12. Kapitel

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~Cedric

Ich konnte beim besten Willen nicht sagen, wie ich es schaffte, mich – so entkräftet wie ich war – nach Hause zu schleppen – ich war mir beinahe sicher, die meiste Zeit geistig nicht einmal anwesend gewesen zu sein, so sehr war ich damit beschäftigt gewesen, mich den ganzen Weg zurück zu quälen – besser gesagt, Nathaniel quälte sich, während ich ihn mit allen Schimpfwörtern, deren ich mächtig war, betitelte und ihn in unserem Kopf anbrüllte, dass er uns in solche Schwierigkeiten geritten hatte, was er stumm, aber reuevoll zur Kenntnis nahm.

Nachdem ich mich zurückverwandelt hatte, war ich sofort duschen gegangen, um meine verspannten Muskeln zu entkrampfen. Lian hatte es mir regelrecht befohlen, nachdem er nach anfänglichen Schwierigkeiten in seine menschliche Form zurück gewechselt war.

Während also das warme Wasser, welches sich auf meinem kalten Körper kochend heiß anfühlte, auf mich niederprasselte, tauchte in meinem Kopf das Bild von Tyr auf – rabenschwarzes, dichtes Fell, welches – wie Lians Haare – einen Blaustich besaß, graue Augen, die nun diesen für uns typischen goldenen Ring, der die milchig dunkelgrauen Pupillen umgab, besaßen.

Tyr war groß, größer als es der Durchschnitt von uns Gestaltwandlern war, und strahlte eine unsagbare Macht aus, die ich nur von einer Person her kannte – Marcus.

Alles an Tyr hatte regelrecht nach Alpha gestunken, seine Haltung, seine Körpersprache hatten so viel mit der von Marcus' Wolf gemein, dass mir diese Ähnlichkeit beinahe Angst einjagte. Aber Lian konnte doch unmöglich der verloren geglaubte Alpha sein?

'Wundern würde es mich nicht', meldete sich Nathaniel zu Wort, doch ich knurrte ihn nur an – er sollte ruhig wissen, dass ich noch immer wütend auf ihn war, was sich so schnell auch nicht ändern würde.

Ich beschloss, bei nächster Gelegenheit mit meinem Onkel und mit Doc darüber zu reden, um Gewissheit zu bekommen. Vielleicht hätte ich darüber mit Lian selber reden müssen, aber ich wollte ihn nicht – noch nicht – damit belasten, denn wenn er wirklich der rechtmäßige Alpha war, würde er Marcus zu einem Kampf herausfordern müssen, um seinen Platz im Rudel einnehmen zu können – und ich wusste nicht, ob er das überhaupt wollte.

*

Als ich erschöpft das Badezimmer verließ, um mich ins Bett zu legen – viel mehr würde ich gerade nicht zustande bringen – wurde ich von zwei Armen umschlungen und an einen zitternden Körper gepresst.

Lians Duft umfloss mich, ließ mich mich entspannen, mich wohlfühlen, meinen von der Anstrengung schmerzenden Körper vergessen und ebenfalls die Arme um ihn legen. Mit geschlossenen Augen vergrub ich mein Gesicht an seiner Halsbeuge, atmete seinen Geruch – eine unverwechselbare Mischung aus den verschiedenen Geruchsnuancen des Waldes, zusammen mit dem Weichspüler seiner Kleidung – ein, der beinahe eine Droge für mich geworden war.

Lian hielt mich fest umklammert, als würde er befürchten, mich zu verlieren, während ich ihm beruhigend über den Rücken strich.

„Alles gut", murmelte ich an seinem Hals, doch Lian schüttelte seinen Kopf.

„Ich habe gedacht, ich verliere dich", schluchzte er – dieses Geräusch ließ mein Herz brechen. Es passte nicht zu ihm, dass er weinte oder zumindest kurz davor war. Er war der Starke von uns, der Mutige, der Kämpfer.

„Hast du nicht. Ich bin bei dir", flüsterte ich und löste mich soweit von ihm, dass ich ihm ins Gesicht schauen konnte.

Blindness ~ boyxboyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt