hob entschuldigend die Hände. „Ist ja gut. War nur so ein Idee."
„Steck dir deine Ideen sonstwohin."
Francis ging an ihm vorbei, wurde aber langsamer und blieb schließlich ein gutes Stück von Jesse entfernt stehen. Irgendetwas war anders, aber kam nicht darauf was. Jesse hatte sein sichtbares Auge zusammengekniffen, schien irgendetwas zu murmeln. Er stand breitbeinig, die eine Hand am Geländer und die andere bewegte sich... Oh.
Nun gut. Es war schließlich sein gutes Recht, sich Erleichterung zu verschaffen, auf die eine oder andere Weise. Er würde dann jetzt wohl einfach ein Weilchen warten, es war ihm doch unangenehm, da jetzt hineinzuplatzen. Und doch würde er viel dafür geben, zu erfahren, was gerade in Jesses Kopf vorging. Woran dachte er? Und an wen?
Francis wusste, wie sinnlos es war, wegen so etwas eifersüchtig zu sein, aber es behagte ihm so gar nicht, wie sie Liebhaber da so offensichtlich dem Höhepunkt entgegenstrebte und er gar keinen Anteil daran hatte. Jesse sah so entspannt aus. Sein Gesicht spiegelte zwar Konzentration wieder, aber die harten Linien um seinen Mund und seine Augen waren verschwunden. Er sah immer noch müde aus, aber nicht mehr zornig. Vielleicht war das ja die Chance mit ihm zu reden und diese Sache endlich zu klären.
Jesse machte ein paar sehr vertraute Geräusche spannte sich einmal kurz an und wurde dann ruhig. Dann wischte er sich mit dem Ärmel über die Nase, zog seine Hose wieder hoch und blieb noch eine Weile stehen, beide Hände um das hölzerne Geländer gelegt.
Francis nahm all seinen Mut zusammen und ging zu ihm. Er bemühte sich, laut genug aufzutreten, damit er ihn auf jeden Fall kommen hörte. Das war aber wohl nicht nötig gewesen. Jesse drehte sich um, lehnte sich an die Reling und sah ihn direkt an.
„Na, Käpt'n. Hat dir die Show gefallen?"
Eine kalte Dusche wäre angenehmer gewesen.
„Erzähl mir nicht, dass du nicht hingesehen hast."
War das jetzt ein zorniger Gesichtsausdruck oder ein unterdrücktes Grinsen? Francis entschied, besser auf der Hut zu bleiben.
„Nur zufällig. Ich war gerade auch auf dem Weg..." Er deutete Richtung Wasser.
„Sicher doch. Aber so dringend war es dann doch nicht, dass du mich gestört hättest, ja? Du bist einfach ein schlechter Lügner, Francis, finde dich damit ab. Und was soll ich jetzt mit dir machen?"
„Eigentlich bin ich hier, um mit dir zu reden. Bevor du vor mir wegläufst."
Er hatte diese Worte bewusst gewählt und sah Jesse dabei fest in die Augen.
„Ich möchte mich ernsthaft entschuldigen, wirklich. Das wird nicht wieder vorkommen. Und solltest du trotzdem das Gefühl haben, das ich mich irgendwie... unangemessen verhalte, dann zeig mir das sofort. Ich bezweifle nicht, dass du sehr viel früher hättest reagieren und mich entsprechend in die Schranken hättest weisen können. Ich bin dir sehr dankbar, dass du das nicht getan hast. Ich weiß, wie du kämpfst, Jesse. Aber wie wir beide wissen, bin ich derzeit nicht sehr empfänglich für Subtilitäten."
„Ich war nicht subtil, Francis. Ich war sehr, sehr deutlich. Und nur um das klarzustellen, du machst mir keine Angst. Vielleicht kannst du jeden anderen auf diesem Schiff mit deinem bösen Blick einschüchtern. Mich nicht."
Er wollte noch etwas sagen, zögerte dann aber. Sein Blick wurde weicher. Francis bemühte sich ja wirklich und die aufsteigende Panik in den blauen Augen wirkte so unschuldig, dass Jesse ihm wirklich glauben wollte. Zeit. Es brauchte einfach seine Zeit.
Er konnte seinen eigenen sexuellen Frust sicher noch eine Weile in eine Kiste packen. Wenn sie nur erst in Jamaica angekommen wäre und dann Tortuga...
„Ich werde deutlicher sein, in Ordnung. Auch wenn das für dich vermutlich mehr blaue Flecken bedeutet."
Francis wurde schwindelig vor Erleichterung. Für einen Moment hatte er gedacht...
„Jetzt geh pinkeln, wenn das denn wirklich der Grund für deinen Besuch war. Und dann lass uns schlafen gehen, Käpt'n. Ich bin wirklich todmüde."

Einmal um die Welt (Piratenblut 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt