Zur falschen Zeit, am falschen Ort

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„Dawson!" Jake ließ sich mit einem betrunkenen Kichern neben Jesse auf die Bank fallen, der sein Bier bisher kaum angerührt hatte.
„Warum betrinken wir uns hier nochmal?"
„Um das Leben zu feiern," brummelte er in seinen Krug.
„Na, so siehst du aber gerade nicht aus. Aber für euch, ähm, Offiziere ist das alles soooo viel Arbeit und totaler Ernst."
Jake rülpste und legte Jesse den Arm um die Schultern.
„Oder nimmt dich der Käpt'n zu hart ran, Jesse?"
Er glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. Mit einem Aufschrei schlug Jesse den Arm weg, packte Jake am Kragen und riss ihn hoch.
„Wie hast du es eigentlich geschafft, mit einem solchen Mundwerk so lange auf diesem Schiff zu überleben?"
„Vermutlich hatte er es noch nicht einmal so gemeint, aber Jesses Nerven waren in der letzten Zeit nicht die besten. Jake zappelte in seinem Griff und sein Gesicht lief rot an.
„Nein... ich... nix gesagt..."
„Das will ich dir auch geraten haben, Steuermann."
Er ließ ihn mit einem Ruck los, Jake verlor das Gleichgewicht, stolperte über die Bank und fiel zu Boden.
„Und jetzt hol mir mehr Bier. Ich glaube, das werde ich noch brauchen."

Diese Besprechung dauerte schon ganz schön lange. Jesse begann sich jetzt ernsthaft zu betrinken und irgendwann fing er an, sich über den Käpt'n zu beschweren. Nicht laut, aber so, dass die Crewmitglieder, denen er in solchen Dingen vertrauen konnte, recht deutlich mitbekamen, wie frustriert er war. Sie versuchten ihn abzulenken so gut es ging, auch wenn diese Ablenkung vor allem aus mehr Bier bestand. Die Huren, die sich unter die Gäste gemischt hatten, ließen ihn nach einer Weile auch in Ruhe, als sie begriffen hatten, dass er vor allem wegen des Alkohols hier war. Aber scheinbar waren sie hier auf alles vorbereitet oder einer seiner Freunde hatte entsprechende Hinweise gegeben, denn als er das nächste Mal jemanden neben sich spürte und aufsah, blickte er in zwei verschmitzt funkelnde Augen in einem recht jungen, aber eindeutig männlichen Gesicht. Eine Hand lag streichelnd auf seinem Oberschenkel und fuhr langsam höher.
Jesse zwinkerte und versuchte, durch den Nebel in seinem Kopf einen klaren Gedanken zu fassen. Der Junge war an seinem Ziel angekommen und begann ihn mit kundigen Fingern durch die Hose zu berühren. Jesse schloss die Augen. Ja, verdammt, warum eigentlich nicht.
Er stand ruckartig auf und ließ sich von seinem Begleiter in eine ruhige Ecke ziehen. Hier war die Luft dichter und verraucht und außer leisen Geräuschen und hier und da zuckenden Gliedmaßen konnte man keine Einzelheiten ausmachen. Als der Junge begriff, dass es Jesse weder auf seinen Mund noch seine Hände abgesehen hatte, zierte er sich zunächst ein bisschen.
Aber Jesse ließ sich nun nicht mehr abwimmeln und er war bereits betrunken genug, dass es ihn nicht mehr groß kümmerte, was sein Gegenüber eigentlich wollte und ob diese zarte Gegenwehr nicht doch bloß eine Aufforderung war. Er drückte den Kleinen an die Wand (Himmel, wie alt war der eigentlich?), riss ihm die Hose herunter und nahm sich, was er brauchte. Spucke war auch für ihn oft genug gut genug gewesen und schließlich verdiente der Junge damit sein Geld. Der schien sich in sein Schicksal zu fügen, aber trotzdem sich Jesse in diesem Gefühl von Lust und Macht verlor, nagte es irgendwo tief in ihm. Das war nicht Francis. Das war nicht der Mann, den er eigentlich unter sich spüren wollte und der gerade unendlich weit weg schien.

Später gab es mehr Bier, er gab sogar dem Kleinen einen aus und als sich sein Schwanz erneut regte, machte er sich wild entschlossen, wenn auch ziemlich schwankend, auf den Weg, seinen Käpt'n zu suchen. Irgendwann mussten die doch fertig sein mit Reden und diesmal würde ihn Francis doch bestimmt nicht abweisen.
Jesse schwankte, fand aber ohne Probleme den Weg zur Schreibstube des Gouverneurs. Sir Archibald Campbell, es war sogar in hübschen Goldbuchstaben in das Holz graviert. Hinter sich hörte er fröhliche Stimmen und das Klirren von Krügen. Diese Insel  vereinte Geschäft und Vergnügen wirklich aufs vortrefflichste. Vielleicht war es auch leichter, mit betrunkenen Männer zu verhandeln, die eine Hure auf dem Schoß sitzen hatten.
Die Tür war immer noch geschlossen, aber diesmal ließ er sich davon nicht abschrecken. Francis war schon viel zu lange da drin und er brauchte ihn jetzt, verdammt. Er riss die Tür schwungvoll auf und stolperte hinein. Was er dort vorfand, verschlug ihm den Atem.
Francis stand am Kartentisch, die Schreibfeder in der Hand. Der deutlich ältere Verwalter dieser Insel dicht hinter ihm, die Hand erhoben, um ihm zu zeigen, wo er unterschreiben sollte, die andere Hand vertraulich an seiner Hüfte. Jesse sah, was er sehen wollte und in seinem Inneren schien etwas scheppernd zu zerbrechen.
Francis blickte ihn erschrocken an. Oder ertappt? Ja, so war es, er sah ertappt aus und schuldig und... Jesse sah rot. Er war lange genug vernünftig gewesen, verständnisvoll und geduldig. Damit war es jetzt vorbei. Endgültig. Er stürzte in betrunkener Raserei auf die beiden Männer zu und versetzte dem Gouverneur einen deftigen Hieb auf die Nase. Der taumelte zurück, eine Hand an seinem Gesicht, über das jetzt Blut lief. Francis versuchte, sich zwischen Sir Campbell und Jesse zu schieben, als der endlich wieder genug Luft hatte, um wilde Flüche auszustoßen.
„Du verdammter Bastard! Du Lügner! Du... von mir lässt du dich nicht anfassen, aber kaum kommt so ein alter Sack daher, lässt du dich mit Freuden aufs Kreuz legen und... verdammt, habt ihr es die ganze Zeit hier drin getrieben?"
„Jesse!" Francis versetzte ihm einen heftigen Stoß vor die Brust. „Halt die Klappe! Du bist betrunken, Mann, du kannst ja kaum noch stehen."
„Ja, das bin ich. Und das ist auch gut so, sonst hätte ich das hier wohl nicht mitbekommen. Hat es Spaß gemacht, Mylord? Habt ihr ihn schon gesehen, den Schwanz unseres edlen Kapitäns hier oder hat euch seine Rückseite schon völlig ausgereicht? Wenn er will, ist er verdammt gut zu f..."
Francis Fausthieb traf in unvorbereitet. Er krachte an die Wand und rutschte benommen zu Boden. Sein Käpt'n stand schwer atmend über ihm und rieb sich die Finger.
„Mein lieber Maat..."
„Kapitän Drake!" Campbell hatte seine Stimme wiedergefunden. Er presste sich ein weißes Taschentuch auf die blutende Nase und stach zornig mit dem Finger nach ihm.
„Mir fehlen die Worte. Das ist... unfassbar! Ich werde diesen Wüstling sofort einsperren lassen und dann kann er seinen Frieden mit Gott machen. Auf meiner Insel wird so... so etwas nicht geduldet. Ich lasse ihm die Zunge herausschneiden und dann kann er sich die Landschaft vom Ende eines kurzen Stricks ansehen..."
„Nein, Sir. Dieser Mann gehört zu meiner Crew, so beschämend das sein mag. Ich muss darauf bestehen, mich selbst darum zu kümmern. Glaubt mir, das hier wird Folgen haben."
„So läuft das hier nicht, Drake. Wenn ihr unter eurem Kommando ein solches Verhalten zulasst, kann ich euch das königliche Siegel und die Ankergenehmigung nicht geben."
„Gouverneur, seid versichert, er wird angemessen bestraft werden."
Campbell schien sich wieder etwas gefangen zu haben und setzte sich in den ausladenden Sessel hinter seinem Schreibtisch. Er betupfte sich immer noch die blutende Nase und sah Francis scharf an.
„Das möchte ich euch auch geraten haben. Das ist meine Insel, hier ist meine Wort Gesetz."
„Und das respektiere ich, Sir. Aber auf meinem Schiff mache ich die Gesetze. Wir haben unsere Methoden."
Er schluckte. Die Worte wollten nicht über seine Lippen kommen. Die Satzung war vor Jahren verfasst worden, wurde aber vor jeder Kaperfahrt neu bestätigt. Jeder Mann auf seinem Schiff kannte sie in- und auswendig. Wenn er die dauerhafteren Möglichkeiten, die ihm zur Verfügung standen, nicht in Betracht ziehen wollte (und natürlich wollte er das nicht!), blieb ihm nicht mehr viel Auswahl. Da die Regeln auf militärisch geführten Schiff ähnlich waren, sollte Campbell sie gut genug kennen. Gerade bei der Marine lag der Fokus auf genau diesen Disziplinarmaßnahmen, die Männer sollten danach ja noch arbeiten können. Er wusste es, natürlich.
Jesse saß verdattert am Boden. Sein Blick war schon klarer und langsam dämmerte ihm, was er da angerichtet hatte und was das für Folgen haben musste. Sein Blick flehte um Verzeihung, aber dafür war hier nicht der richtige Ort. Jetzt musste Francis erst einmal seine Position klar machen, durfte dem Gouverneur dieser Insel keine persönliche Schwäche zeigen. Himmel, er WAR der Kapitän und er war wütend und das sollte jemand zu spüren bekommen.
„Ich denke, sie wissen wovon ich spreche. Gewisse Maßnahmen kann man wohl als universal betrachten. Dafür erwartet ihn die Peitsche. Mehr kommt nicht in Frage, aber ich werde... gründlich sein."
Sir Campbell nickte, nun schon friedlicher gestimmt. Seine ersten Worte hatte er im Zorn gesprochen, aber von einem betrunkenen Mann konnte man wohl nur bedingt vernünftiges Verhalten erwarten. Er beäugte Jesse misstrauisch. Und trotzdem.
„Niemals hat mich jemand so beleidigt. Das ist unerhört. Kapitän, was sagt ihr zu diesen Unterstellungen?"
„Dazu gibt es nichts zu sagen. Dieser Mann wird bestraft werden, wie er es verdient, das versichere ich euch."
„Gut. Ich werde dabei sein. Morgen früh, auf eurem Schiff?"
Francis atmete tief ein. Und aus. Natürlich wollte er Zeuge sein. Und damit hatte sich auch sein letztes Schlupfloch geschlossen. „Ja. Morgen früh."
Er zerrte Jesse am Ellbogen hoch und stieß ihn aus der Tür. „Und bringt die Dokumente mit."
„Das werde ich. Ihr werdet sie bekommen, sobald diese Verleumdung gesühnt wurde."

Im Gastraum war es still geworden. Wieviel hatten die Gäste mitbekommmen? Francis wollte gar nicht darüber nachdenken. Er nickte den nächstbesten seiner Männer zu und bedeutete ihnen, Jesse zu übernehmen. Warum hatten sie ihn denn nicht aufgehalten?
Er ging noch einmal zurück und wechselte noch einige Worte mit dem Gouverneur, versuchte ihn weiter zu beruhigen und ein vernünftiges Strafmaß zu vereinbaren.
Schweigend machten sie sich danach auf den Weg zum Schiff und schweigend bedeutete er Jesse, ihm in seine Kajüte zu folgen. As die Tür zuklappte, fehlten ihm im ersten Moment wieder die Worte. Jesse schien wieder völlig nüchtern zu sein. Er hob die Hände, wollte etwas sagen, aber es kam kein Ton aus seiner Kehle. Er holte noch einmal Luft.
„Ich... es tut mir leid."
„Es tut dir leid."
Francis war immer noch geladen, als Jesse wieder aufsah und seinen Blick suchte.
„Es tut dir leid! Du darfst dich auf die Katze freuen, mein lieber Maat, und ich schwöre dir, du hast es dir wirklich verdient."
Nunja, es wäre nicht das erste Mal. Nicht auf diesem Schiff, aber Jesse war schon sehr lange Seemann und gerade in jungen Jahren nicht immer so fügsam gewesen, wie er es hätte sein sollen.
„Wird Campbell es selber tun? Er konnte es ja kaum erwarten, mir die Schlinge um den Hals zu legen."
„Nein. Das ist meine Verantwortung. Du bist meine Verantwortung. Wenn dich irgendwer in Stücke reisst, bin ich das."
Jesse schluckte. „Wie viele?"
„Das wirst du morgen früh erfahren. Und jetzt verschwinde hier, bevor ich mich nicht mehr beherrschen kann. Du hättest uns beinahe diesen Hafen gekostet, Jesse."
Er tat ganz dicht vor seinen Maat, drohend und mit einem sehr kalten Ausdruck im Gesicht.
„Und weil du es ja unbedingt wissen wolltest..." Und jetzt sprach er ganz langsam und sehr, sehr deutlich. „Er hat mich nicht gefickt. Wie du es so blumig ausdrücken wolltest. Niemand hat das jemals getan. Niemand – außer dir."
Fast niemand. Das wussten sie beide.
„Und jetzt raus hier!"

Einmal um die Welt (Piratenblut 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt