2. Kapitel

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~Cedric

Mit einem seltsamen Gefühl wachte ich aus meinem noch seltsameren Traum auf. Schon lange träumte ich von diesem Jungen. Ich hatte keine Ahnung, wer er war und warum ich von ihm träumte, aber ich genoss es, ihn in Wolfsgestalt zu beobachten.

Doch diese Nacht war es anders gewesen. Normalerweise sah es nie so aus, als würde er etwas wahrnehmen von seiner Umgebung und schon gar nicht von mir. Ich war immer unsichtbar für ihn gewesen. Doch dieses Mal hatte er selbständig gehandelt. Und er hatte mich gesehen. Ich hatte es in seinen grauen Augen erkannt, dass er mich bemerkt und dann ebenfalls beobachtet hatte. Und obwohl ich in Wolfsgestalt gewesen war, hatte er keine Angst gehabt. Er hatte eher interessiert und vor allem fasziniert ausgesehen, was mich verwunderte.

War er ein Wolf – ein Gestaltswandler – wie ich einer war? Oder hatte er alles für einen Traum gehalten, wie ich ebenfalls – am Anfang. Langsam begann ich daran zu zweifeln, denn ich wusste immer, dass ich träumte und das war eigentlich unmöglich.

'Vielleicht ist er unser Gefährte', meinte Nathaniel, mein Wolf.

'Meinst du?'
'Möglich ist es. Warum solltest du sonst von ihm träumen, Ced?'

Ich zuckte mit meinen Schultern.

'Siehst du? Du weißt nicht, dass es nicht stimmt.'

'Und du weißt nicht, dass es stimmt.'

'Pessimist.'

'Ich würde es eher Realist nennen, wenn du mich fragst.'

'Pech. Das mache ich nicht. Und wenn ich du wäre, würde ich langsam aufstehen. Es ist gleich sechs und Trevor muss gleich zur Schule...'

'Oh, Mist.'

*

Schnell hatte ich mich aus dem Bett geschwungen, mir etwas angezogen – mein Schrankinhalt bestand eigentlich nur aus grauen Pullis – und war in die Küche gehetzt, um Frühstück zu machen. Trevor war früh morgens immer sehr ungehalten – auch darüber, dass ich, sein nutzloser Bruder, älter war als er und nicht mehr zur Schule musste, weil ich mein Abitur schon bestanden hatte. Ich musste mich zwar nicht mehr mit Klausuren und dem Schuldruck herumschlagen, dafür aber mit den Aufgaben eines Omega, der ich leider Gottes war.

Mit meinen ein Meter sechzig war ich gerade mal etwas größer als meine Cousine Mayleen, die ebenfalls ein Omega war. Noch dazu hatte ich leuchtend rote Augen und strahlend silberne Haare, was mich so ziemlich vom Rest des Rudels abgrenzte.

Außergewöhnliche Augenfarben waren normal, aber Rot? Und silberne Haare? Hätten die nicht besser blond sein können, wie die von Trevor?

Ich sah niemals aus wie achtzehn, fast neunzehn...eher wie sechzehn.

Aber ich sollte mich nicht beschweren, redete mir Nathaniel immer ein. Ich wäre besonders und er wäre stolz darauf, einen so besonderen Menschen zu haben.

„Was starrst du für Löcher in den Tisch?", fauchte Trevor, der augenscheinlich den Raum betreten haben musste. Ich zuckte zusammen, überrascht wegen seiner plötzlichen Präsenz. Außerdem senkte ich meinen Blick zu Boden. Es gehörte sich nicht für mich, den zukünftigen Beta des Rudels anzusehen, wenn er es mir nicht ausdrücklich erlaubt hatte – was er definitiv nicht tat.

Blindness ~ boyxboyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt