1 - Auseinandersetzung

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Mary Stone

„Das war wieder klar. Du bist das totale Ass in Mathe", meine ich kopfschüttelnd, während meine beste Freundin triumphierend grinst.
„Wann warst du jemals nicht die Beste in den Klausuren?"
Addison lacht und wir betreten die Cafeteria.
„Du bist besser, als der Durchschnitt!", versucht sie mich aufzumuntern und wir laufen auf unseren Stammtisch zu.
„Das verschafft mir wohl kaum bessere Laune, wenn der Durchschnitt derart schlecht ist", meine ich amüsiert.
„Manchmal frage ich mich wirklich, was du an ihm findest."
Kopfschüttelnd betrachte ich Xavier, den Addison anstarrt, nachdem wir unsere Taschen abgelegt und zu den Tabletts getrottet sind.
„Er ist süß.
Mehr ist es nicht", erklärt sie und schnappt sich eine Banane.
„Süß ist er wirklich, das musst auch du zugeben!"
Da sie allen Anschein keine Widerrede duldet, lasse ich dies unkommentiert. Während ich warte, dass sich die Schlange vor mir bewegt, bleibt mein Blick kurz an ihm haften und ich beobachte sein breites Grinsen, während er mit seinen Freunden spricht, die locker frisierten Haare und die Hände, die er in den Hosentaschen stecken hat.
Als Addison vor mir ihr Tablett weiter schiebt, mache ich es ihr gleich und komme tatsächlich ebenfalls zu dem Entschluss, dass er sich sehen lassen kann.
„Um nochmal auf den Kurs zurückzukommen.
Belegen wir ihn?"
„Du meinst den Sportkurs?"
Addison nickt und wir greifen beinahe synchron nach einer Flasche stillem Wasser.
„Willst du den wirklich besetzen?
Da werden Mädchen und Jungs zusammengewürfelt und du kennst die Vollpfosten an dieser Schule."
Dieses Argument scheint sie zum Überlegen anzuregen und sie nickt langsam.
„Wahrscheinlich hast du Recht.
Darauf habe ich keine Lust."
Ich nehme ihre Worte nur am Rande wahr, als ich Xavier und seinen besten Freund Sean beobachte, die sich bei den ausgehangenen Listen des Sportkurses eintragen, die direkt neben dem Eingang hängen.
Noch bevor ich großartig nachdenken kann, schnappe ich mir die große Schüssel Salat, stelle sie auf mein Tablett und eile zu den beiden.
„Darf ich mal?"
Ich nehme Xavier den Kugelschreiber, noch bevor er antworten kann, aus der Hand, stelle mein Tablett auf einem der Tische ab und trage Addisons und meinen Namen ein.
„Danke", sage ich lächelnd, gebe ihm den Stift zurück und balanciere dann mein Tablett in Richtung Addison, die verwirrt auf mich zukommt.
„Ab nächster Woche sind wir im Sportkurs!"
Ich klatsche in die Hände und bekomme einen fragenden Blick ab.
„Für mich machst du das nicht, aber wenn Xavier geht dann schon?" Sie zieht eine Augenbrauen hoch, fängt an zu lachen und stellt ihr Essen auf unserem Tisch ab.
„So schlecht kannst du ihn also doch nicht finden." Sie zuckt mit den Schultern und ich verdrehe lachend die Augen, bevor ich mich noch einmal umdrehe und Xavier sehe, der amüsiert den Raum verlässt.

Gähnend greife ich nach meinem Stift, um mir ein paar Notizen zum Unterricht zu machen.
Wenigstens etwas beteiligen könnte ich mich.
Addison zu meiner Rechten, scheint meine Gedanken zu teilen, klickt hinten auf ihren Kugelschreiber und beginnt irgendwas zu kritzeln.
„Das werdet ihr in zwei Gruppen bearbeiten", nehme ich die Stimme des Lehrers wahr und er deutet jeweils auf die Sitzreihen links und rechts.
„Die linke Seite sucht nach Argumenten für den Bau einer Moschee, in dieser Stadt, und die rechte Seite Argumenten dagegen.
Am Schluss tragen wir sie dann zusammen und kommen zu einem Fazit.
Denkt dabei immer an unser Thema Integration!", erklärt er und ich seufze, bevor ich mich müde erhebe und zu den anderen an den Gruppentisch setze.
Sean und Xavier stehen ebenfalls etwas träge auf und setzten sich Addison und mir gegenüber.
„Lass uns das am Besten in einer Tabelle darstellen", spricht Xavier als erstes und ich schüttle den Kopf.
„Schalt mal dein Hirn ein.
In einer Tabelle stellt man Dinge gegenüber, wir haben nur eine Sache", meine ich genervt und lasse meine schlechte Laune ungewollt an den anderen aus. Addison wirft mir einen verwirrten Blick zu, doch ich habe selber keine Ahnung, woher meine Laune aufeinmal kommt.
"Tut mir leid, Miss Besserwisser.
Ich habe bloß in Betracht gezogen, dass wir später noch die Argumente der anderen Seite eintragen", meint er ebenfalls mit zickigem Unterton.
Ich verenge die Augen zu Schlitzen und Addison neben mir lacht etwas unbeholfen.
„Es würde sehr gut zur Integration beitragen und es würde die Gemeinschaft stärken", führt sie das erste Argument auf und ignoriert Xavier und mich.
„Außerdem würden sich die Menschen besser akzeptiert fühlen", höre ich die Stimme einer weiteren Schülerin.
„Schwachkopf", murmle ich und hoffe keine Sekunde später, dass er es einfach nicht gehört hat.
„Außerdem würden auch Menschen anderer Religion mit dem islamischen Glauben vertrauter werden", zähle ich einen weiteren Vorteil auf und die anderen nicken zustimmend.
„Wie lieb von dir."
Ich drehe meinen Kopf zu Xavier und bin mir nicht sicher, ob das eine ironische Bemerkung war, die sich auf mein Argument oder meine Beleidigung bezieht.
„Fresse", ist das einzige, was ich sage, bevor ich meinen Block nehme und die bis jetzt genannten Vorteile notiere.
„Also doch eine Tabelle?"
Ich höre sein Grinsen sogar beinahe, als er das sagt und ich bemerke, dass ich unbewusst tatsächlich eine Tabelle erstellt habe.
Ich öffne den Mund leicht und sehe ihn an, aber irgendwie fällt mir nichts passendes ein.
„Miss Ich weiß alles besser, kann sich wohl nicht eingestehen, dass mein Vorschlag einfach gut war."
Er grinst amüsiert und ich merke, dass es ihm Spaß macht, mich zu provozieren, was mich umso mehr provoziert.
„Und Mister ich bin so geil, sollte sich mal nicht so viel darauf einbilden!", entgegne ich patzig und Addison neben mir seufzt auf.
„Aus welchem Kindergarten seid ihr denn ausgebrochen?
Unglaublich."
Kopfschüttelnd nennt sie einen weiteren Vorteil und ich notiere ihn.
„Anstatt, dass sie ..."
„Ich kann dir auch gerne eine boxen", sage ich mit verengten Augen und schüttle über ihn und mich selbst den Kopf.
„Bevor ihr euch noch prügelt, sollten wir lieber die Aufgabe weiter bearbeiten."
Addison lehnt sich zu mir, um sich durchzulesen, was ich schon alles aufgeschrieben habe und Sean hält Xavier schmunzelnd den Mund zu, als dieser wieder anfängt zu sprechen.
Allerdings hält ihn das nicht davon ab und er redet weiter, jedoch verstehe ich kaum etwas außer Zicke.

„Der ist doch echt zum Kotzen", maule ich genervt, als ich nach dem Kurs zusammen mit Addison raus laufe.
„Deine Stimmungsschwankungen machen sich mal wieder bemerkbar, Mary", sagt Addison amüsiert und schlüpft in ihre Jeansjacke.
„Trotzdem war es ziemlich lustig, wie leicht er dich einfach auf die Palme bringen kann. Du wärst am liebsten auf ihn losgegangen", lacht sie und weiß ebenso gut wie ich, dass ich mich normalerweise nicht so schnell provozieren lasse.
„Das hätte ich wirklich tun sollen", brumme ich, als er zusammen mit Sean aus dem Raum kommt uns sich unsere Blicke treffen, da ich gegenüber der Tür an der Wand lehne und auf Addison warte, die ihren Schlüssel in der Handtasche sucht.
Unsere Augenbrauen ziehen sich beinahe gleichzeitig zusammen.
„Denk' ja nicht, dass ich das auf mir sitzen lasse!", ruft er, als er den Gang hinunter läuft und kann sich dann ein Grinsen nicht verkneifen.
„Na, dann viel Spaß, Vollpfosten!", rufe ich zurück und als sich unterbewusst ein Lächeln auf meinen Lippen bildet, als ich ihm hinterher sehe, schaut mich Addison kopfschüttelnd an und läuft amüsiert in Richtung Ausgang.

„Was grinst du denn die ganze Zeit so?"
Am Mittag sitzen Addison und ich auf meinem Bett, essen Nudeln und reden über alles Mögliche.
Zumindest machen wir das eigentlich.
Denn seit mindestens zehn Minuten starrt sie einfach nur grinsend auf ihr Smartphone.
„Was?"
Sie sieht wieder zu mir, ihr Lächeln verschwindet allerdings nicht.
„Warum du so grinst."
„So."
Ich setze einen vorwurfsvollen Blick auf und ziehe die Augenbrauen hoch, bevor sie seufzt.
„Jemand hat mir auf Facebook geschrieben", fängt sie an und ich greife nach meinem Glas Wasser.
„Sean"
Mit gefülltem Mund weite ich die Augen und ziehe die Augenbrauen zusammen.
„Nein, eigentlich Xavier."
Ich schlucke das Wasser, verschlucke mich und beginne laut zu Husten. 
Als ich wieder sprechen kann, mache ich den Mund auf, doch sie hebt den Finger.
„Es ist wirklich Sean", lacht sie, wegen ihres eigenen Witzes und ich schüttle schmunzelnd den Kopf.
Sie hält mir das Display ihres Smartphones vor die Nase und meine Augen bewegen sich schnell von links nach rechts, während ich das hauptsächlich oberflächliche Gespräch überfliege.
Was hast du morgen so vor?", lese ich und ziehe meine Augenbrauen hoch und gleichzeitig meine Mundwinkel runter, als wäre ich total erstaunt.
„Wie originell."
Ich versuche ein Lachen zu unterdrücken, während Addison bloß die Augen verdreht, sich jedoch ein Grinsen nicht verkneifen kann, bevor sie wieder auf das Display schaut.
„Mary!", ruft sie plötzlich, schlägt sich die Hand vor den Mund und hält mir wieder das Handy hin.
„Er hat nach einem Treffen gefragt!"
„Ein Treffen?"
Ich lasse mich auf den Rücken fallen und seufze.
„Du wirst doch nicht ..."
„Er hat gesagt, er ist mit morgen einverstanden."
Mit geweiteten Augen richte ich mich wieder auf, stelle meinen leeren Teller auf die Matratze neben mich und schlage dann mit der flachen Hand gegen meine Stirn.
Ich habe wirklich keine Lust, dass sie ihn gut findet und er nur dumme Absichten hat.
„Und du kommst mit."
„Wie bitte?"
Sie grinst mir breit entgegen und scheint sich wirklich darüber zu freuen.
Ich habe sie noch nie über ihn schwärmen hören.
„Sein Cousin kommt auch und mit dem kannst du dich dann unterhalten. Wer weiß, vielleicht triffst du dann endlich mal einen Typen, der zu dir passt."
Als ob es nicht reicht, dass Addison ein Date mit Sean hat, soll aus dem Ganzen ein doppel Date werden?
Und das mit mir und dem Cousin von Sean?
Entschlossen schüttle ich den Kopf.
„Kannst du knicken."
„Ach, Mary.
Und was, wenn er süß ist?
Stell dir vor, was du da verpasst!
Er ist schließlich mit Sean verwandt und das muss was heißen."
„Ich schätze nicht, dass das was zu heißen hat", erkläre ich schmunzelnd, stehe auf und laufe runter in die Küche, um mir eine neue Flasche Wasser zu holen.
„Mary, bitte!", ruft sie mir hinterher und folgt mir.
Ich lasse mich nicht beirren und tue so, als hätte ich sie nicht gehört.
„Ich koche dir dein Lieblingsessen und leihe deinen Lieblibgsfilm aus."
Ich werfe einen Blick über meine Schulter, laufe aber weiter.
Addison seufzt.
„Und ich kaufe einen Berg Schokolade."
„Deal", sage ich grinsend, bleibe stehen und gebe ihr die Hand.
Sie quittiert dies nur mit einem Kopfschütteln und lächelt erleichtert, während ich bloß hoffe, dass das kein peinlicher Moment wird.

Das letzte halbe Jahr Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt