» Peinliche Momente «

800 70 7
                                    

 Fassungslos taumelte ich einige Schritte rückwärts und stützte mich an der Wand des Flurs ab. »Überrascht?«, fragte Thélmo kalt, doch ich hörte diesen besorgten Unterton heraus. »Felicia? Alles in Ordnung?«, nun gesellte sich auch Kellie zu uns und sie musterte mich besorgt. Ich schluckte schwer und versuchte anständig zu atmen. Warum sollte alles in Ordnung sein? Ich sah hier den Jungen, dessen Bruder ich sterben gelassen hatte. »Alles gut«. stammelte ich unsicher und stiess mich von der Wand ab. »Na dann«, meinte Kellie und ihr Mund zierte ein Lächeln. »Ich hole dann mal die anderen.« Bevor ich etwas erwidern konnte, war sie schon wieder verschwunden. Ich merkte, wie mich Thélmo stumm musterte, währenddessen lehnte er sich lässig gegen den Türrahmen. Es machte mich verrückt, wie er da stand und mich emotionslos anstarrte. »Hast du nichts zu sagen?«, fuhr ich ihn aufgebracht an. »Nein, nicht wirklich. Warum?« Irgendwas leuchtete in seinen Augen auf. »Warum fährst du mit mir auf die Tour der Sieger?«, sagte ich etwas schroffer, als ich eigentlich wollte. Er lachte leise vor sich hin und senkte seinen Blick. »Kellie hat mich gebeten.« Verwirrt schüttelte ich den Kopf: »Warum?« Er zuckte mit den Schultern und da kam auch schon Kellie mit Marciella, Ellza, Jodo und Phoebe aus dem Wohnzimmer. »Wir können los!« Ich verabschiedete mich noch von Mom und Delphia, ehe wir uns auf den Weg zum Bahnhof machten.

Stumm nippte ich an meinem Glas, welches mit einer süssen, blauen Flüssigkeit gefüllt war. Thélmo und Kellie unterhielten sich aufgebracht über ihre Hungerspiele und manchmal fiel auch ein Wort über die Hungerspiele, welche ich gewonnen hatte. »Also ich muss sagen, dein Finale war legendär«, lobte Thélmo und schwang seine Arme so, als hätte er eine Axt in der Hand. »Der Plan, von oben anzugreifen war genial!« Kellie lachte und nahm ein Schluck von ihrem Glas. »Dein Finale war auch..« Sofort verstummte sie, als sie meinen emotionslosen Blick bemerkte. »Felicia, ich«, setzte sie an, doch ich brachte sie mit einer simplen Handbewegung zum schweigen. »Ist doch egal. Mach was du willst, Kellie! Ach, das machst du ja schon!«, schnaubte ich und deutete mit der Hand auf Thélmo. Ohne ein weiteres Wort erhob ich mich von meinem bequemen Sessel und verliess eingeschnappt den Abteil.

Inzwischen sass ich bestimmt schon zwei Stunden an dem Schreibtisch, welcher sich in meinem Abteil befand und kritzelte unkontrolliert in einem Zeichnungsblock herum. Ich hatte nämlich eines der Avox Mädchen gefragt, ob sie mir irgendwas zum ablenken hätte und sie hatte mir einfach einen Zeichnungsblock und Farbstifte in die Hand gedrückt. Zu meiner Überraschung, machte mir das Zeichnen Spass und lenkte mich tatsächlich ein bisschen von allem ab. Von Finnley, den Hungerspielen und Thélmo. Ich zog gerade den letzten Strich und somit war das Porträit von Willow fertig. Es klopfte an der Tür, aber ich ignorierte es gekonnt. Die Person würde schon merken, das die Türe nicht abgeschlossen war. Und tatsächlich, keine Sekunde später wurde die Tür geöffnet und jemand trat in den Raum. »Feli?« Zu meiner Überraschung war es nicht Kellie, Phoebe oder Marciella. Es war Thélmo. Deshalb zuckte ich auch zusammen, als ich seine Stimme hörte, aber ich antwortete ihm nicht. Ich merkte, wie er sich über mich beugte und mir interessiert zu schaute. »Willst du was besonderes?«, zischte ich und riss das Bild von Willow vom Zeichnungsblock ab. Thélmo ging allerdings nicht auf meine Frage ein, sondern nahm sich den Stapel Zeichnungen, die neben mir lagen, an sich. Wenn ich nicht so genervt von ihm wäre, hätte ich sie schon längsten aus seinen Händen gerissen, aber es interessierte mich ehrlich gesagt nicht. Thélmo begutachtete jedes Bild genau, bis er an einem lange hängen blieb.

»Ist das..?« Er starrte mit glitzernden Augen auf das Bild. Vorsichtig wagte ich ein Blick darauf. »Das ist Flake, ja«, bestätigte ich leise. Thélmo lächelte schwach und ich sah, wie ihm eine Träne über die Wange lief. »Es ist wunderschön.« Ich schluckte und musterte Thélmo. Seine Reaktion berührte mich irgendwie und ich erhob mich von meinem Stuhl. »Du kannst es haben«, flüsterte ich und schenkte ihm ein Lächeln. Ich selbst musste mich zusammen reissen, das ich nicht anfing zu weinen. Er faltete das Blatt vorsichtig und nahm mich in den Arm: »Danke.« Wie in Trance erwiderte ich seine Umarmung und atmete seinen Duft ein. Er roch genau gleich wie Flake.

Als ich am nächsten Morgen erwachte, merkte ich sofort, das ich nicht alleine im Bett war. Mein Kopf schellte nach links, wo ich in zwei dunkelgrüne Augen erblickte. »Woaah!«, schrie ich und fiel samt Decke auf den harten Boden. »Feli, bist du okay?«, hörte ich eine vertraute Stimme fragen. »Thélmo?«, schnaubte ich erschrocken. »Was machst du hier?« »Na ja, du hast mich gestern Nacht gebeten das..« »Das was?«, hackte ich nach. »Hm, dein Shirt«, Thélmo lachte heiser und deutete auf meinen Bauch. Ich sah, das mein Shirt verdammt weit nach oben geschoben war und das man meinen gesamten Bauch sehen konnte. Sofort lief ich rot an und zog es sofort wieder an die richtige Stelle: »Also, um was habe ich dich gebeten?« »Du wolltest, das ich diese Nacht bei dir bleibe«, meinte er und hob die Schultern. Das dämliche Grinsen wollte nicht von seinem Gesicht verschwinden. »Hör auf zu grinsen oder ich knalle dir eine«, warnte ich und rappelte mich auf. »Schon gut, schon gut!« Er hob unschuldig beide Hände und stieg aus dem Bett. »Und jetzt«, knurrte ich und deutete auf die Türe. »Geh! Und sei froh, das ich dich noch nicht umgebracht habe!« Er senkte den Kopf und ich konnte deutlich hören, wie er sich das Lachen verkneifen musste. Als er mein Zimmer verlassen hatte, knallte ich die Türe zu und schloss sie ab.

Von Marciella bekam ich ein schwarzes Rüschenkleid, welches ich anziehen sollte, da wir direkt nach dem Frühstück in Distrikt 12 ankommen würden, wo auch die Tour der Sieger begann. Noch bevor ich frühstücken konnte, wurden meine Haare noch zu einem unordentlichen Dutt hochgesteckt und mit schwarzen Stäbchen befestigt. Natürlich musste ich noch dezent geschminkt werden und dann durfte ich endlich frühstücken. Am Tisch sassen bereits Kellie und Thélmo die sich wieder aufgeregt unterhielten. Erst als ich mich neben Kellie setzte, wurde ich von den beiden bemerkt. »Na, aufgeregt?«, war das erste, das mich Kellie fragte. »Dir auch einen guten Morgen, Kellie. Ja, ich habe sehr gut geschlafen..«, sagte ich ironisch, doch bevor ich bemerkte, was ich gesagt hatte, lachte Thélmo laut los. Peinlich berührte machte ich mich klein und lief rot an. Kellie verstand natürlich nicht und schaute uns fragend an. Erst nach einer halben Ewigkeit hatte sich Thélmo beruhigt und winkte ab: »Nichts, nichts.« Kellie blieb weiterhin misstrauisch, aber wenigstens konnte ich etwas kleines essen, ohne das ich ständig von Thélmo aufgezogen wurde.

Revenge ~ Der Tod kommt immer Näher [#2] ON HOLDWo Geschichten leben. Entdecke jetzt