Jamaica

165 13 0
                                    

Wenige Tage später konnte sie die ersten Inseln sehen. Die Stimmung an Bord war grandios. In einem eleganten Bogen segelten sie darum herum, zwischen Hispaniola und Kuba hindurch mit direktem Kurs auf Jamaica. Sie ankerten etwas außerhalb und Francis schickte das Beiboot vor um sie anzukündigen. Er würde nicht selbst gehen, der Kapitän würde sein Schiff erst verlassen, wenn der Boden sicher war. Hier kam es vor allem darauf an, eine gute Show abzuliefern. Das war ein Job für den ersten Maat, aber Francis ließ es sich nicht nehmen, ihn genau für diesen Anlass entsprechend herauszuputzen.
Jesse beschwerte sich über alles, die Schuhe, die eng anliegende Weste und am meisten über den Haarschnitt.
„Nur ein bisschen. Himmel, du siehst aus wie ein explodierter Besen!"
Unter viel Gestöhne und Gejammer ließ Jesse die Behandlung über sich ergehen. Das Ergebnis konnte sich sehen lassen, er sah fast aus wie ein schicker Marinesoldat. Wäre da nicht die Augenklappe gewesen, die ihm ein verwegenes Aussehen verlieh.
„Ein hübscher Pirat bist du, mein Lieber." Francis grinste fröhlich und begleitete ihn zum Boot. „Und jetzt geh und mach deine Sache gut, Maat. Keine Eigenmächtigkeit, du überbringst nur eine Botschaft. Lass dich in keine Diskussion verwickeln, beantworte so wenige Fragen wie möglich. Das hier ist nur eine förmliche Bitte, in die Bucht einlaufen zu dürfen und ein Gesuch um ein persönliches Gespräch. Ich habe mit meinem Namen unterzeichnet, das sollte ihn zumindest neugierig machen. Immerhin bin ich ja tot, nicht? Bitte sei vorsichtig. Komm in einem Stück zurück."
Jesse grummelte, lachte dann aber. „Sehe ich aus wie ein Diplomat? Ich tue, was mir befohlen wurde, ich überbringe nur eine Botschaft. Sir."
Er nahm das aufgerollte Dokument von Francis entgegen und salutierte zackig.
„Bitte um Erlaubnis, das Schiff verlassen zu dürfen, Käpt'n."
„Ach geh schon, du Held."

„Francis, wer?"
Der Schreiber im Büro des Gouverneurs sah alarmiert auf. Oh ja. Neuigkeiten reisten schnell.
„Kapitän Francis Drake, Kommandant der Dragon, die gerade dort draußen vor Anker liegt. Sie sollte sie leicht erkennen, sie hat schwarze Segel. Ich bin der erste Maat Jesse Dawson und überbringe diese Botschaft für Gouverneur Campbell. Mir wurde aufgetragen, sie persönlich zu übergeben. Oder sicherzustellen, dass er sie heute noch erhält. Genau genommen soll ich auch auf eine Antwort warten."
Der Schreiber kaute nervös an seiner Unterlippe. „Ich werde sehen, was „ich tun kann. Er hat einige Termine, aber in diesem Fall..." Er nahm das Papier.
Der Mann stand von seinem kleinen Schreibtisch auf, durchquerte das Vorzimmer und klopfte an die Tür. Er ließ sich selbst ein und dann war für einige Augenblicke nichts zu hören. Jesse konnte sich vorstellen, was gerade in diesem Büro vor sich ging. Eine etwas zurückhaltendere Version von „Francis, wer?" vermutlich.
Das war wirklich ein hübsches Vorzimmer. Direkt daneben lag eine Taverne, ob das wohl mit Absicht so geplant worden war? Und ob er wohl noch ein paar Minuten Zeit für ein Bier? Nein, vermutlich nicht. Das würde er dann mit Francis zusammen tun. Ja, zusammen feiern, das hörte sich gut an.
Jetzt kam der Schreiber zurück, ohne Francis Brief, davor mit einem erleichterten Lächeln auf den Lippen. „Wie passt es ihnen heute Abend, Sir?"

Mit Glanz und Gloria fuhr die Dragon wenige Stunden später in den Hafen ein, zumindest fühlte es sich so an. Die schwarzen Segel sorgten für einigen Aufruhr, als sie schließlich den Anker setzten und die Planke zur Hafenmauer herabließen. Francis hatte sein Schiff selbst gesteuert und freute sich an der Präzision, mit er dieses an dem ihnen zugewiesenen Platz glitt.
Braves Mädchen, dachte er und ließ die Hand zärtlich über das Steuerrad gleiten. Wir haben es bald geschafft.

„Und warum musste ich mir die Haare schneiden und du nicht?"
Jesse lehnte an der Tür der Kapitänskajüte und sah Francis beim Anziehen zu. Er bemühte sich, missbilligend die Stirn zu runzeln, aber das wollte ihm nicht so recht gelingen. Francis in voller Kapitänsmontur war ein Erlebnis.
„Weil ich der Käpt'n bin und von mir ein gewisses Maß an modischer Exzentrizität erwartet wird. Außerdem haben wir keine Zeit mehr. Wie sehe ich aus?"
Atemberaubend, schoss es Jesse durch den Kopf. Francis trug schwarze, glänzende Stiefel, eine dunkelbrauen, locker sitzende Hose und eine schwarze Weste über einem frisch gestärkten, weißen Hemd. Darüber kam noch der dunkelblaue Mantel, der ihm bis zu den Knien reichte. Seine Haare berührten mittlerweile fast seine Schultern, wurden aber heute von einem schwarzen Band im Nacken zusammengehalten.
„Wie ein sehr lebendiger Piratenkapitän. Ach hier, dein Hut."
„Danke." Francis nahm ihn mit einer Verbeugung entgegen und setzte sich den Dreispitz auf den Kopf.
„Man glaubt gar nicht, dass du vor einer halben Stunde hier noch mit schmutzigen Füßen deine Rasierklinge gesucht hast. Sie werden dir zu Füßen liegen."
„Na das will ich doch schwer hoffen. Los geht's, erster Maat. Auf einen erfolgreichen Abend."

Es stellte sich heraus, dass Büro und Taverne tatsächlich aus guten Grund so nahe beieinander lagen. Der Gouverneur schätzte einen guten Tropfen sehr und auch das ausgeschenkte Bier war ausgezeichnet. Die Mannschaft wollte die Gelegenheit zum Feiern nicht ungenutzt verstreichen lassen und auch Francis war es nur recht, wenn sie als zahlenmäßig auffallende Gruppe auftraten. Er wünschte seinen Leuten einen fröhlichen Abend und zog sich mit Campbell in die Geschäftsräume zurück. Jesse hätte ihn gern noch einmal in den Arm genommen, aber Francis entzog sich ihm schnell und klopfte ihm nur kurz auf die Schulter. Er spürte das frustrierte Seufzen mehr, als dass er es hörte, als sich die Tür schloss und die Geräusche der Taverne hinter ihm zurückblieben. Ach ja, das gute alte England, selbst hier war der schöne Schein wichtig. Und verdächtige Vertraulichkeiten zwischen zwei Männern würde ihnen nur Ärger einbringen.
Sir Archibald Campbell war nun das zweite Jahr Gouverneur. Was mit dem alten Statthalter geschehen war, wusste niemand zu sagen. Er war wohlgenährt, sah aber nicht verweichlicht aus und aus seinen wachen Augen sprach noch der Soldat, der er einst gewesen war. Sein Büro war sehr schlicht eingerichtet, altes Holz, schwere Polster, ein Hauch von Tabak und Brandy in der Luft. Francis fühlte sich sofort entspannen, das war das Reich eines Mannes, mit dem Mann verhandeln konnte.
Campbell trat zum Schreibtisch und schenkte ihnen beiden etwas von der bernsteinfarbenen Flüssigkeit aus einer Karaffe in zwei kleinere Gläser. Mit einem Seufzen ließ sich Campbell in den Sessel hinter dem Tisch fallen, ganz der Hausherr, und hob sein Glas.
„Kapitän Drake also."
Francis nahm sein eigenes Glas, nickte dem Gouverneur zu, und nippte daran.
„Ganz recht. Und ich habe das Vergnügen, eure Bekanntschaft zu machen, Gouverneur Campbell."
Der trank ebenfalls und sah ihn dann über den Rand seines Glases hinweg an.
„Ich schätze eine Bemerkung wie: "Mir wurde gesagt, ihr wäret tot" erübrigt sich dann wohl. Eure Identität wurde mir zumindest dem Aussehen nach von einigen meiner Leute bestätigt, die hier schon länger Dienst tun als ich. Darf ich fragen, wie..."
Francis stellte sein Glas ab, stütze sich auf die Tischplatte und beugte sich dem Mann entgegen. Es sollte nicht unbedingt drohend wirken, aber Campbell fasste das wohl etwas anders auf.
„Manche Menschen haben es vorgezogen, mich zu unterschätzen. Die Frage ist vielmehr, werdet ihr das auch tun?"
„Wie bitte? Ich verstehe nicht recht."
„Wie willkommen bin ich hier, Gouverneur? Wie willkommen ist meine Beute? Oder wollt ihr einen toten Mann noch einmal hängen?"
Campbell winkte ab, sichtlich erleichtert. „Der Haftbefehl gegen euch wurde mit der Meldung eures Todes unwirksam. Ohnehin kam die Weisung damals als London und stand schon immer auf wackeligen Füßen. Solltet ihr euch also entscheiden, mit dem Segen der Krone und eures Vaterlandes handeln zu wollen, lässt sich sicher etwas arrangieren."
„Ich brauche einen Hafen, Gouverneur. Und zumindest ein Land, das mich nicht beim ersten Anblick meiner Segel exekutieren möchte. Wir haben hier schon einmal sehr erfolgreich geplündert und wir haben vor, das wieder zu tun. Die Frage ist, ob ihre kleine Insel daran Anteil haben möchte oder ob wir alles den Horden von Tortuga überlassen werden."
„Ich denke, darüber sollten wir jetzt ausführlicher sprechen, Kapitän Drake."

Einmal um die Welt (Piratenblut 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt