8. Kapitel

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~Lian

Doch leider hielt der erholsame Schlaf nicht lange an, denn schon bald drangen Geräusche in mein noch etwas benebeltes Gedächtnis, welche mir entfernt bekannt vorkamen. Ich hatte sie jetzt schon eine Weile nicht mehr gehört, zuletzt an dem Tag, an dem ich von meiner Pflegefamilie abgehauen bin.

Diese Geräusche verrieten mir, dass ich mich nicht allein mit meinem Gefährten hier befand – wo auch immer hier war.

Ich musste mich in einem Familienhaus befinden, dessen Bewohner jetzt langsam aufwachten und den Tag beginnen würden.

Wie spät war es eigentlich? Ich hatte keine Ahnung und Tyr, der noch immer in meinem Hinterkopf vor sich hin döste, wusste es definitiv auch nicht. Sollte ich Cedric fragen?

Dieser drehte sich gerade in meinen Armen und nun spürte ich genauso wie vorhin seinen Atem an meiner Haut, was mir angenehme Schauer durch meinen Körper jagte.

Ich hörte seinen lauten Herzschlag, der gleichmäßig war und eine beruhigende Wirkung auf mich hatte. Hier bei Cedric fühlte ich mich geborgen und das, obwohl er nicht einmal wach war. Wie er wohl aussah?

Ich hatte mich zwar daran gewöhnt, mein Augenlicht verloren zu haben, aber jetzt war wieder ein Moment, in dem mir schmerzlich bewusst wurde, was genau das für mich bedeutete.

Ich würde meinen Gefährten nie sehen können, niemals das Sonnenlicht auf seine Haar scheinen sehen, niemals das Glühen seiner Augen beobachten können. Ich würde sein Lächeln nicht kennen, ich würde nie sehen können, wie er weinte...ich würde es einfach nicht wissen.

Aber ich wollte es so dringend wissen. Ich wollte wissen, was seine Haarfarbe war, wie seine Augen aussahen, seine Hautfarbe, seine Körperstatur, seine Mimik, wenn er sich freute, wenn er wütend war, wenn ihn etwas beschäftigte...

„Lian, wieso bist du so unruhig?", fragte Cedric leise, der wohl aufgewacht war. Seine Stimme war zwar gedämpft, aber trotzdem hörte ich ihn so laut, als würde er mir ins Ohr schreien.

Sollte ich ihm von meinen Gedanken erzählen? Er wusste ja eh schon, dass ich blind war und er hatte mich ohne Vorurteile und ohne Protest akzeptiert. Ich wusste nicht, was er über meine Behinderung dachte und wie er sich dabei fühlte, mich als Gefährten zu haben...vielleicht wollte er mich ja deswegen auch irgendwann nicht mehr? Vielleicht würde ich eine Last für ihn werden oder er fühlte sich durch mich eingeschränkt in seiner Freiheit...vielleicht würde ich ihn langweilen oder einfach nur noch nerven, sodass ich wieder alleine dastehen würde.

Ich kannte ihn zwar noch nicht lange – eigentlich kannte ich ihn ja gar nicht, immerhin wusste ich nicht mehr als seinen Namen von ihm – aber ich – mein Körper, mein Verstand, mein Herz – war schon vollkommen abhängig von ihm.

Von meinen Gedanken wurde ich abgelenkt als ich bemerkte, wie Cedric seine Arme um mich schlang. Mit einer Hand strich er mir durch die Haare, was sich einfach nur gut anfühlte und mich für einen Moment vergessen ließ, was mir Sekunden zuvor noch durch den Kopf schwirrte.

„Was auch immer es ist, du kannst mit mir reden, okay? Ich bin da, wenn du mich brauchst", hauchte er mir ins Ohr, bevor er mich noch einmal fest an sich drückte und dann langsam von mir wegrückte. Dort, wo er mich berührt hatte, war mir auf einmal unheimlich kalt und ich wollte nichts sehnlicher, als zurück in seine Arme zu können, doch ich verkniff es mir, dies laut zu äußern.

„Bist du bereit, meine Familie kennenzulernen?", fragte er mich dann, woraufhin ich leicht nickte.

Ich war nicht bereit, fremden Leuten gegenüberzutreten, die mich mit Fragen überhäufen würden, aber irgendwann musste dieser Moment kommen und jetzt, da ich wach war, konnte ich dieses Treffen nicht länger vor mir her schieben...

Blindness ~ boyxboyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt