» Ende Gut? «

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Es vergingen bloss wenige Sekunden, in denen unsere Lippen aufeinander lagen, doch für mich fühlte es sich wie Stunden an, Stunden die meiner Meinung nach nie aufhören hätten dürfen. Elvion sah mich mit grossen Augen an, dabei glitzerten seine blauen Augen. »Ich habe dich vermisst«, murmelte ich mit gesenkten Blick. Verzweifelt versuchte ich zu verhindern, dass meine Wangen rot anliefen. Elvion schob zwei Finger unter mein Kinn und zwang mich so ihm in die Augen zu schauen. »Ich habe dich auch vermisst«, sagte er mit einem kleinen Lächeln auf seinen Lippen, welches mein Herz augenblicklich schneller schlagen liess. »Und das habe ich auch vermisst«, fügte er hinzu, bevor er sich vor beugte und seine Lippen ein weiteres mal auf meine legte. In meinem Bauch tobte es schlimmer als das Kapitol, als der Sieger verkündigt wurde - Elvion. Ich lehnte mich nach vorne, um den Kuss zu erwidern. Ich merkte wie er in den Kuss hinein lächelte und ich tat es ihm automatisch gleich. Warum ich das tat, wusste ich nicht. Ich wusste in diesem Moment überhaupt nichts mehr. Ich löste mich ein weiteres mal von ihm, um nach Luft zu schnappen. Diesen Moment nutzte ich, um den Jungen vor mir zu mustern. Einige kleine Narben zierten sein sonst makelloses Gesicht, seine Haare waren auch länger als vor der Arena, viel verstrubbelter. Um ehrlich zu sein, mochte ich es. Langsam streckte ich meine Hand aus, um ihm durch sein blondes Haar zu fahren. Sie fühlten sich wunderbar weich an, als würde man ein kleines Kätzchen streicheln. »Du hast so weiche Haare und sie sind so lang geworden«, erklärte ich mein Handeln kleinlaut. Ich hörte ihn Lachen. Bloss dieser Klang liess mich wieder Lächeln. Ruckartig zog ich meine Hand aus seinen Haaren und verschränkte diese mit meiner anderen: »Tut mir Leid.« »Du muss dich doch für nichts entschuldigen«, erwiderte er lächelnd. Eine angenehme Stille herrschte zwischen uns, als ich ihm tief in seine strahlend blauen Augen sah. Ein einziger Gedanke befand sich in meinem Kopf. Es war eine einzige Frage, auf die ich allerdings keine Antwort fand. Liebte ich ihn? Eine ganze einfache Frage. Vorsichtig lehnte ich meine Stirn gegen seine. Liebte ich ihn? Er schloss seine Augen, atmete tief ein. Liebte ich ihn? Ich schluckte. Ich wollte ihn lieben. Selbst wenn ich es nicht tat, ich wollte es unbedingt. Unsere Lippen waren nur wenige Zenitmeter von einander entfernt. Liebte ich ihn? Ich schloss die Augen im selben Moment, wo sich unsere Lippen ein weiteres mal berührten. Ja, ich liebte ihn.


Erschrocken zuckte ich zusammen, als ich ein Husten hinter mir vernahm. Ich drehte mein Kopf zu der Türe und erblickte ein Mädchen, das mit verschränkten Armen in der Türe stand. Sie hatte blonde Haare, die sie zu einem strengen Pferdeschwanz zurück gebunden hatte und sie war komplett in Weiss gekleidet. Ich vermutete, dass sie eine Krankenschwester war. »Ich möchte Sie beide ja nicht stören«, schleuderte sie mir bissig entgegen. Schnell kletterte ich von Elvions Schoss, und strich meine dunkelblaue Bluse zurecht. »Sie stören nicht«, antwortete ich, dabei brannten meine Wangen unangenehm. »Hast du geklopft?«, zischte Elvion. »Ja, das habe ich, Mister Hanress«, nun stemmte die Krankenschwester ihre Hände in die Hüfte. Verwirrt blickte ich zwischen dem Mädchen und Elvion umher, kannten sich die beiden? »Ich muss Sie jetzt bitten zu gehen, Miss Miller«, knurrte die Krankenschwester, sie sah wütend aus. »Weshalb?«, hörte ich Elvion sagen, auch seine Wut war nicht zu überhören. »Das ist schon okay«, sagte ich schnell und nickte Elvion flüchtig zu. »Ja, genau. Jetzt gehen Sie!«, die letzten Worte schrie das Mädchen beinahe, ihr Gesicht war rot angelaufen, fast wie die Tomaten, die ich heute im Salat hatte. Ohne ein weiteres Wort quetschte ich mich neben ihr durch. Die Türe ging hinter mir geräuschvoll zu. Urplötzlich verspürte ich eine unglaubliche Wut auf dieses Mädchen. Was dachte sie sich eigentlich? So etwas sollte ich mich nicht bieten lassen. Fest entschlossen ihr die Meinung zu sagen legte ich meine Hand wieder auf die Türklinke und stiess die Türe auf. Ich erblickte sofort die Blonde, welche Elvion eine Nadel unsanft in den Arm rammte. Ich sah, wie er das Gesicht verzog und sofort kraftlos auf dem Bett zusammen sackte. »Was tun Sie da?«, rief ich entsetzt. »Ich habe Ihnen doch gesagt, Sie sollen verschwinden!«, bellte mich das Mädchen an. »Ich will wissen, was Sie ihm da gespritzt haben!« »Ein Mittel, dass er endlich schlafen kann. Sie haben Ihn ja scheinbar gestört«, sie verdrehte die Augen und kam mit schnellen Schritten auf mich zu. »Ihm ging es gut, er braucht nicht noch mehr Medikamente!«, knurrte ich mit zusammen gekniffenen Augen. »Jetzt hören Sie mir mal gut zu, Miss Miller«, sie deutete mit dem Finger auf mich, »Verschwinden Sie jetzt besser. Ich bin hier die Krankenschwester, verstanden? Halten Sie sich von Mister Hanress fern.« Ich hätte ihr gerne all mögliche Schimpfwörter an den Kopf geworfen, doch ich hielt mich zurück. »Gut«, schnaubte ich und drehte mich auf dem Absatz um.


Es klopfte. Schnell hob ich den Kopf und rief ein emotionsloses: »Herein.« Die Tür wurde geöffnet und ich erblickte eine junge Frau mit kurzen, schwarzen Haaren. Eine Avox, welche ich vorhin damit beauftragt hatte, mich zu informieren, falls Elvion erwachen sollte. »Ist er wach?«, ich setzte mich blitzschnell im Bett auf. Sie nickte. »Danke«, ich schenkte der Avox ein Lächeln, welches sie jedoch nicht erwiderte. Ich hüpfte aus dem Bett und machte mich sofort auf den Weg zu Elvion. Ich hoffte sehr, dass es ihm gut ging und das diese komische Krankenschwester ihm wirklich nur ein Mittel für das Schlafen gegeben hatte. Schneller als gedacht, befand ich mich vor der Krankenzimmertüre. Ich atmete tief ein, hoffte innerlich nicht auf die Krankenschwester zu treffen, und stiess die Türe ohne anzuklopfen auf. Kurz erschrak ich, als ich tatsächlich eine Blondine erblickte, aber als ich merkte, das es Marciella war, schlich sich ein Lächeln auf meine Lippen. »Hey«, sagte ich, erleichtert davon, dass es nicht die Krankenschwester war. »Hey«, sagte Marciella, überraschenderweise mit Elvion im Chor. Marciella sass auf einem Stuhl, neben Elvions Bett. »Hey, wie geht es dir?«, fragte ich besorgt. Elvion war zwar blasser als zuvor, aber seine Augen glitzerten immer noch, was mich sehr beruhigte. Marcielle hielt einen Block und einen Bleistift in der Hand, ich erkannte eine Skizze von einem Anzug. »Ich erzählte ihm gerade was er beim Interview tragen wird«, erklärte sie mir lächelnd. Ich nickte wieder und erinnerte mich an mein Siegerinterview vom letzten Jahr. Leider kamen mir nicht sonderlich gute Erinnerungen und ich verschränkte etwas betrübt die Arme vor der Brust. Die ganze Zeit, in der Elvion und Marciella über das Outfit redeten, stand ich stumm daneben. Wenn sie mich was fragten, nickte ich bloss knapp, aber eine richtige Antwort gab ich nicht von mir.


»Und hiermit bitte ich um einen tobenden Applaus für den diesjährigen Sieger der Hungerspiele: Elvion Hanress!« Ich sass auf einem Stuhl hinter der Bühne und verfolgte das Szenario auf einem separaten Fernseher. Elvion's Gesicht hatte wieder eine gesunde Farbe angenommen und er sah hübscher als je zuvor aus. Er trug einen dunkelblauen Anzug und auch seine Haare schienen nicht mehr so lang wie vorhin, was mich ein bisschen traurig machte. Der Moderator Elias begrüsste ihn überschwänglich und bat Elvion Platz zu nehmen. Zuerst fragte er ihn einige Sachen, die mir schon letztes Jahr gestellt wurden. Elvion hatte die ganze Zeit ein breites Lächeln auf den Lippen, was mich sehr freute. Doch das Lächeln verschwand sobald, als Elias die Wiederholungen ankündigte. Mir wurde Übel, als ich an die Wiederholungen von meinen Hungerspielen dachte. Schnell verbannte ich die Bilder aus meinem Kopf. Innerlich schenkte ich Elvion viel Kraft, ich wusste wie schwierig es war alles nochmal mitzuerleben.


Während den gesamten Wiederholungen, wand Elvion kein einziges Mal den Blick von der Leinwand. Nicht einmal, wo er Anna getötet hatte. Selbst in der Arena schien er, als er ihr sein Schwert in die Brust rammte, keine Emotionen zu zeigen. Ich war erstaunt, wie gut er seine Gefühle verbergen konnte. Doch als Tysons Tod auf dem Bildschirm gezeigt wurde, schien Elvions Starke Fassade zu bröckeln. Er wand den Blick ab, sein Gesicht war verzerrt. Zum Glück hatte nun alles ein Ende und er konnte sich endlich von Elias und dem Kapitol verabschieden. »Vielen Dank, dass du hier warst«, bedankte sich Elias mit einem breiten Grinsen, dass es Elvion nicht besonders gut ging, schien er nicht zu merken. »Gerne, tschüss!«, Elvion lächelte ein letztes Mal schwach, bevor er hinter der Bühne verschwand. Ich sprang von meinem Stuhl auf und hechtete ihm entgegen, um ihn zu umarmen und ihm zu sagen, dass alles gut war. »Das hast du gut gemacht«, sagte ich ihm, als ich nur noch wenige Schritte von ihm entfernt war. Ich zwang mich zu einem Lächeln. Elvion lächelte nicht zurück, was mich etwas verwunderte. »Elvion, ist alles o...« Bevor ich meine Frage aussprechen konnte, sackte der Blonde kraftlos vor meinen Füssen zusammen.

Revenge ~ Der Tod kommt immer Näher [#2] ON HOLDWo Geschichten leben. Entdecke jetzt