Teil 19

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Auch wenn ich meine Wohung liebevoller nicht gestaltet  könnte, fühlte sie sich plötzlich fremd an, als ich sie nach meiner Reise nach London das erste Mal wieder betrat. Dieses Gefühl von Enge und Einsamkeit, das mir dort begegnete, erfüllte meinen Körper nie wenn ich hier war, weil diese Wohung mein Rückzugsort, meine Wohlfühlzone und mein zweites "Ich" war.  Am ganzen Körper bekam ich Gänsehaut, da es plötzlich so kalt und herzlos war in meiner drei Zimmer Wohung, die ich mein "Zuhause" nannte. Doch jetzt konnte ich dieses Wort noch nicht mal mehr in den Mund nehmen.

Wie erstarrt, stand ich auf einer Stelle, neben meinem Spiegel, der mir immer vermittelte, dass ich schön und selbstbewusst war. Jetzt gerade, in dem Augenblick, als mir eine einsame Träne meine blasse Wange herunterlief, konnte ich nicht mal mehr in ihn hinein schauen. Trotzdem wusste ich, dass er mir dieses Gefühl von Glückseeligkeit und Stolz nicht mehr geben konnte.

Erst als das Telefon klingelte, schien mein ganzer Körper aus einem Tagtraum zu erwachen und meine Beine bewegten sich, ohne dass ich ihnen das Befehl dazu gab, in Richtung des Telefons.

"Hi Olivia, ich hab schon drei Mal versucht dich anzurufen! Wie gehts dir? Wie war deine Reise?", erkundigte sich die Person, die meine Mutter zu sein schien, an dem anderen Ende, der Leitung.

"Hallo Mama!", nachdem ich diese zwei kurze Worte meine Lippen verließen erhellte sich meine Laune einwenig,"Mir geht's sehr gut, und die Reise war toll! Du weißt gar nicht wie wunderschön und beeindruckend London ist! Und Oxford erst!"

"Wie schön, dass es dir so viel Spaß gemacht hat. Ich bin gerade bei dir in der Nähe, wollen wir zusammen kochen? Ich bringe den Wein mit."

"Jaaa!", rief ich voller Vorfreude," Ich hab sonst eigendlich alles andere hier. Kommst du in einer Stunde ungefär, ich mus noch meine Sachen auspacken?"

"Ja gut. Bis gleich.", verabschiedete sich meine Mutter und ich machte es ihr nach.

 Wie immer, wenn ich aufräumte, machte ich Musik an und fing an zu tanzen, um mich wenigstens einwenig wohler zu fühlen, während ich meinen Koffer auspackte. Ganz unten, versteckt von den vielen Kleidungssücken, die ich mit nach England nahm, fand ich das Buch, das Adam und ich in Oxford gekauft haben, "Room", von Emma Donoghue. Als ich es fand, stellte ich es sofort in meinen Bücherregal, auch wenn ich Schnetterlinge in meinem Bauch hatte, wenn ich es in meinen Händen hielt.

Wie versprochen, kam meine Mutter auf die Sekunde pünktlich um 17:00 Uhr mit zwei Flaschen Wein in den Händen und begrüßte mich mit den Worten: "Falls eine nicht reicht."

Sie ist ein Profi  in dem Gebiet, jemanden zum lachen zu bringen, auch wenn ihr Humor speziell ist und nicht von jedem verstanden wird. Schon mein ganzes Leben lang war sie mein Vorbild, auch wenn ich diese Tatsache lange Zeit verschwieg. Doch an diesem Abend war sie mein Retter und half mir aus einer Notsituation.

"Ich will umziehen!", dieser Satz platze einfach so heraus, ohne dass ich ihn wirklich laut ausprechen wollte.

"Koche doch schon mal das Wasser.", befiel sie mir und ingnorierte dabei total meinen Wunsch nach einem Neuanfang.

"Mama!", schrie ich, um ihre Aufmerksamkeit zu kriegen. "Ich habe Gänsehaut bekommen, als ich diese Wohnung heute betrat. Ich will nicht hier sein. Ich will weg.", Tränen sammelten sich in meinen Augen und das Gesicht meiner Mutter hatte sich nicht verändert. Sie zeigte kein Anzeichen von irgendwelchen Gefühlen. In diesem Moment konnte ich sie nicht deuten, ich konnte nicht wissen was sie denkt, oder was sie mir mit ihrem Gesichtsausdruck sagen möchte.

Für einen kleinen Augenblick machte ich meine Augen zu, in der Hoffnung kurz dieser Welt entfliehen zu können. Die Schritte meiner Mutter zerstörten die Stille, die für eine kleine Ewigkeit herrschte und ich erkannte, auch wenn ich es nicht sehen konnte, dass sie das Zimmer verließ. Nach einpaar Sekunden, in denen ich meine Tränen mit einem Taschentuch wegwischte und versuchte mich zu beherrschen, folgte ich ihr.

Auf demCouchtisch standen schon zwei gefüllte Weingläser, als ich das Wohnzimmer betrat, und meine Mutter nahm schon einen großzügigen Schluck.

"Wohin willst du?" flüsterte sie kaum hörbar.

"Ich weiß es nicht."

"Manchmal frage ich mich, wie man leben kann, wenn man keine Träume hat. Wie überlebt man diese Welt und all die Menschen, die einem schaden wollen. Wie entflieht man dann der Realität?Weißt du, Olivia, ich wollte immer Künstlerin werden und dachte es würde niemals funktionieren. Abends im Bett stellte ich mir vor, wie ich mein Zimmer in ein Atelier umbaute, schließlich brauchte ich nicht außer Luft und Kunst. In meinen Tagträumen malte ich auf riesengroßen Malwänden und meine große Villa, die mitten im Wald stand, war gefüllt von Malereien und Skulpturen, die ich ganz allein erstellt habe. Mein Mann, so stelle ich mir es damals vor, wäre Autor und meine Zeichnungen, füllten seine Bücher, die berühmter nicht sein könnten. Wenn ich in der Schule eine schlechte Note bekam, einfach traruig oder wütend war, betrat ich diese Traumwelt und jedes kleine Detail darin, wurde von Zeit zu Zeit noch detaillierter. Niemals hätte ich gedacht, dass das so kommen wird, wie ich es haben wollte. Hier sitze ich, arbeite als Künstlerin und habe einen Mann, der Autor ist und in von ihm geschrieben Kinderbüchern erscheinen meine Zeichungen. Es kann alles so kommen wie du es dir wünschst."

Wieder ein Mal überwältigte sie mich mit ihren Worten und ihrer Art Geschichten zu erzählen.

"Ich werde gehen.", schloss ich fest und wiederhote es zwei Mal, während meine Stimme von Mal zu Mal lauter entschlossener wurde.

"Ich liebe dich egal, was du machst, oder wo du lebst. Du bist erwachsen, doch manchmal vergisst du das."

Diese Worte wiederholte in meinem Kopf, weil ich sie zuerst nicht verstand, so leise und unverständlich war die Sprache meiner Mutter an dem Abend, obwohl sie immer versucht hat so selbstbewusst wie möglich auf andere zu wirken. Mein Wunsch ließ sie kurz schwach werden.

"Danke." murmelte ich, stand von meinem Platz auf und umarmte sie.

Meine Mutter gehörte zu den besten Menschen in meinem Leben.


Kurze Zeit später schaute sie mich erwartungsvoll an, lächelte leicht und ich wusste was sie mir sagen wollte, ohne dass sie den Mund aufmachte. So fing ich an von London und von Adam zu erzählen, während ich das Wasser in der Küche kochen hören konnte und kurz bevor es überlief, erzählte ich gerade von Oxford und Adam, der sich ein Buch auf italienisch gekauft hat, obwohl er diese Sprache nicht spricht.

Meine Mutter hörte mir geduldig zu und erst während ich das übergelaufene Wasser von dem Herd abwischte und die Nudeln in den Topf kippte, kam sie zu Wort: "Ich würde ihn wirklich gerne kennenlernen.  Es hört sich so an, als hättest du ihn wirklich gern und als wäre er ein großartiger Mensch."

"Und intelligent noch dazu.", unterbrach ich sie.

"Und intelligent noch dazu.", wiederholte meine Mutter mit einem Lächeln auf den Lippen,"Bleib bitte du selbst und verlass dich nicht auf ihn."

Anstatt zu antworten, nickte ich, den Kopf gesenkt.



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⏰ Letzte Aktualisierung: Dec 22, 2016 ⏰

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