Finale

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„Anne Bonny, was ist passiert?"
Francis wusste nicht, ob er sich Sorgen machen oder zornig sein sollte und wenn ja, auf wen.
„Was habt ihr getan?"
Anne schüttelte den Kopf. „Ich habe keine Ahnung. Ich habe die Schnitte auf seinem Rücken gesehen, wir haben uns gestritten, er hat mich angeschrien, ich habe ihn geschlagen, dann war er auf einmal weg. Ich meine, es geht mich ja eigentlich nichts an, aber was auch immer es ist, es macht ihn fertig. Und nein, ich glaube nicht, dass es an dem liegt, was ihr im Bett so treibt. Oder eben nicht treibt."
Francis schnappte nach Luft.
„Ich habe wohl vergessen, wie ehrlich ihr miteinander seid. Hilf mir. Was soll ich tun? Was hat er dir gesagt?"
„Willst du das wirklich wissen?"
„Ich glaube, wir sind an einem Punkt angelangt, an dem das keine Rolle mehr spielt. Und da ich ihn gerade nicht selbst fragen kann ohne handgreiflich zu werden... bitte hilf mir."
„Na schön." Anne ließ sich auf den Boden sinken und klopfte neben sich.
„Setz dich Käpt'n. Was er gesagt hat, war" sie begann an den Finger abzuzählen,
„Ich liebe ihn, aber vielleicht sollte ich ihn ziehen lassen. Ich dachte, ich müsste ihn begraben und dann kommt er als Fremder zurück. Er hätte mich umbringen können, aber dafür schätzt er meinen Arsch zu sehr. Dann habe ich ihm ein bisschen die Meinung gesagt, was ich von seinem Gejammer halte und dass er doch nur wieder mit seinem Schwanz denkt. Und dann meinte er noch: Glaubst du wirklich, ich will einen Toten ficken."
Francis war bleich geworden und starrte sie ungläubig an.
„Dann habe ich ihm eine reingehauen, dem Idiot. Woraufhin er rausgestürmt ist und sich wohl nebenan mit Alkohol, Sex und einer wilden Prügelei abgelenkt hat."
„Er hat was?"
Jetzt stutzte Anne. „Oh. Oh-oh. Habt ihr darüber nie gesprochen? Also das Ding mit der Treue?"
„Nicht so direkt, nein. Vermutlich habe ich nie wirklich darüber nachgedacht, weil... Naja, ich dachte..."
„Er war dir immer treu, Francis. Soweit ich das weiß und das heißt für meinen flatterhaften Bruder eine ganze Menge. Aber ich fürchte, die letzten Monate haben euch beide verändert und ihr verarbeitet das auf ganz unterschiedliche Weise. Jesse ist eigentlich kein Mann, der sich absichtlich betrinkt, aber wenn er das dann mal tut, passieren viele dumme Dinge. Ich will ihn auch überhaupt nicht verteidigen, das müsst ihr untereinander klären."
„Glaubst du, ich habe überhaupt noch eine Chance dazu?"
Anne schlug sich die Hände vors Gesicht und stieß ein frustriertes Geräusch aus.
„Das darf nicht wahr sein, das darf einfach nicht wahr sein. Wie kann man nur so dumm sein. Hast du mir überhaupt zugehört? Er liebt dich, Francis. Er ist verletzt und wütend, aber vor allem liebt er dich. Was er gesagt hat, ist das eine. Aber was er gemeint hat..."
„Und was hat er gemeint? Bevor er sich scheinbar woanders geholt hat, was ich ihm nicht geben kann?! Autsch!"
Anne hatte nicht lange gezögert und ihm einen deftigen Hieb gegen die Schulter verpasst.
„Halt die Klappe, Idiot." Dann atmete sie einmal durch und versuchte zu erklären.
„Was er gemeint hat, war in etwa:
Ich habe versagt. Ich habe ihn nicht beschützen können, nicht vor Karvanté, nicht vor den Nachwirkungen. Ich möchte die Unbeschwertheit zurück und ich weiß, dass das nicht geht. Ich bin nicht stark genug dafür, ich bin nicht gut genug für ihn. Ich will ihn nicht verlieren, weil es mich umbringen würde.
Er fühlt sich hilflos, Francis, und vor allem fühlt er sich schuldig. Und er weiß einfach nicht, was er tun soll."
Francis antwortete nicht. Er war an einen anderen Ort zurückgekehrt, zu einer anderen Zeit. Einen finsteren Ort, einer Gefängniszelle unter der Erde, in einer Stadt am anderen Ende der Welt. Damals, als er dem Tod schon näher gewesen war, als dem Leben. Als der einzige Grund, der ihn noch atmen ließ, Jesse gewesen war. Als er die Augen aufgeschlagen hatte, nur um die gegenüberliegende Zelle leer vorzufinden. Die Folter mochte seinen Körper verstümmelt haben, aber dieser letzte Anblick hatte ihm seinen Lebenswillen geraubt. Hilflos, machtlos und allein.
Er hatte überlebt. Jesse hatte überlebt. Aber sie hatten beide einen Teil ihres Wesens dort gelassen. Bis jetzt war ihm nicht klar gewesen, wie viel Jesse verloren hatte. Weit mehr als nur ein Auge.
Er kannte die Geschichte aus Erzählungen, aber wie hätte er wohl selbst empfunden, wenn es Jesse gewesen wäre, dessen zerstörter Körper in aller Eile aus der Bastille gezerrt worden wäre. Wenn er viel zu viel Zeit gehabt hätte, ihn einfach nur anzusehen. Selbst verletzt und blutend, aber immer noch atmend. Während der Mensch, der ihm am meisten auf der Welt bedeutete, einfach nur tot aussah.
Francis schloss die Augen, um die Tränen zu verstecken und stand ruckartig auf.
„Du hast recht, Anne. Ich bin ein großer Dummkopf. Aber damit ist jetzt Schluss."
Anne sah verschreckt aus und besorgt. „Francis, was hast du vor?"
„Ich werde jetzt das richtige tun."

Einmal um die Welt (Piratenblut 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt