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Nach der schrecklichen Nacht habe ich angefangen, die Zauberbücher intensiver zu lesen. Ich konnte auch meine Hand ein bisschen heilen, ich habe nämlich ein paar Heilzauber gelesen. Und natürlich erprobt. An meiner Hand. Nicht jeder hat  geklappt... Selbst bin ich auch fast zusammen geklappt. Als ich gegen Morgengrauen wieder normale Gestalt annahm, hat meine Hand zu bluten angefangen und ich habe sehr viele Tücher verbraucht. Was für ein Glück, dass ich eine Hexe bin... 

Ich bin schon fast den ganzen Tag in meinem Zimmer. Die Angst lähmt mich, lässt mich auf meinem Bett verharren, dem einzigen Platz, in dem ich meine Panikattacken relativ unter Kontrolle halten kann. Das ständige Erzittern meines Körpers kann ich aber nicht verhindern. Und ich habe Hunger. Starken Hunger. Ich gucke auf die Uhr. 19:48 Uhr. ~Noch drei Stunden bis Sperrstunde!~ -Drei Stunden und zwölf Minuten, um genauer zu sein.- ~Nicht DU schon wieder!~ -Was ist an mir so schlecht?- ~Keine Ahnung...Aber du nervst.~ -Sehr nett- ~Ja, ich bin nun mal ein wenig gereizt! Bitte, lass mich doch einfach mal in Ruhe!~ -Ich habe leider keinen Körper, mit welchem ich von dir weggehen könnte. Also?- ~Mein Gott!~  Mein Gedankengang wird durch ein lautes Knurren unterbrochen. Ich würde sagen, dass mein Bauch jetzt mehr schmerzt als meine Hand. Ich fange an, mit Zeus zu spielen. Als ich wieder auf die Uhr schaue, ist es schon 20:29. Die Zeit ist wirklich schnell vergangen. Ich stehe von meinem Bett auf und laufe zu meinem Bücherregal. Dort nehme ich ein Zauberbuch, Geschichte von Hogwarts, raus. Damit lege ich mich wieder auf mein Bett. Die restliche Zeit verbringe ich lesend, denn Zeus ist eingeschlafen. Als der Nachtruhegong ertönt, stehe ich auf und strecke mich. Das Kurren meines Magens ist jetzt so laut, dass man meinen könnte, ich hätte einen Bohrer geschluckt. Leise schließe ich meine Tür auf und luge raus. Mein Hals ist zugeschnürt. Sollte ich es wirkliche wagen? Mein Magen übernimmt die Beantwortung der Frage. Die Luft ist rein, also schlüpfe ich nach draußen und begebe mich in den Speisesaal, besser gesagt in die Küche.  Nach ein paar gefühlten Stunden bin ich vor der Küche. Leider höre ich noch Geräusche, deswegen muss ich noch warten. Als ich niemanden mehr höre, schleiche ich in die Küche, dort gleich zum Kühlschrank. Der ist riesig und bestimmt werde ich etwas darin finden. Nachdem ich die Tür aufgemacht habe, sehe ich viele Gerichte, wie zum Beispiel frische Spaghetti Bolognese oder den etwas älteren Gemüseauflauf, aber ich verspüre kein Hunger darauf. Langsam begutachte ich die anderen Sachen. Gemüse interessiert mich jetzt nicht so sehr... Mein Blick bleibt an einem rohen Stück Fleisch hängen. Ich greife nach dem Teller.  ~Was tue ich da?~ -Anscheinend hast du einen Appetit auf Gewebe. Vielleicht kannst du nur Fleisch essen? Ich habe echt keine Ahnung.- ~Bloß nicht, ich bin doch Vegetarier! Und das verdammte Stück ist roh!~ -Zu spät, du isst das Fleisch nämlich gerade.-  Ich beiße herzhaft in das Stück und vergesse, dass ich Vegetarier bin. Das Fleisch ist so lecker, dass ich vor Genuss aufstöhnen könnte. Als ich fast alles gegessen habe, gehe ich raus. Doch ich höre plötzlich Schritte. Schnell stopfe ich das letzte Stück Fleisch in meinen Mund, wische die Finger an meiner Hose ab und will mich im Schatten verstecken, da bin ich umzingelt. Von Brenda und ihrer Clique, genauer gesagt Brenda, Alexia, Mia, Silvia, Annabel, Erik, Maximilian, Luca und Sebastian. Brenda und Luca sind die Anführer und sie sind auch zusammen, obwohl die beiden erst 12 sind! "Na wen haben wir denn da?", höre ich die Stimme von Brenda. "Die Looser Saphira.", kommt es von Luca und alle lachen. Ich bin erstarrt vor Angst, aber gleichzeitig kann ich meine Ängste in der hintersten Ecke meines Bewusstseins verstauen, denn Brenda, Luca und die anderen piesacken mich schon sehr lange. Da gewöhnt man sich dran. Da hat man seine Angst schnell unter Kontrolle, um bloß keine Schwäche zu zeigen. Sonst hat man sein Todesurteil unterschrieben. "Du warst heute den ganzen Tag weg, hast du etwa Angst? Und warum? Ach, vielleicht liegt das an Maik. Weißt du, auch wenn er so unglaublich lieb zu dir ist, deinen Geburtstag hat er extra sausen lassen.", sagt Mia mit einem bösen Grinsen. Ich bin beleidigt: " Du weißt doch gar nicht den richtigen Grund! Wieso sagst du es dann?!", zische ich Mia zu, und da mischt sich Silvia ein :"Ja? Ist egal, du Assi! Psychisch krank bist du ja so oder so. War der bekloppte Mann mit dem Umhang bei dir, um dich in den Irrenanstalt zu schicken? Und dieser Fettsack draußen... Hast du deinen Zwilling gefunden?". Wieder lachen alle und das bringt das Fass zum Überlaufen. Niemand beleidigt Professor Dumbledore und Hagrid! Bevor ich richtig reagieren konnte, spüre ich das Ziehen von gestern Nacht. Die jetzige Verwandlung geht schnell und nicht so schmerzhaft. Schon höre ich die Schreie von den anderen, aber bevor jemand Maus sagen kann, liegt Silvia verletzt am Boden. Ich bin wieder in der Menschengestalt und starre geschockt auf die bewusstlose Silvia. Alle schauen mich und Silvia an. Entsetzt. Ängstlich. Mir fällt nichts ein. Wirklich nichts. Alle starren mich immer noch wie Statuen an. "Schnell!",  ruft Brenda panisch und alle nehmen ihre Beine in die Hände und folgen ihrem Vorschlag. Ich sehe mich gehetzt um, ertaste meinen Zauberstab in meinem Ärmel meines Shirts und versuche mit zitternder Hand die am Boden liegende Silvia zu heilen. Ich bin wie in Trance... Die Heilung klappt einigermaßen. Mit viel Kraftaufwand hebe ich sie hoch und trage das verletze Mädchen in die Krankenstation. Wir haben im Haus eine Krankenschwester und Station und nachdem ich Silvia dort abgegeben  und die Krankenschwester gerufen habe, renne ich nach draußen. Nach draußen durch den Garten in den Wald. Eigentlich darf ich nicht außerhalb der Grenzen, also dem Garten. Mrs. Bachel hat mir das ausdrücklich verboten und auch ein bisschen Gewalt angewendet, als sie mich erwischte. Aber ich brauche jetzt den Wald, die Natur, das Gefühl der Freiheit.

Ich streife, sprinte schon fast durch den Wald, als ich vor einem unscheinbaren Baum stehen bleibe. Meinem persönlichen Kletterbaum. Ich war bisher die einzige, die da hinauf klettern konnte. Ganz oben klammere ich mich an einen dicken Ast und die Situation von eben prasselt auf mich ein. Ich kann mich nicht halten, die Panik überschwemmt mich. Meine Muskeln spannen sich an, mein ganzer Körper verkrampft. Ich kriege keine Luft, atme immer schneller, schließe meine Augen, ja verzerre mein Gesicht vor Horror. Was habe ich gemacht? Werde ich jetzt immer so sein?! Durch den aufkommenden Schluckauf, kriege ich ganz schlecht Luft und meine Panik verschlimmert sich. Ich kann mich kaum halten, ich zitter, und mein krampfender Körper zwingt mich, sich am Ast festzuhalten. Ich kann mich nicht lösen, obwohl das einzige, was ich tun will, ist, von diesem Baum zu fallen und alles zu vergessen. 

Nach einiger Zeit kann ich langsam meine verklebten Augen öffnen. Es ist noch dunkel, kein Licht scheint zu mir. Keine Sterne. Keine Geräusche. Ich bin allein. Langsam löse ich einen Arm von dem Ast. Er zittert wie verrückt, und ich spüre die Schmerzen mehr als nur deutlich, die durch den ganzen Arm jagen. Meine größte Panik hat sich gelegt, und ich weiß, dass ich etwas tun muss. Am ganzen Körper sich schüttelnd, schaffe ich es kaum, wieder auf den Boden zu kommen. Schleppend laufe ich zurück durch den Wald, müde und erschöpft, mit einem verheulten Gesicht und starken Kopfschmerzen. Bevor ich in das Gebäude schleiche, trockne ich so gut es geht mein Gesicht ab und betrachte meine Arme - sie zittern nicht mehr so stark. Meine emotionslose Maske sitzt auch schon auf, als ich die Treppe hochschleiche. An einer Biegung bleibe ich stehen. Jetzt müsste ich eigentlich nach links abbiegen, aber ich biege in den Rechts- Trakt ab, wo die Jungs untergebracht  sind. Mit schnellen Schritten husche ich zu Lucas Zimmertür und lausche. Es ist leise. Dann renne ich doch in den Mädchentrakt und bleibe vor Brendas Tür stehen, die neben meiner ist. Jetzt lausche ich.  Leise Stimmen dringen zu mir. Ich klopfe. Die Stimmen verstummen. Langsam macht jemand die Tür auf, doch als die Person mich erblickt, es ist Annabel, die die Tür aufmacht, will sie die Tür ganz schnell wieder schließen. Ich Stelle meinen Fuß dazwischen. "Warte. Ich wollte nur sagen, dass ich Silvia in die Krankenstation gebracht habe. Es war aus Versehen..." " Natürlich! Natürlich war es aus Versehen!", motzt mich Annabel ironisch an. Sie will noch was erwidern, aber da hat sie schon vergessen, was geschehen ist, und ist zu Boden gesackt. Schnell mache ich es auch mit allen anderen, was gar nicht so leicht ist, da sie panisch flüchten, und nach vier Stunden schließe ich meine Zimmertür ab. Meine Maske fällt, und die Panik überrollt mich gleich hinter der Tür. Zusammen gerollt liege ich auf dem Boden und kann nichts gegen die Krämpfe und die Tränen tun. ~Ich bin ein Monster. Ein blutrünstiges, hässlichen, gefährliches Monster.~ - Bitte, dass heißt doch nicht, dass du immer so sein wirst!  Du kannst dich doch verändern, selber dran arbeiten.- ~Wie? Wie soll ich es machen? Ich habe einfach keine Kraft mehr...~ -Nein, wenn du was willst, kannst du alles erreichen. Du musst an dich glauben! Und du bist nicht alleine!- ~Nein?~ -Nein, ich bin da! Und Zeus! Und vielleicht, ganz vielleicht, wird alles gut werden und...- ~Bitte nicht, mach mir keine Hoffnung. Nicht...~ Ich verstumme. Die Tränen versiegen. Mein Körper beruhigt sich. Als Zeus plötzlich auf meiner Schulter auftaucht und über meinen Kiefer leckt, entspanne ich mich sogar ein klitzekleines bisschen. "Danke...", flüstere ich in die Stille, wohl wissend, dass was auch immer in meinem Kopf mir spricht - mein Unterbewusstsein - es auch versteht.

Saphira Hills - Schwingen der FinsternisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt